© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Teuer und gefährlich, aber lukrativ
Energiepolitik: Der Einbau neuer Stromzähler bietet ungeahnte Möglichkeiten / Überwachung für zehn Euro?
Christian Schreiber

Die gute Nachricht ist: Der Stromablesedienst kommt bald nicht mehr ins Haus. Im Laufe des Jahres werden zunächst bei Firmen und Großverbrauchern ab 10.000 Kilowattstunden (kWh) „intelligente Stromzähler“ (Smart Meter) installiert. Spätestens ab 2020 werden auch schrittweise alle Privathaushalte zwangsbeglückt. Über einen Gateway (Einfahrt) werden die aktuellen Verbrauchsdaten in kurzen Intervallen (zwei Sekunden bis 15 Minuten, je nach Technik) automatisch an den Energieversorger übermittelt.

Die schlechten Nachrichten sind: Diese Tages-, Monats- und Jahresdaten werden über einen längeren Zeitraum umfassend gespeichert. Die modernen Zähler sind fernausles- und fernsteuerbar. Die momentanen Energieverbrauchsdaten sind per Internet und sogar auf einem Mobiltelefon darstellbar – was künftig orwellsche Kontroll- und Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnet.

Holger Schneidewindt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen warnt, in Forschungslaboren sei es gelungen, am Energieverbrauch abzulesen, welche Fernsehsendung man gesehen hat. Werner Beba, Marketingprofessor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, warnte im NDR, daß Kriminelle auf die Daten zugreifen könnten. Es lasse sich so erkennen, wann sich der Stromnutzer zu Hause aufhalte. Die Gefahr von Einbrüchen würde ebenso steigen wie die Möglichkeit, tiefe Einblicke in den Alltag der Nutzer zu erhalten.

Tageszeitabhängige Tarife in Vorbereitung

Und die der „Klimakanzlerin“ Angela Merkel und ihren Ministern Philipp Rösler (FDP/Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes 2013) sowie Sigmar Gabriel (SPD/Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende) zu verdankenden Spitzelzähler gibt es nicht umsonst: Ihr Ersteinbau kostet 70 bis 120 Euro. Hinzu kommen monatliche Kosten von zehn Euro – sprich: zur Jahresstromrechnung für einen Durchschnittshaushalt von über tausend Euro werden zwölf Prozent obendrauf gepackt.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2000 kosteten die der Berechnung zugrunde gelegten 3.500 kWh nur 950 D-Mark. Zudem läßt sich die Ausgereiftheit der Technik bezweifeln. Frank Leferink, Professor für Elektrotechnik an der Universität Twente/Enschede, hat mit Forschern der Amsterdam University of Applied Sciences neun zugelassene Smart Meter unterschiedlicher Meßtechnik getestet.

Beim Einsatz dimmfähiger LED- und Energiesparlampen ermittelten einige Zähler einen um bis zu 582 Prozent zu hohen, andere einen um 46 Prozent zu niedrigen Stromverbrauch. Angesichts von Großverbrauchern wie Waschmaschine, Trockner oder Herd mag das wenig ins Gewicht fallen, doch auch die Haftungsfrage bei Überspannungsschäden (etwa durch Blitzeinschlag) ist bislang ungeklärt. Die Hausratversicherung ist dafür jedenfalls nicht zuständig.

Die Politik wischt solche Einwände mit dem Energiewende-Argument beiseite. Die Energie- und Elektrokonzerne werben für den Smart-Meter-Einbau mit dem Argument Stromsparen: Die Digitaltechnik „ermöglicht es den Verbrauchern, zu erkennen, wo bestimmte Verbrauchsspitzen auftreten“, erklärte Andreas Feicht, Chef der Wuppertaler Stadtwerke und Vizepräsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), in der Welt. Dies sei etwa der Fall, wenn die Waschmaschine laufe. Geld sparen läßt sich aber nur dann, wenn die alten Stromfresser gegen sparsame Neugeräte ausgetauscht werden.

Smart Meter sind aber vor allem die Voraussetzung für tageszeitabhängige Strompreise. Privatverbraucher können dann in der Nacht oder am Wochenende sparen – in der anderen Zeit müssen sie dann allerdings kräftig draufzahlen. Auch wenn der Wind stark bläßt oder die Sonne unbarmherzig scheint, sind künftig temporäre Tarifsenkungen denkbar. Um in deren Genuß zu kommen, sind aber weitere Neuinvestitionen unausweichlich.

Miele bietet die entsprechende Hausgerätevernetzung als „SmartStart“ an: „Die Waschmaschine startet erst dann, wenn der Strom besonders günstig ist. Das schont den Geldbeutel und sorgt für eine gleichmäßigere Auslastung der Stromnetze.“ Konkurrent Bosch wirbt dafür unter dem Namen „Home Connect“. Panasonic hat sein „Smart Home“ mit „Allianz Assist“ verknüpft: Der Versicherungskonzern bietet diverse Sicherheits- und Überwachungsmöglichkeiten an. Wer sich dem verweigert, muß im Zweifel künftig den Standardtarif für die teuren Erdgaskraftwerke oder für Stromimporte zahlen und gleichzeitig mehr für seine Versicherungspolicen lockermachen.

Bis 2032 müssen Smart Meter alle herkömmlichen mechanischen Meßgeräte (Ferraris-Zähler) ersetzen. Studien der EU-Kommission schwärmen von einem Stromeinsparpotential von neun Prozent. Verbraucherschützer rechnen anders: Zahlt ein Zwei-Personen-Haushalt 50 Euro monatlich für Strom, muß die Einsparung bei über 20 Prozent liegen, um überhaupt ins Gewicht zu fallen. Die teuren Smart-Home-Anwendungen nutzen bislang nur eine halbe Million Haushalte in Deutschland. Welches Gefahrenpotential eine flächendeckende Vernetzung aller Häuser und Wohnungen birgt, wurde kaum untersucht – Blackout und Cyberangriffe sind nur zwei Stichworte.

Aktuell geht es noch um eher Profanes: „Es ist davon auszugehen, daß ganze Zählerschränke ausgetauscht werden müssen. Dadurch können Kosten von mehreren tausend Euro entstehen, die zunächst der Hauseigentümer trägt“, erklärt Corinna Kodim vom Eigentümerverband Haus & Grund. Über steigende Mieten landen diese allerdings früher oder später auch beim Mieter.





Digitalisierung der Energiewende

Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende „setzen wir das Startsignal für Smart Grid, Smart Meter und Smart Home in Deutschland und ermöglichen so die digitale Infrastruktur für eine erfolgreiche Verbindung von über 1,5 Millionen Stromerzeugern und großen Verbrauchern“, wirbt das Bundeswirtschaftsministerium. Mit den neuen Stromzählern („Smart Meter“) und der Hausgerätevernetzung solle „die sichere und standardisierte Kommunikation in den Energienetzen der Zukunft“ ermöglicht werden: Ein Energieversorgungssystem, bei dem in erster Linie wetterabhängig erzeugter Strom aus erneuerbaren Energien (Wind, Photovoltaik) verbraucht werde, müsse flexibel reagieren können. „Daher benötigt es Informationen über Erzeugungs- und Verbrauchssituationen“, argumentiert das Ministerium. Die „intelligenten Meßsysteme“ ermöglichten variable Tarife und gleichzeitige Ablesung der Sparten Gas sowie Heiz- und Fernwärme.

Faktenblatt „Intelligente Meßsysteme“:  bmwi.de/

Studie „Static energy meter errors caused by conducted electromagnetic interference“: ieeexplore.ieee.org