© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Grüße aus Santiago de Cuba
Die Insel schrumpft
Alessandra Garcia

Nicht die Yankees rauben uns unser Land, sondern die Natur. Meine schöne Insel schrumpft Jahr für Jahr. In Varadero habe ich es selbst gesehen. Wo früher flacher Sandstrand lockte, war plötzlich eine Steilküste entstanden. Mehr als zwei Meter war die Sandmauer morgens hoch, vor der die Wellen ausliefen. Was war hier nachts los? Wer hier eine Villa direkt am Wasser besitzt, sollte sehen, daß er sie noch günstig verkauft.

Ich bin zu Besuch bei meiner Freundin Juana, die in dem von Hotels eingeklemmten Teil des Urlaubsortes, in dem die Kubaner leben, ein kleines Häuschen geerbt hatte. Genauer gesagt hatte die Familie geerbt, und sie war auserkoren worden, künftig in Varadero zu leben und vielleicht eine Pension für Ausländer einzurichten.

Aber wenn wieder ein Tropensturm „Sandy“ über die Stadt fegt, nutzt mir das nichts.

Als ich Juana auf meine Entdeckung am Strand hinweise, knallt sie mit wortlos die Granma, die dünne und langweilige Tageszeitung der kommunistischen Partei auf den Tisch. In der Bleiwüste eines Kommuniqués des Ministerrates hat sie einige Zeilen angestrichen. „Wir gehen unter“, sagt sie bedeutungsvoll. Kuba versinke im Meer.

Tatsächlich ist in dem Artikel die Rede von Überschwemmungen an der Küste, weil der Meeresspiegel steigt, von Hurrikans, Kaltfronten, Dürren und anderen extremen meteorologischen Vorkommnissen. Wissenschaftler hätten festgestellt, daß es bei uns immer heißer, trockener und extremer wird.

Das spüre ich selbst. Immer häufiger klagen selbst wir Santiagueros über die Hitze. Immer häufiger kommt kein Wasser aus der Leitung. Immer häufiger wackelt spürbar die Erde. Zu den „sehr gefährdeten Gebieten“ zählt die halbe Insel. Der Beitrag listet nicht nur den nördlichen Küstenstreifen Havannas und seine Bucht, die Sonderwirtschaftszone Mariel und den Haupttouristenort Varadero auf, sondern auch meine Heimatstadt Santiago de Cuba samt Bucht. Immerhin ist die Stadt auf Hügeln errichtet, und mein Häuschen steht noch höher als Kathedrale und Rathaus. Aber wenn wieder ein Tropensturm wie „Sandy“ über die Stadt fegt, nutzt mir das nichts.

Interessanterweise erfahre ich in dem Granma-Beitrag auch, warum es auf den Bauernmärkten immer weniger zu kaufen gibt. Kuba werde zur subhumiden Klimazone, erläutert ein Wissenschaftler: In dieser sei Pflanzenwachstum nur in fünf Monaten möglich. „Siehst du“, sage ich Juana. „Unsere Probleme haben nichts mit der Revolution und dem Sozialismus zu tun.“