© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/17 / 16. Juni 2017

Widerstandsnester in Dresden, Greifswald und Zittau
Der deutsche Diplom-Ingenieur kehrt zurück / Beim Modellversuch an der TU Ilmenau läuft das zweite Semester
Paul Leonhard

Die Einstiegsgehälter für Ingenieure sind wieder gestiegen. Berufseinsteiger verdienen im Schnitt 46.500 Euro, das war ein Plus von mehr als zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das geht aus der „Einkommensstudie 2017“ des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) hervor. Mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung waren es sogar 61.600 Euro. Allerdings war die Spannbreite hierbei erheblich: In Chemie- und Pharmaindustrie betrug das Jahresentgelt durchschnittlich 83.060 Euro, der IT-Bereich lag mit 63.680 Euro im Schnitt. Ingenieurbüros und das Baugewerbe boten in der Regel kaum mehr als 50.000 Euro.

Dabei düfte es gar keine Ingenieure mehr geben, denn seit 2010 gibt es den „Europäischen Hochschulraum“, der Europa sowie die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die Türkei vereint. Statt dem Dipl.-Ing. gibt es seither die Hochschulgrade Bachelor of Science (B.Sc.), Bachelor of Engineering (B.Eng.) sowie den Master of Science (M.Sc.) bzw. Engineering (M.Eng.).

Nur Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben beim sogenannten Bologna-Prozeß anhaltenden Widerstand geleistet. Deren Hochschulgesetze erlauben weiterhin den Abschluß Diplom. Die FH Zittau/Görlitz bietet Diplome in Wirtschaftsingenieurwesen, BWL, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Maschinenbau und Umwelttechnik an. Die TU Dresden freut sich über viele Studenten, weil sie als einzige der neun großen technischen Universitäten den Dipl.-Ing. beibehalten hat. Zum Wintersemester 2014/2015 wurden die Bachelor-/Masterstudiengänge Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsinformatik wieder auf Diplom umgestellt.

Akademische Ausbildung mit mehr Selbstverantwortung

An der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifwald können Master-Absolventen in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen selbst entscheiden, ob sie den Titel M.Eng. oder Dipl.-Ing. führen wollen. Das rot-rot-grüne Thüringen zog vor einem Jahr nach: Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee, selbst Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, erlaubte der TU Ilmenau einen sechsjährigen Modellversuch. In Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Maschinenbau können sich Abiturienten nun wieder für das Diplomstudium anmelden.

Die neuen Diplomstudiengänge böten „selbstverantwortlichen“ Studenten eine „auf sie persönlich zugeschnittene akademische Ausbildung“, wirbt die am Nordrand des Thüringer Waldes gelegene Hochschule. In den einzügigen zehnsemestrigen Studiengängen ließen sich Haupt- und Nebenfach flexibel kombinieren und „artfremde“ Nebenfächer auswählen – „zum Beispiel Japanologie, wenn dies für eine künftige berufliche Karriere sinnvoll erscheint“.

Die Studenten könnten bis zu vier Semester im Ausland verbringen und dort auch die Diplomarbeit schreiben oder ein Fachpraktikum absolvieren. Am Ende des Studiums werde der „international anerkannte Grad Diplom“ mit der Berufsbezeichnung „Diplom-Ingenieur“ verliehen. Die Gleichwertigkeit mit dem Master werde auf der Abschlußurkunde zusätzlich vermerkt. Die Diplomerlaubnis für Ilmenau sei ein „zusätzliches Angebot neben dem bewährten Bachelor- und Mastersystem“, betont SPD-Politiker Tiefensee. „Am Bologna-Prozeß wird nicht gerüttelt.“ TU-Rektor Peter Scharff mußte daher versprechen, daß es sich „um keine Wiederaufnahme der alten Diplom-Studiengänge, sondern im besten Sinne um eine Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses“ handelt. Dennoch hat sich Jürgen Petzoldt, Prorektor für Bildung, den Titel „Diplom-Ingenieur der TU Ilmenau“ markenrechtlich schützen lassen.

Für Maschinenbauprofessor Stefan Odenbach ist Ilmenau nur eine erste Wegmarke: „Falls auch renommierte Adressen wie die Technische Hochschule in Aachen nachziehen, dann wird sich dieser Prozeß beschleunigen“, erklärte der Studiendekan der TU Dresden in der FAZ. Derzeit werden noch etwa 160 Diplomstudiengänge in technisch-ingenieurwissenschaftlichen sowie in künstlerischen und kirchlichen Studiengängen angeboten – darunter auch vier in Thüringen: Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar, Evangelische Theologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Kirchenmusik A und B an der Hochschule für Musik in Weimar.

Einkommensstudie 2017 für Ingenieure: ingenieurkarriere.de

Studienberatung der TU Ilmenau: tu-ilmenau.de