© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Des Großen Kurfürsten Platz an der Sonne
Reportage: Auf den Spuren der kurbrandenburgischen Kolonie „Groß Friedrichsburg“ im heutigen Ghana, die vor 300 Jahren aufgegeben wurde
Ralf Küttelwesch

Die Tür des Flughafens geht auf und es trifft den Reisenden der Schlag. Das Flugzeug war klimatisiert, der Flughafen ist es, Accra, die Hauptstadt Ghanas, ist es nicht. Mit voller Wucht erfaßt einen die feucht-tropische Atmosphäre, in die sich das Gelärm von Hunderten Passanten mischt, die vor dem Flughafeneingang auf Gäste warten. Die Luft ist angefüllt mit Nebel, der gelb über den Köpfen und den Gebäuden wabert. Nein, es ist kein Smog, sondern der Harmattan, ein Nordostpassatwind, der Sandstaub aus der Sahara über den Himmel der Goldküste bläst.

An eben dieser tropischen Küste endete vor dreihundert Jahren eines der ersten von Deutschland ausgehenden außereuropäischen Abenteuer, die kurbrandenburgische Kolonie Groß-Friedrichsburg. Diese Festung war Teil des Traumes des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von maritimer Größe. Am 18. Dezember 1717 verkaufte der Enkel des Großen Kurfürsten, der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., die bankrotte „Brandenburgisch-Afrikanische Handelskompagnie“ an die „Niederländische Westindien-Kompanie“ für „7.200 Dukaten und 12 Mohren“. 

Während in Brandenburg der Dreißigjährige Krieg wütete, umwehte den 14jährigen Friedrich Wilhelm in den Niederlanden die frische Seeluft, die nach Prosperität und dem Reichtum einer Seehandelsmacht roch. Zu seiner Sicherheit war er von seinem Vater im Juli 1634 an den Hof des Statthalters der Vereinigten Niederlande, Friedrich Heinrich von Oranien, nach Arnheim gesandt worden. Dort blieb er vier Jahre, besuchte die Universität Leiden und lernte in Amsterdam das Schiffsbauhandwerk kennen. 

Der Soldatenkönig verkaufte die Kolonie umgehend

Die Bindung an die Niederlande blieb, und sein Aufenthalt in Arnheim hatte Folgen. Nachdem er am 1. Dezember 1640 die Nachfolge seines Vaters als Kurfürst angetreten hatte, heiratete Friedrich Wilhelm sechs Jahre später die älteste Tochter seines früheren Gastgebers, Luise Henriette von Oranien.

Der Westfälische Friede brachte Brandenburg erhebliche Landgewinne, doch war das Territorium entvölkert und wirtschaftlich am Boden. Trotzdem strebte Friedrich Wilhelm nach Ostindien und China. Doch der erste Versuch, eine Brandenburgisch-Ostindische Handelskompanie aufzubauen, scheiterte 1653 an Investoren. Zudem stand der Aufbau des vom Krieg zerstörten Brandenburg im Vordergrund. Da war kein Platz für überseeische Abenteuer. 

1667 verstarb Luise Henriette, und Friedrich Wilhelm vermählte sich ein Jahr darauf mit der verwitweten Herzogin Dorothea von Braunschweig. Ende 1674 fielen die Schweden erneut in die Mark Brandenburg ein und wurden am 28. Juni 1675 durch das brandenburgische Heer unter der Führung des Kurfürsten in der Schlacht von Fehrbellin entscheidend geschlagen. 

Der nunmehr „Großer Kurfürst“ genannte Friedrich Wilhelm nahm im gleichen Jahr das Angebot des niederländischen Kaufmanns und Freibeuters Benjamin Raule an, lieh sich mehrere Fregatten von ihm und stellte „Kurbrandenburgische Kaperbriefe“ aus.Er widmete sich mit Hilfe von Raule dem Aufbau einer Kriegs- und Handelsflotte. Nach erfolgreicher Kaperung der spanischen Galeone „Carolus Secundus“ vor Ostende schickte der Große Kurfürst das Schiff als Prise nach Pillau, wo es als „Markgraf von Brandenburg“ das Flaggschiff der nunmehr 34 Schiffe umfassenden brandenburgischen Flotte wurde. 

