© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Ländersache: Berlin
Liberale in Gefahr
Ronald Berthold

Um weltweit Aufsehen zu erregen, genügt es, in Berlin einen liberalen Islam zu praktizieren. Die Menschenrechtlerin Seyran Ates tut dies. Mitte Juni hat sie ihre Ibn-Rushd-Goethe-Moschee eröffnet. Hier, in Räumen der St.-Johannis-Kirche in Moabit, dürfen Angehörige beider Geschlechter gemeinsam beten. Nur wenige Gläubige kommen diesem Angebot nach – dafür ist die Aufregung um so größer. Die Türkei und Ägypten haben das Projekt scharf verurteilt. Jetzt erhält die Rechtsanwältin massenhaft Morddrohungen.

Die Fatwa-Behörde in Ägypten, deren Einschätzungen unter Muslimen großes Gewicht genießen, sprach – ebenso wie die türkische Religionsbehörde – von einem „Angriff auf den Islam“. Solch ein Delikt bestrafen viele islamische Staaten mit dem Tode. Das gemeinsame Gebet stört die Religionswächter besonders. „Der Islam verbietet Körperkontakt zwischen Männern und Frauen während des Gebetes. Denn das verletzt die Grundlagen des islamischen Rechts“, heißt es aus Kairo. Daß auch weibliche Imame in dem Ibn-Rushd-Goethe-Gotteshaus predigen dürfen, weckt zusätzlichen Zorn.

In der Moschee, die sich mit ihrem Namen auf den deutschen Dichter und den andalusischen Philosophen Averroës (arabisch: Ibn-Rushd) bezieht, geht nun die Angst um. Drei Mitglieder sind – so berichtet es die Gründerin – bereits wieder ausgetreten, weil sie um ihr Leben fürchten. Liberale Muslime hätten, sagt Ates, die Erfahrung gemacht, „wenn ich mich als moderner Muslim zeige, dann werde ich mit Mord bedroht oder beschimpft, oder meiner Familie passiert etwas.“

Das sei auch der Grund, warum sich an den Friedensmärschen in Köln und zuletzt in Berlin so wenige Muslime beteiligt hätten. In der Hauptstadt kamen am Freitag nicht einmal hundert Menschen zusammen, um sich vom Terror im Namen des Islam zu distanzieren. Rückendeckung von der deutschen Politik vermißt die liberale Muslimin ebenso: „In meinen Augen sind Politiker ein falsches Bündnis eingegangen“, sagte sie der Welt: „Viele arbeiten unter der Prämisse, ausschließlich mit den Konservativen zu verhandeln.“ Liberale Muslime seien „aus der Islamkonferenz rausgekickt worden“.

Ein weiteres Problem hat sich die Abweichlerin geschaffen, indem sie bereits zuvor ein Tabu brach und sagte: „Selbstverständlich hat es etwas mit dem Islam zu tun, wenn Menschen ‘Allahu akbar’ rufen, während sie andere Menschen köpfen.“ Immer wieder haben Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien betont, Terror und Mordanschläge hätten nichts mit dem Islam zu tun. Auch die meisten Medien schließen sich dieser Sprachregelung an. Ates hat nun widersprochen und dürfte sich damit wenig Freunde unter Journalisten, Ministern und Abgeordneten gemacht haben.

Nun, da der traditionelle Islam massiv Front macht gegen die kleine Gemeinde, bleibt auch der große Aufschrei aus. Lediglich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fand die Angriffe der türkischen Religionsbehörde „unerträglich“. Diese hatte behauptet, in der liberalen Moschee würden die „Grundsätze unserer erhabenen Religion mißachtet“. Es handele sich um Bemühungen, den Islam „zu untergraben und zu zerstören“. Die Ates-Initiative sei außerdem „ein Projekt der Gülen-Bewegung“. Und die gilt in der Türkei als terroristische Vereinigung.