© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Afghanin, Christin – tot
Verbrechen: Spurensuche im Mordfall Farimah S. / JF spricht exklusiv mit dem ältesten Sohn der in Prien am Chiemsee erstochenen Mutter
Martina Meckelein

Vor sechs Wochen stirbt die 39jährige Farimah S., Mutter von vier Kindern. Erstochen. Am hellichten Tag. Auf offener Straße. Vor den Augen ihrer kleinen Söhne. Der Täter, ein Landsmann: Hamidullah M. (29), Asylbewerber aus Afghanistan. Der Fall, sicherlich auch durch seine Grausamkeit, erregt die Medien. Doch das vermutliche Motiv läßt sie schnell wieder schweigen. Denn es geht nicht um ein Verbrechen aus Habgier oder die sogenannte Ehre. Es geht wahrscheinlich um Haß auf Christen. „Die Ermittlungen hinsichtlich der Motivlage dauern an“, sagt Kriminalhauptkommissar Jürgen Thalmeier, Pressesprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Oberbayern Süd gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Dazu gehören auch Nachforschungen, ob möglicherweise ein  religiöses Motiv eine Rolle spielt.“ Ist eine Frau mit ihrer ganzen Familie vor einer todbringenden Verfolgung viele tausend Kilometer geflohen, um dann in Deutschland Opfer eben dieser Verfolgung zu werden? Verschließt ein großer Teil unserer Gesellschaft die Augen vor einer gefährlichen Realität? Die JUNGE FREIHEIT hat sich auf Spurensuche begeben.

„Ich sah ihn das letzte Mal vor ein paar Wochen“, sagt Peyman S. (20), der älteste Sohn der ermordeten Mutter, zur JF. „Er trank viel Alkohol, nahm Kokain. Immer wenn er mich sah, sagte er zu allen Afghanen, er saß immer mit welchen zusammen, „das ist der Sohn der Christin“ und zeigte mit dem Finger auf mich.“ Der Mann, der mit dem Finger auf Payman zeigte, ist der Killer von Peymans Mutter.

Die Tat. Prien, Landkreis Rosenheim, am 29. April 2017. Ein Samstag, später Nachmittag. Vor dem Lidl-Markt scheppern die Einkaufswagen. Familien tragen volle Tüten und Körbe nach Hause. Am nächsten Tag ist der 1. Mai. Das Wetter soll gut werden. Farimah S. tritt mit ihren beiden kleinen Söhnen (11) und (5) aus dem Supermarkt auf die Straße. Auf einer nahen Parkbank sitzt Hamidullah M. In dem Moment als er die Frau erblickt steht er auf, geht von hinten auf sie zu. Mit einem „langen Küchenmesser“, so die Polizei, sticht er der Frau von hinten in den Kopf, dann schneidet er ihr in den Hals. Schreiend bricht sie zusammen. Immer wieder sticht Hamidullah auf die am Boden Liegende ein. Ihre Kinder sehen alles mit an. Mehrere Notrufe gehen um 18.45 Uhr in der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd ein.

Die Todesschreie hören auch die Kunden im Supermarkt. Ein Polizist, der nicht im Dienst ist, stürmt aus dem Markt. Er kann mit Hilfe anderer Zeugen den Täter überwältigen. Eine zufällig anwesende Krankenschwester leistet Farimah S. Erste Hilfe. Von weitem sind schon Polizei- und Notarztsirenen zu hören. Doch für Farimah S. kommt jede Hilfe zu spät. Sie stirbt an „multiplen Stich- und Schnittverletzungen“, ergibt die Obduktion. Hamidullah M. wird festgenommen. Schnell gibt es Gerüchte in der kleinen Stadt (10.000 Einwohner), daß es ein Mord aus Christenhaß ist. Das vermuten sehr früh die Cousine und die Schwester der erstochenen Frau und auch Farimah S. ältester Sohn Peyman. Er arbeitet als Koch in einem Restaurant in Prien.

Das Opfer. Farimah S. ist gelernte Schneiderin und Mutter von vier Söhnen (20, 19, 11, 5 Jahre). Sie ist anerkannter Flüchtling. Sie ist geschieden, Protestantin, engagiert sich ehrenamtlich in der evangelischen Kirchengemeinde des Ortes. Weil sie hervorragend Deutsch spricht, arbeitet sie als Übersetzerin für Asylbewerber. „Meine Mutter war hier bekannt unter den Flüchtlingen, sie fiel auch auf, war die einzige afghanische Christin in Prien“, sagt ihr Sohn Peyman.

