© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Stark leckgeschlagen
Medway-Überfall: 1667 erschütterten die Niederlande Englands Vormachtstellung auf den Weltmeeren
Jan von Flocken

Randalierer sägen Ende Juni 1667 vor dem Londoner Palast des Lordkanzlers Edward Hyde, Graf von Clarendon, sämtliche Bäume ab, werfen dem vornehmen Herrn die Fenster ein und errichten einen symbolischen Galgen. Die Wohlhabenden beginnen ihr Eigentum ins Ausland zu schaffen, „weil keine Aussicht auf Rettung mehr besteht und das Königreich bis zum Hals in Schulden steckt“, berichtet Samuel Pepys, Beamter an der Königlichen Marineverwaltung und eifriger Tagebuchschreiber.

London hatte fürchterliche Monate durchlitten. Nach einer Pestepidemie 1665 nahezu entvölkert, verheerte Anfang September 1666 die schlimmste Feuersbrunst seit Menschengedenken Englands Metropole. Mehr als 13.000 Häuser und Hunderte Einwohner waren den Flammen zum Opfer gefallen. Kaum neun Monate später drohte die nächste Katastrophe. Eine niederländische Kriegsflotte war in die Themsemündung eingelaufen. Seit 600 Jahren, seit den Tagen von Wilhelm dem Eroberer, hatte London keinen auswärtigen Feind mehr vor seinen Toren gesehen, doch nun, im Sommer 1667, beschossen die Holländer bereits mehrere Vorstädte der Hauptstadt und kaperten ungehindert gegnerische Schiffe.

Die englische Kriegsmarine, genannt „Royal Navy“, hatte sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts zur Beherrscherin der Weltmeere aufgeschwungen. Doch die aufstrebende Kolonialmacht der Niederlande, damals als „Generalstaaten“ bezeichnet, bot den Engländern erfolgreich Paroli, vor allem weil sie über entsprechende Geldmittel, moderne Schiffe und hervorragende Flottenführer wie die Admirale Michiel de Ruyter und Cornelis Tromp verfügten. Seit 1655 lagen die beiden Seemächte fast pausenlos im Kampf, der mit unterschiedlichen Erfolgen geführt wurde.

Englands damaliger Diktator Oliver Cromwell hatte mit der „Navigationsakte“ (Navigation Acts) 1651 eine Konfrontation mit der ausländischen Frachtschiffahrt ausgelöst. Demgemäß durften sämtliche Importwaren nur noch auf englischen Schiffen transportiert werden. Außerdem verlangte die Akte, daß sich selbst Kriegsschiffe von den Engländern nach möglichen Spionen oder Schmuggelwaren durchsuchen lassen sollten.

1664, jetzt herrschte im Land mit Karl II. wieder ein König, wurde dieses Gesetz erweitert durch die Bestimmung, daß englische Kolonien ausschließlich von Schiffen und Besatzungen des Mutterlandes versorgt werden dürften. Und dies „unter Strafe des Verlustes sämtlicher Güter, welche im Widerspruch zu diesem Gesetz eingeführt werden sollen, als auch des Schiffes selbst“. Dies richtete sich in erster Linie gegen den Außenhandel der Niederlande. Er benötigte große Geleitzüge, um die einheimische Wirtschaft in Gang zu halten. Für den Erhalt der Flotte war man auf den Import vieler Rohstoffe wie Holz oder Teer angewiesen und für die Ernährung waren die Anlandungen großer Fischfangflotten aus der Nordsee entscheidend. Solche Geleite mußten den Hoofden nördlich der Straße von Dover passieren; die Ostindiengleitzüge hatten den Ärmelkanal zu durchlaufen, der von den Engländern jederzeit blockiert werden konnte.

Im Sommer 1666 schien sich eine Entscheidung des Konfliktes anzubahnen. Der vernichtende Brand von London zwang den Staat zu drastischen Sparmaßnahmen, um den Wiederaufbau der Hauptstadt zu finanzieren. Außerdem hatte der Krieg gegen die Niederlande nicht die erwarteten Gewinne eingebracht. Das Parlament weigerte sich, neue Gelder für die Flottenrüstung zu bewilligen, nachdem sich auch noch herausgestellt hatte, daß ein Teil der Summe illegal in die kostspielige Hofhaltung von König Karl II. geflossen war. Nun mußten viele Linienschiffe, die mit ihren drei Kanonendecks kampfkräftigsten Einheiten der Navy, stillgelegt werden. Im Juni 1666 gewannen die Niederländer unter Admiral de Ruyter eines der heftigsten Seegefechte des Jahrhunderts, die sogenannte Viertageschlacht nördlich des Ärmelkanals. Dabei büßten die Engländer unter Admiral George Monck zehn Schiffe, 5.000 Tote und 1.900 Gefangene ein. Einen Monat später verloren sie weitere Schiffe während der Schlacht von North Foreland.

Zugeständnisse Englands im Frieden von Breda 

Die Zwangslage des Feindes nutzte de Ruyter mit einer spektakulären Demonstration der eigenen Stärke aus. Am 19. Juni 1667 lief er mit 24 Linienschiffen und 35 kleineren Einheiten in die Themse-Mündung ein. Holländische Marineinfanteristen eroberten die Hafenstadt Sheerness, zerstörten sämtliche Werften und erzwangen die Einfahrt in den Themse-Nebenarm Medway, wo zahlreiche englische Kriegsschiffe vor Anker lagen. De Ruyters Streitmacht brachte das 100-Kanonen-Linienschiff „Royal Charles“, den Stolz von Britanniens Flotte, auf und versenkte unter anderm die Großkampfschiffe „Royal James“, „Loyal London“ und „Royal Oak“. 

Dieser „Raid on the Medway“ war die größte Demütigung für die Königliche Marine. „Wir sind völlig geschlagen, haben zahlreiche Schiffe und gute Kommandeure verloren – und nicht ein einziges Schiff des Feindes versenkt“, notierte Samuel Pepys konsterniert. Als de Ruyters Flotte dann auch noch am 6. Juli vor der Hafenstadt Gravesend auftauchte und sie bombardierte, brach die Bevölkerung von London in Panik aus. Damit war das Maß voll, und die Engländer schlossen kaum drei Wochen später den Frieden von Breda, mit dem sie aus dem sogenannten Zweiten Englisch-Niederländischen Krieg noch relativ glimpflich davonkamen.

Im Land setzte nun ein intensiver Bau von Kriegsschiffen ein, damit eine Schmach wie im Sommer 1667 sich nie mehr wiederholen konnte. Aber der geniale Admiral Michiel de Ruyter wehrte zwei Invasionsflottendes englischen Flottenkommandeurs Herzog James von York, einem Bruder von König Karl II., im Juni 1672 an der Solebay und im August 1673 bei Kamperduin vor der Insel Texel ab.