Raule entsandte eine Handelsexpedition vom ostpreußischen Frischen Haff nach Westafrika. Sie bestand aus den Fregatten „Morian“ und der „Wappen von Brandenburg“, die im September 1680 ablegten. Vor der Goldküste angekommen, brachten die Niederländer die „Wappen von Brandenburg“ auf und kassierten sie. Trotzdem gelang es den Schiffsoffizieren der „Morian“ am 16. Mai 1681 einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit drei Ahanta-Häuptlingen abzuschließen, in dem den Brandenburgern zugesichert wurde, ein Fort auf dem Territorium der Ahanta zu errichten. Mit diesem Ergebnis landete die Expedition im August 1681 in Glückstadt an der Unterelbe.  

Aufgrund dieses Erfolges verkündete der Große Kurfürst am 17. März 1682 in Berlin das „Edict wegen Octroyierung der aufzurichtenden Handelscompagnie auf denen Küsten von Guinea“ und mit ihm die Gründung der späteren„Brandenburgisch-Afrikanischen Handelskompagnie“. Sie erhielt das Monopol, für dreißig Jahre den brandenburgischen Handel in Westafrika zu verwalten, sowie das Recht, eigene Stützpunkte anzulegen. 

Der Erfolg der ersten Unternehmung gab den Anlaß zur Aussendung der zweiten Expedition zur Gründung einer afrikanischen Kolonie, die dem Kammerjunker Major Friedrich von der Groeben unterstellt war. Sie bestand aus den Schiffen „Churprinz“ mit 32 Geschützen und 60 Seeleuten unter Kapitän de Voß und „Morian“ mit zwölf Geschützen und 40 Seeleuten unter Kapitän Blonck. Zum Aufbau der Kolonie wurden zwei Ingenieure, ein Fähnrich, ein Sergeant, zwei Korporale, zwei Spielleute und 40 „guthe gesunde Musquetiere“ mitgenommen. 

Im Juli 1682 brachen die Schiffe von Glückstadt unter dem Kommando von Major Otto Friedrich von der Groeben auf. Noch im selben Jahr landeten sie, mit einem Schutzbrief des Großen Kurfürsten für die „Cabisters von Accada, Taccarary und Tres Puntas nebst deren Angehörigen“, an der Küste des heutigen Ghana. Dort wurden erneut mit verschiedenen Häuptlingen Verträge zum Bau einer Festung abgeschlossen. Nach Vermessungs- und sonstigen vorbereitenden Maßnahmen wurde am 1. Januar 1683 mit „Pauken und Schallmeyen die Fahne aufgeholet“ und der Grundstein für Groß-Friedrichsburg gelegt. 

Festungsbaumeister Karl Konstantin von Schnitter hatte den inneren Festungsbau Großfriedrichsburgs quadratisch, mit einem steinernen Hauptwall entworfen. Zu dessen Bau wurden auch Materialien aus Brandenburg mitgebracht. Schon 1684 verfügte Groß-Friedrichsburg über vier aus Feldsteinen gemauerte Bastionen und war mit 32 großkalibrigen Kanonen bestückt. Im Innenhof waren vier zweigeschossige Gebäude errichtet, darunter das Gouverneursgebäude, Unterkünfte für die Besatzung und Warenlager für Händler. 

Selbst heute kann sich der Weg aus der Zweieinhalb-Millionen-Metrolpole Accra nach Tacoradi abenteuerlich gestalten. Mit einem „Trotro“ genannten Kleinbus geht es auf der Nationalstraße 1 gut 200 Kilometer westwärt an Cape Coast entlang nach Tacoradi. Wie viele Autos und Kleintaxis in Ghana trägt auch dieses Trotro christliche Sprüche auf den Heckscheiben, was bei der Fahrweise angebracht erscheint.

Wie eine Geistererscheinung im Wüstenstaub taucht auf halber Strecke die Silhouette des früheren englischen Forts Elmina aus der bis 1957 andauernden Zeit als britische Kronkolonie vor einem auf. In Tacoradi spuckt das „Trotro“ den Reisenden am Busbahnhof des quirligen Marktes der 350.000-Einwohner-Stadt mit der lauschigen Jahresdurchschnittstemperatur von 29 Grad aus. Trotz der Menge an Taxen und Kleinbussen ist es jedoch nicht einfach, ein Transport nach „Princes Town“, dem Dorf unterhalb der brandenburgischen Festung, zu ergattern, denn die Straßen durch den Urwald sind in extrem schlechtem Zustand. Stundenlang geht es im Schneckentempo durch tief ausgespülte Furchen und über aus dem roten Lehm herausragende Feldsteine die letzten dreißig Kilometer durch die Wildnis, bevor am südlichsten Punkt der Goldküste die Mauern von Groß-Friedrichsburgs vor einem auftauchen. 