Die Konversion. „Meine Mutter ist in Herat in Afghanistan geboren worden“, erzählt Peyman S. „Sie wurde schon in Afghanistan, vor sechs Jahren, Christin. Meine Mutter ist als einzige ihrer Familie übergetreten. Sie mußte deshalb aus Afghanistan weggehen.“ Als Konvertitin in Afghanistan weiterzuleben wäre für sie lebensgefährlich geworden. „Wenn du einen anderen Glauben annimmst, machen die dich tot. Du darfst keinen anderen Glauben als den deines Vaters haben.“ Gefährlich ist es aber nicht nur für die Konvertitin geworden. „Für die ganze Familie ist das dann in Afghanistan problematisch. Dabei ist mein Vater Moslem geblieben. Aber wir mußten alle gehen“, erinnert sich Peyman. „Außerdem wollte mein Vater meine Mutter nicht alleine gehen lassen, sie war damals schwanger, und mein Bruder und ich, wir waren ja noch jung. Und so sind wir alle vier nach Deutschland gegangen.“

Für Farimah S. und ihre Familie bedeutete der Entschluß einen absoluten Bruch mit der Heimat. „Wir kamen nach Deutschland und hatten nie wieder Kontakt zu unserer Familie in Afghanistan. Die Tanten haben auch niemals mehr angerufen. Die hatten Angst, sagte mir meine Mutter immer. Denn deren Männer sagen denen, daß sie nicht mit uns telefonieren dürfen. Am Tag nach der Beerdigung unserer Mutter rief das erstemal eine Tante an und hat Beileid gesagt. Und mein Opa, der Vater meines Vaters, hat eine Trauerfeier für meine Mutter in Afghanistan gemacht.“

Der Täter. Hamidullah M. (29) lebt seit 2013 in Deutschland, seit drei Jahren in Prien. Ende 2016 bekommt er einen Ablehnungsbescheid seines Asylantrags, hat hier nur eine Duldung. Bis zur Tat wohnt er in einer dezentralen Unterkunft (Drei-Zimmer-Wohnung, insgesamt fünf Männer). Er ist seit dem tödlichen Messerangriff in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht. 

Das Motiv. Vor der Kripo hat der Täter die Tat zwar eingeräumt, schweigt allerdings zum Motiv. „Die Staatsanwaltschaft hat noch keine Anklage erhoben“, sagt Kriminalhauptkommissar Thalmeier. 

Der Sohn des Opfers ist sich sicher, daß seine Mutter sterben mußte, weil sie als Afghanin zum Christentum konvertiert ist. Er sagt über den Täter: „Der hat vor kurzem mit meinen Freunden geredet über den Glauben – im Zug. Das erzählten sie mir“, sagt Peyman. „Er sagte, nur Moslems sind gut. Es ging seit einiger Zeit bei ihm nur noch um Moslems, Moslems, Moslems.“

Der Abschied. Die Abendzeitung München zitiert am 4. Mai aus der Trauerrede des Pfarrers Karl-Friedrich Wackerbarth: „Es ist genau das passiert, wovor wir alle Angst hatten, ein Mord, der Vorurteile und Ängste schürt.“ Wackerbarth ließ es sich nicht nehmen, anschließend auch für den Täter zu beten

Seit der Beerdigung seiner Mutter ist der jüngste Sohn von Farimah S. wieder zu Hause. „Er war die Tage bei seiner deutschen Omi, sie hat ihn mit aufgezogen“, erzählt Peyman. „Sie sagte mir, er habe die ganze Zeit immer wieder nur drei Worte gesagt: ‘Mutti ist tot.’“





Christenverfolgung in Deutschland 

„Ich kenne den Fall“, sagt Paulus Kurt (52), Arbeitskreisleiter für Flüchtlingsfragen vom Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland (ZOCD). Daß ein religiöses Motiv hinter der Tötung steht, hält er für durchaus wahrscheinlich. „Die Kirchen wissen, was hier passiert. Wir haben sie oft informiert. Aber die sagen, es ist nicht so, wie ihr das wahrnehmt. “ Weltweit bieten Hilfsorganisationen wie die Aktion für verfolgte Christen und Notleidende (AVC), die Europäische Missionsgemeinschaft (EMG), Open Doors oder eben der ZOCD verfolgten Christen Schutz und Hilfe an. „Schon vor der Flüchtlingsflut“, sagt Kurt, „hatten wir das Problem der Christenverfolgung in Asylunterkünften. Seit der Flüchtlingswelle 2015 hat sich die Situation allerdings europaweit dramatisch verschlechtert.“ Nur zehn Prozent der nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge seien Christen, schätzt er. „Christenhaß ist für uns orientalische Christen nichts Neues. Aber in Deutschland hat es eine andere Dimension.“ Radikale Muslime in den Flüchtlingsheimen „organisieren sich hier ungehindert, radikalisieren sich weiter und können sich ohne Angst bewegen. Und sie bekommen weiter Zulauf.“