© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Pankraz,
die Spur der Ahnen und der Samenspender

Ahnenforschung ist zu einer der beliebtesten, am eifrigsten betriebenen Freizeitbeschäftigungen geworden, nicht nur bei Schwarzen in Amerika, sondern auch bei den Weißen in Deutschland. Eine ganze diesbezügliche Wirtschaftsbranche hat sich hierzulande schon entwickelt. Im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gibt es eine spezielle Fernsehreihe, „Auf der Spur der Ahnen“, die stattliche Einschaltquoten erzielt. Die dort gezeigten Forschungsmethoden sind sehr vielfältig, reichen vom Schnüffeln in alten Dokumenten bis hin  zum peniblen Abgleichen umfangreicher DNA-Analysen.

Einen kleinen Dämpfer hat der Betrieb soeben in den Niederlanden erlitten. Dort kam  heraus, daß der Leiter einer angeblich hochseriösen Samenbank, ein bis dato angesehener Arzt, jahrelang schwersten Betrug begangen hatte. Statt die von seinen Kundinnen abgelieferten Eier mit dem von ihnen ausgewählten Samenzellen zu befruchten, besamte er sie mit seinen eigenen. Er habe somit, so rühmte er sich nach seiner Entlarvung, mindestens sechzig Kinder gezeugt und sei also der wahre Ahnherr mancher seiner Klienten. Diese hörten das, wie man ihnen gut nachfühlen kann, gar nicht gern.

Pankraz erinnert die Affäre an ein „Narrativ“, das lange im Kurfürstentum Sachsen, später im Freistaat, umging. Dessen Herrscher während des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, August II., nicht grundlos genannt „August der Starke“, habe ein inniges Vergnügen darin gefunden, beim Ritt über die zum Schloß führende Augustusbrücke in Dresden alle möglichen hübschen Mädchen, die ihm dort begegneten, einsammeln und aufs Schloß bringen zu lassen, wo er dann mit ihnen schlief. Die meisten Mädchen fühlten sich übrigens dadurch geschmeichelt. 


In der Kommunistenzeit hieß die Brücke „Dimitroffbrücke“, benannt nach einem führenden bulgarischen Kommunisten. Aber der Volksmund erfand damals umgehend eine ganz andere Deutung für die Umbenennung. „Dimitroff“ müsse,  hieß es in vorsichtigem Flüsterton, wie „die mit roff!“ (sächsisch für „die mit herauf“) ausgesprochen werden und verewige also auf versteckte Weise lediglich die Erinnerung an den – im Gegensatz zu Dimitroff – viel beliebteren einstigen Herrscher, indem es seine Zurufe an die ihn begleitenden Domestiken, welche die Mädchen einladen sollten, nachahme.

Wie auch immer, eine häufige Scherzrede im MDR lautet jedenfalls, daß ein gut Teil der heutigen Sachsen wohl direkt von August dem Starken abstamme, daß jede Spur der Ahnen letztlich bei den Genen des legendären Kurfürsten enden müsse. Leider aber kennt man weder die kurfürstliche DNA, noch sind seine berühmt-berüchtigten Dresdener „Brückensprünge“ in alten Dokumenten verzeichnet. Die Ahnensuche im deutschen Fernsehen endet mithin viel früher: in der Regel bei irgendwelchen Opas oder Uropas der Anfragenden, die laut Parteibuch-Eintrag allenfalls Nazis gewesen seien.

Trotzdem hält der Drang zur Ahnenforschung unverändert an, und zwar offenbar weltweit. Der angeblich voll globalisierte und prinzipiell überall mit gültigen Menschenrechten ausgestattete Erdbewohner ist mit solchen Allgemeinsprüchen nicht mehr zufrieden und begehrt dagegen auf. Er weiß, was die ihn belehren und beherrschen wollenden Ideologen bewußt ignorieren: daß der Mensch, um einer zu sein, eine ihn umgebende Abstammungs- und Traditionsgemeinschaft braucht, ein Ensemble aus gemeinsamer Sprache und halbwegs dauerhaften Grundverhältnissen aus Gewohnheiten, Vorlieben, vertrauten Gestalten.

Dergleichen trifft keineswegs nur auf die sogenannte Plebs zu, der im Grunde alles  Interessante und Ungewöhnliche egal ist, sondern auch auf die geistig Anspruchsvollen, die scharf sind auf neue Eindrücke, Abenteuer, Herausforderungen. Gerade sie brauchen originär eine feste Verwurzelung in vertrauten Phänomenen und Verhältnissen, an denen sie alles Neue beurteilen können. Pankraz kennt keinen einzigen Migranten, ob Emigrant oder Immigrant, der neue Welten erkunden oder sich in sie einwohnen wollte, weil er sich selbst für ein unbeschriebenes Blatt, eine sinnlich und geistig leere Flasche hielt.


Der ausgezeichnete Oxforder Zoologe und Ahnenforscher Richard Dawkins (76) hat es schon vor geraumer Zeit überzeugend auf den Nenner gebracht: Ahnenforschung ist – auch was die genetische Seite der Angelegenheit betrifft – keine vorrangig biologische Disziplin, sondern eine strikt soziologische,  durch und durch kulturelle. Sie erforscht die Bedingungen und Gründe, denen einst der „ancestor“, also der stolze Urahn, das Oberhaupt einer Familie, eines Stammes oder einer jungen, sich gerade formierenden Nation beim Sich-Verheiraten und Nachkommen-Erzeugen folgte. 

Der „ancestor“ bevorzugte Partnerinnen mit Merkmalen, die ihm ganz persönlich gefielen, entweder weil er sie zufällig selber trug oder weil sie ein ihn faszinierender Gegensatz zum Eigenen waren. Auch genuin politische Gründe spielten schon früh eine Rolle, Bündnissuche oder sonstiges strategisches Kalkül. Und die Stammesangehörigen folgten dem „ancestor“ in seinen erotischen und sexuellen Antrieben, nicht weil die Natur das vorgab, sondern weil Nummer eins ein Vorbild abgab, das zum Wettbewerb, zum Machterwerb  und zur Nachahmung reizte.

Der Leser merkt: Sich auf die Spur der Ahnen zu setzen, hat tatsächlich mehr mit August dem Starken zu tun als mit den aktuellen Umtrieben selbstvermehrungssüchtiger Samenbank-Direktoren. Man will am Ende der Spur nicht irgendwelchen albernen Zufällen begegnen, sondern einer Ahnenstrecke mit guten erträglichen Identitätsangeboten, auf die man eventuell sogar etwas stolz sein kann.

Das gilt für die Schwarzen in den USA, die nicht mehr nur „Afro-Amerikaner“ mit Sklavenvergangenheit sein wollen, es gilt aber nicht weniger für die Deutschen, die von der offiziellen, jede Identifizierung bewußt zerstörenden „Vergangenheitsbewältigung“ die Nase gründlich voll haben. Was zuviel ist, ist zuviel.