Von den ehemals vier Gebäuden stehen nur noch das Gouverneursgebäude und der Unterkunftsbau, allerdings schmückt den Innenhof eine sorgsam gemähte, leuchtendgrüne Rasenfläche. Die breite Wehrmauer und die zwei übriggebliebenen Bastionen lassen den eigentlichen Sinn der Gebäude erkennen: Brüstungsmauern mit ein paar verrosteten Kanonen ohne Hoheitsmarken in den Schießscharten, freier Blick und damit Schußfeld auf den Strand und das Meer. Vor der Mauer Palmen und tropisches Buschwerk. Die zweite Bastion, die mit der ersten einen rechten Winkel bildet, weist seitlich ins Landes-innere. Hier geht der Blick in Baum- und Palmkronen. 

In die Grundmauern der Bastionen waren Zisternen eingebaut. Große, mit Backsteinen aus Brandenburg angelegte Kreuzgewölbe. In die zweite Zisterne in der landwärts gewandten Bastion ist eine Tür geschlagen worden und wird den spärlich auftauchenden Touristen als Sklavengefängnis vorgeführt. Keine Kettenringe an den Wänden, keine vergitterten Fenster, dafür Algenreste am Fundament und eine Holzklappe in der Decke, um von der Bastion aus Wasser schöpfen zu können. Der Festungswart, der sich als Josef vorstellt, führt die Fremden in das einzige Gästezimmer im Gouverneursgebäude, das wenig Komfort, aber immerhin drei Betten mit Moskitoschleier und einen Deckenventilator bietet.

Zwei weitere befestigte Stützpunkte der Brandenburger befinden sich nicht weitab der Hauptfestung. Eine dieser Schanzen erhielt den Namen der zweiten Frau Friedrich Wilhelms, Dorotheenschanze, und wurde in der Landschaft Axim errichtet. Die andere, die „Sophie-Louisen-Schanze“ am „Kap der drei Spitzen“ (heute „Cape of Three Points“) errichtete Befestigung, auch „Tacrama“genannt, wurde bereits 1709 aufgegeben. Es existiert weder eine zeitgenössische Zeichnung, noch wurde bislang ein Überrest gefunden. 

Die Dorotheenschanze allerdings präsentiert sich als Ruine im Dschungel. Sie wechselte mehrfach den Besitzer, wurde 1685 von den Brandenburgern erbaut, war mal niederländisch, mal brandenburgisch, bis sie 1717 ebenfalls an die Niederlande verkauft wurde. Ein Denkmal für die wechselhafte Beziehung Brandenburgs und der Niederlande auf dem Schwarzen Kontinent in dieser Zeit.

Niederländer wollten Groß-Friedrichsburg erobern

Die Bewunderung des Seehandels der niederländischen Vorbilder brachte Friedrich Wilhelm noch zwei Jahre vor seinem Tod, am 1. Januar 1686, in einem Edikt zum Ausdruck: „Seefahrt und Handlung sind die fürnehmsten Säulen eines Estats, wodurch die Unterthanen beides zu Wasser, als auch durch die Manufakturen zu Lande ihre Nahrung und Unterhalt erlangen.“ Im Jahre 1688 allerdings blockierten ausgerechnet die Niederländer den Hafen von Groß-Friedrichsburg, räumten das Warenlager aus und kaperten zwei brandenburgische Schiffe. Der Kurfürst war sogar entschlossen, es auf einen Krieg mit den Generalstaaten ankommen zu lassen, doch starb er während der Unterhandlungen. Sein Sohn Kurfürst Friedrich III. versuchte, die kolonialen Geschäfte im Sinne des Großen Kurfürsten weiterzuführen. 

Doch bereits 1711 erklärte er den finanziellen Bankrott der Kompanie. Nach dem Abzug des letzten preußischen Generaldirektors übernahm dessen Verbündeter Stammeshäuptling Jan Conny die Festung und bestückte sie mit erbeuteten Kanonen. Bis 1724 verteidigte er die Festung gegen mehrere  Angriffe der Niederländer, mußte sie aber nach knapp sieben Jahren doch den Holländern überlassen. Der Legende nach verschwand er unter Mitnahme der brandenburgischen Flagge im Urwald.

Der heutige Burgwächter Josef zeigte sich freudig erstaunt, als er zum Dank für die Unterstützung des Reportageteams eine kurfürstliche Fahne mit dem roten Adler zu treuen Händen ausgehändigt erhielt.