© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/17 / 23. Juni 2017

Der Flaneur
Erziehung scheint „haram“
Martina Meckelein

Sonntagsspaziergang in Berlin-Moabit. Häuser aus der Gründerzeit wechseln sich mit gesichtslosen Sechziger-Jahre-Klötzen ab. Entzückende alte Gaslaternen und mickernde Straßenbäume, auf deren freigelegtem Wurzelwerk sich Hinterlassenschaften von, so scheint es, riesigen Deutschen Doggen, Neufundländern oder Kangals ein intensiv duftendes Stelldichein geben. Auf den Gehsteigen die Reste des Sputums derer, die hier zuvor flanierten.

Schade daß schlechtes Benehmen nicht „haram“ ist – aber es scheint umgekehrt.

Vor den „Spätis“ fläzen sich dicke alte Männer auf unter ihrem Gewicht ächzenden Plastikstühlen mit gespreizten Beinen – die der Stühle und der Männer. Vier Herren kommen des Weges, nebeneinander gehend und laut redend, nicht den Eindruck machend, einen Durchlaß ermöglichen zu wollen. Also: Augen gerade aus, Schultern zurück, einen Gang zulegen, Stechschritt und ab durch die Mitte – sie spritzen auseinander. Merke: Die Hamburger Hansa-Platz-Strategie ist moabitkompatibel.

Es meldet sich der Hunger. Ich will den nächsten Imbiß ansteuern. Davon gibt es viele. Sie locken mit großen Bildern entzückender Schäfchen und einer Mutterkuh mit ihrem Kalb auf der Weide: Steak vom Lamm, Burger vom Rind und Huhn, das hier in Berlin „Chicken“ heißt, und die Zusicherung: alles „halal“. Ein Halal-Laden neben dem anderen. Keine Berliner Currywurst weit und breit – ist, so scheint es, „haram“.
Zum Glück – um die Ecke in einer  kleineren schattigen Seitenstraße eine italienische Pizzeria.

Pech, sie ist geschlossen. Geschäftsaufgabe? Früher, so vor 20 Jahren, soll es hier Buchhandlungen, eine WMF-Filiale und deutsche Bäckereien gegeben haben. Teufelszeug. Scheint auch alles „tabu“. Wenn es wenigstens ebenfalls „haram“ wäre, Müll auf die Straße zu werfen, auf das Trottoir zu spucken oder sein Gemächt zu belüften. Schade, daß schlechtes Benehmen nicht „haram“ ist – doch es scheint umgekehrt.