© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Neuer Mensch als ewiger Traum
Rainer Langhans und sein Ideal der Welt
Claus-M. Wolfschlag

Rainer Langhans’ neues Buch hinterläßt ambivalente Eindrücke. Das liegt weniger an inhaltlichen Wiederholungen, thematischen Sprüngen und ungewöhnlichen Sichtweisen. Das Buch ist vielmehr ein Glaubensmanifest. Das macht Kritik so schwer. Denn wie kann man gegen die Welt der Träume, der Ideale und einer letztlich religiösen Überzeugung argumentieren? 

Langhans erwähnt noch einmal knapp seine historischen Erfahrungen als Akteur der 68er-Zeit. Und rasch kommt er zu einer spirituellen Interpretation dieses Zeitphänomens. 1968 wird so zu einem religiösen Ereignis, einer erneuten Ausschüttung des Heiligen Geistes, einem Erfahrungsfeld der Liebe. Auch wenn es stets Rückschritte gäbe, ist Langhans davon überzeugt, daß fortan die Menschheit auf dem Weg in Richtung einer geistigeren Existenzform voranschreite. Das Streben nach Besitz und Macht würde immer mehr abnehmen, die von Langhans negativ interpretierte Last des Körpers verschwinden. Am Ende stünden „Neue Menschen“, wahre „Kommunisten“, die alles miteinander teilen und allumfassend Liebe füreinander empfinden würden. Eine Art irdische Umsetzung des himmlischen Jenseits. Und das Internet mit seiner Welt der Avatare sei ein Schritt in diese Richtung.

Was kann man einem solchen Menschheitstraum argumentativ entgegensetzen? Nun, niemand kennt die menschliche Evolution. Aber, ist es wirklich human, der langsamen Entwicklung des Geistes vorzugreifen? Langhans jedenfalls sieht nichts Negatives daran, den Besitz mit Einwanderern zu teilen, die Privatsphäre und „das Alte“ zu zerstören. Das daraus womöglich resultierende Elend versteht er vielleicht als geistigen Entwicklungsschritt oder als Rückschritt zum Fortschritt. 

Diese der Welt entrückte Sicht meint, Spiritualität könne nur in Armut und Askese gedeihen. Zwar übernimmt Langhans Mainstream-Interpretationen, wenn er schreibt, daß das Internet mit Trump oder den Rechtspopulisten auch „häßliche“ Äußerungen hervorbringe. Doch er spart immerhin auch nicht mit Kritik an der Linken und richtet den Appell an Konservative und Rechte. Sie sollten jetzt zeigen dürfen, ob sie eine bessere und schönere Welt zu erschaffen in der Lage sind.

Rainer Langhans, Christa Ritter: #soists. Selfies von der Kommune bis Trump. Verlag Westarp & Partner, Hohenwarsleben 2017, broschiert, 190 Seiten, 9,90 Euro