© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Mehrheit auf Messers Schneide
Großbritannien: Eklatante Fehler kosten die Tories den fest eingeplanten Sieg / Ukip am Ende
Daniel Körtel

Hart und überraschend traf die britische Premierministerin Theresa May das Ergebnis der Neuwahlen zum Unterhaus, die sie im April ohne Not ansetzte. Vordergründig, um ein starkes Mandat zu erhalten für den – notfalls harten – Brexit, den sie in Brüssel aushandeln wolle. Tatsächlich dürfte jedoch Labours eklatante Schwäche unter der Führung ihres umstrittenen Linksaußen-Vorsitzenden Jeremy Corbyn in den Meinungsumfragen ausschlaggebend gewesen sein. Doch innerhalb von drei Wochen vor dem Wahltermin verwandelte die Favoritin ihren Vorteil, mit dem sie ihren Tories einen Erdrutschsieg bescheren wollte, durch hausgemachte Fehler in einen Rohrkrepierer.

Ukip-Chef Nuttall wirft das Handtuch 

Am Ende reichte es für die Konservartiven für 318 Sitze im britischen Unterhaus, zwölf weniger als im vorigen. Zwar stellt sie damit die stärkste Fraktion, ist aber knapp unter der absoluten Mehrheit von 326. Labour kam mit dem Zugewinn von 30 Sitzen auf 262. Trotz deutlicher Verluste konnte die schottische Nationalpartei SNP mit 35 Sitzen ihre starke Position innerhalb Schottlands behaupten. Eine Legitimation für die angekündigte Wiederholung des Unabhängigkeitsreferendums im Falle des Brexit dürfte damit aber nicht verbunden sein. 

Verbessern konnten sich die Liberaldemokraten von vier auf zwölf Sitze. Gestärkt gingen mit zehn Sitzen auch die nordirischen Unionisten von der DUP aus dieser Wahl hervor, während die nordirischen Nationalisten auf sieben Sitze kommen, die sie aber traditionell aus Ablehnung der britischen Oberherrschaft nicht einnehmen. Die walisischen Nationalisten der Plaid Cymru kamen auf vier Sitze.

Regelrecht kollabiert bei dieser Wahl ist die Brexit-Partei Ukip. Landesweit fiel sie von 12,6 auf einen Stimmenanteil von weniger als zwei Prozent und konnte kein einziges Mandat erringen. Als erste Konsequenz trat Parteichef Paul Nuttall zurück. Ihm zufolge erfordere Ukip einen neuen Fokus und neue Ideen. Ihm selber fiel konkret keine bessere ein, als die Rückkehr von Nigel Farage als Parteichef vorzuschlagen.

May setzte in ihrer Kampagne ganz auf ihre Person und den Brexit. Doch mit einer eklatanten sozialpolitischen Fehlleistung in ihrem Wahlmanifest kam die Wende. Darin propagierte sie zum einen eine Überprüfung des Heizkostenzuschusses für Rentner, zum anderen daß ältere Menschen mit einem Vermögen über 100.000 Pfund ihre Heimpflege selbst bezahlen müßten. Als von der Basis die ersten Nachrichten über feindselige Reaktionen der Wählerschaft auf diese „Demenz-Steuer“ eintrafen, folgte in Panik der nächste Fehler. May kassierte umgehend dieses zentrale Element ihres Manifestes ein und kündigte eine Kostendeckelung der Beträge an. 

Eine geradezu einzigartige Entscheidung, denn bisher hatte es noch keine britische Partei gewagt, mitten im Wahlkampf sich derart vom eigenen Manifest zu distanzieren. Mays Glaubwürdigkeit als „strong and stable“ – stabile und standfeste – Politikerin bekam tiefe Risse.

Währenddessen konnte Corbyn mit seinem Programm der Renationalisierung von Bereichen wie der Post und des Zugverkehrs sowie der Gründung staatlicher Energieversorger Sympathien sammeln. Viele Briten sind unzufrieden mit den Ergebnissen der Privatisierungspolitik von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren. 

Wichtige Bereiche des einst öffentlichen Dienstes sind heute in ausländischer Hand und befinden sich durch mangelnde Investitionen teilweise in schlechtem Zustand. Da half es May auch nicht mehr, daß sie mit dem neoliberalen Erbe Thatchers brach und auf staatliche Intervention setzte sowie auf eine stärkere Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitnehmerschaft.

Es konnte Corbyn nicht mehr schaden, als er für den radikalislamischen Anschlag von Manchester sein Land mit der Teilnahme am „Krieg gegen den Terror“ in der Mitverantwortung sah. Genüßlich verwies die britische Presse auf wiederholte Stellungnahmen Corbyns zugunsten der Hamas, Hisbollah und IRA. 

Die Wähler focht es nicht an. Hingegen konnte Mays Ankündigung einer harten Linie nach dem zweiten Anschlag von London die Wähler nicht mehr überzeugen, nachdem Labour daran erinnerte, daß May als Innenministerin den Abbau von 20.000 Polizeistellen verfügte. Ein buhendes Studiopublikum während eines Fernsehinterviews bildete dann den Tiefpunkt in Mays Wahlkampf.

Die den Brexit befürwortende DUP ist nun in der günstigen Position des „Züngleins an der Waage“, um May die fehlenden Stimmen für eine weitere Amtszeit zu liefern. Ein Abkommen unterhalb einer formellen Koalition soll noch diese Woche ausgehandelt werden. Der Preis für die Unterstützung wird May einiges kosten, inklusive künftiger Nachforderungen der DUP. Und ein „harter Brexit“ dürfte mit der DUP aus Rücksicht auf die direkte Grenze Nordirlands zur Republik Irland nicht zu machen sein. Der letzte Versuch einer britischen Minderheitsregierung, mit Hilfe unionistischer Stimmen zu regieren, ist jedenfalls 1979 kläglich gescheitert.