© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Islamischer Judenhaß etabliert sich als Tabuthema
Öffentlich-Rechtliche: WDR und Arte weigern sich eine Dokumentation über Antisemitismus auszustrahlen
Ronald Berthold

Rund 165.000 Euro an Gebührengeldern haben Arte und der WDR für die Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Haß auf Juden in Europa“ bezahlt. Doch die Sender weigern sich, den Film auszustrahlen. Dabei kommen alle, die ihn gesehen haben, zu dem einhelligen Urteil, der 90minütige Beitrag sei „hervorragend“. Was steckt hinter der Ablehnung? Ist sie „politisch motiviert“, wie die Jüdische Rundschau mutmaßt?

Die Öffentlich-Rechtlichen wünschten sich einen Beitrag über Antisemitismus „in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Ungarn und Griechenland“ – offenbar mit den üblichen Verdächtigen, alten und neuen Nazis. Doch die Autoren Joachim Schröder und Sophie Hafner drehten auch im Nahen Osten und sprachen nicht nur mit Rechtsextremen, sondern auch mit Einwanderern.

Sie analysierten den Antisemitismus auch als ein Problem muslimischer Zuwanderung. Ausgewogen also? Aus Sicht der Sender mitnichten. Die Produzenten hätten die Schwerpunktsetzung „eigenmächtig verändert“, und damit leide die „Ausgewogenheit des Projekts“, so Arte-Programmdirektor, Alain Le Diberder. WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn sprang ihm bei: „Wenn er aus formellen Gründen das Projekt in der vorliegenden Form nicht annimmt, respektiere ich diese Entscheidung.“

Waren es Szenen, wie diese, die dem Film den Garaus machten? Der Zuschauer sieht Muslime in Berlin, während sie rufen: „Juden ins Gas!“ und „Tod den Juden!“ Die in anderthalb Jahren gedrehte Doku zeigt auch eine Reihe antisemitisch motivierter Anschläge und Morde in Frankreich und Belgien, alle von islamischen Gläubigen begangen. Daß auch Verschwörungstheoretiker aus dem rechtsradikalen Milieu zu Wort kommen, die hinter den USA eine geheime zionistische Macht sehen und sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ beziehen, konnte den Film nicht mehr vor dem Zensurstift retten.

Besonders heikel: Auch den zahlreichen vom Westen unterstützten Nichtregierungsorganisationen, die im Nahen Osten zum Boykott gegen Israel aufrufen, widmen sich die Autoren. Hinzu kam die Berichterstattung über den Judenhaß altlinker Aktivisten. War das alles zuviel für öffentlich-rechtliche Anstalten, die als Antisemiten gern den Glatzkopf mit Springerstiefeln präsentieren? 

Die Zeiten, in denen der Zentralrat der Juden bei Journalisten als moralische Instanz galt, sind vorbei. Seine Rolle hat der Zentralrat der Muslime eingenommen. Er darf sich als Opfer darstellen. Daß sich unter seiner Klientel – nicht nur hinsichtlich des Antisemitismus‘ – auch Täter befinden, thematisieren die Sender fast nie. Daher war es absehbar, daß auch der Protest des jüdischen Zentralratsvorsitzenden bei Arte kein Gehör finden würde. Josef Schuster zeigte sich verwundert, „wie formale Gründe einer so wichtigen Dokumentation im Weg stehen“ könnten. Er bat Le Diberder darum, „die Entscheidung zu überdenken“. Dieser antwortete kühl, die Ablehnung sei „kein Formalismus, sondern eine Entscheidung, die die editoriale Qualität und Verantwortung des Senders“ sicherstelle. 

Eine Entscheidung, die auf Unverständnis stößt. Der Antisemitismus-Experte Gerd Buurmann, der sich den Film anschaute, urteilt: „Eine so umfassende Dokumentation über die Wurzeln des aktuellen Judenhasses im Europa des frühen 21. Jahrhunderts habe ich noch nie auf einem öffentlich-rechtlichen Sender gesehen.“ Es sei „ein Skandal, daß sich Arte und der WDR weigern, die Dokumentation zu zeigen“.