© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Feldherr der Invasion
Michael Paulwitz

Entrückt in ihren Glaspalästen, von keinem kontrolliert und nur den Regeln der eigenen Nomenklatura verpflichtet, brüten die unscheinbarsten Bürokratengehirne oft die ungeheuerlichsten Ideen aus. Außerhalb der Brüsseler Bürotürme kennt kaum jemand den deutschen Juristen Matthias Ruete, der seit drei Jahren als Generaldirektor für Migration und Inneres die EU-Einwanderungspolitik lenkt.

In der papierenen Eurokraten-Zahlenwelt sind Menschen keine Individuen, die unterschiedlichen Kulturen und Wertesystemen angehören, sondern austauschbare Nummern. Die zu „Flüchtlingen“ und „Schutzsuchenden“ verklärten Einwanderer sind in Ruetes EU-Technokraten-Jargon längst zur statistischen Verfügungsmasse geworden. „Neusiedler“ nennt er sie ganz unverblümt in einem seiner raren Interviews gegenüber dem Uni-Journal der Marburger Philipps-Universität, an der er einst Jura studiert hatte.

Deren Integration soll im „Idealfall“ schon in Asien und Afrika beginnen, also „noch vor der Abreise“. Den Mitgliedstaaten gesteht Ruete zwar noch die „primäre Zuständigkeit“ zu, aber als waschechter Eurokrat will er das Asylsystem in Europa zum Ansiedlungsprogramm zentralisieren beziehungsweise „harmonisieren“. Alles nimmt er in die Pflicht, auch die Universitäten, um „Schutzsuchende“ den „Erfordernissen der Arbeitsmärkte“ anzupassen. Dafür verwaltet die graue Eminenz der EU-Migrationspolitik bis 2020 einen ansehnlichen Dreiviertel-Milliarden-Euro-Etat.

Ruetes „Idealfall“ ist somit blanker demographischer Kolonialismus: Mit den richtigen Integrationsmaßnahmen sollen jene, die „neu anzusiedeln“ sind, zur eierlegenden Wollmilchsau werden und auf einen Schlag „unsere Arbeitsmärkte leistungsfähiger machen“, zur „Bewältigung der demographischen Herausforderungen beitragen“ oder „unsere öffentlichen Haushalte nachhaltiger gestalten“.

Das hat zwar mit der Wirklichkeit soviel zu tun wie Ruetes klimatisierte Brüsseler Büroetage mit dem Dschungel von Calais. Aber wie die Welt dort draußen aussieht, weiß der 1952 geborene Diplomatensohn, der Politik- und Rechtswissenschaften studierte und nach Jura-Promotion und Zwischenhalt in der angelsächsischen akademischen Welt 1986 bei der EU-Kommission anheuerte, wohl schon lange nicht mehr. Unauffällig stieg Ruete als Stichwortgeber einer langen Reihe von Kommissaren zu einem der einflußreichsten EU-Bürokraten auf.

Die freundliche Märchenonkelstimme, mit der er seine Pläne ab und an in einschläferndem EU-Englisch vor beifällig nickenden Gleichdenkenden präsentiert, täuscht: Was der frühere langjährige Transport-Generaldirektor auf dem grünen Tisch entwirft, ist die größte Bevölkerungsverschiebung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Besser, die unwissenden Untertanen kriegen das nicht so genau mit.