© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Langsam, lückenhaft und extrem teuer
Telekommunikationsmarkt: Beim schnellen Internet hinkt Deutschland hinterher / In Estland ist der Internetzugang ein Grundrecht
Christian Schreiber

Was haben Deutschland, Mexiko und die USA gemeinsam? Nicht viel – außer daß in allen drei Ländern die Mobilfunkversorgung lückenhaft und extrem teuer ist. Für umgerechnet 30 Euro monatlich gibt es laut einer Studie der finnischen Firma Rewheel bestenfalls fünf bis zehn Gigabyte (GB) Datenvolumen. In Dänemark, dem Baltikum, Finnland, Irland, Kroatien, den Niederlanden und der Slowakei ist dafür unbegrenztes Surfen im schnellen LTE- oder 4G-Netz möglich. In Polen und Frankreich gibt es immerhin 100 GB für 20 Euro, in Österreich und Großbritannien sind es wenigstens noch 30 GB.

Große Versorgungslücken in den ländlichen Räumen

„Alle EU-Regierungen waren einverstanden, auf dem Gebiet leistungsfähiger Mobilfunknetze enger zusammenzuarbeiten. Doch dann hieß es plötzlich, Frequenzen seien nationale Ressourcen. Über diese Entwicklung bin ich sehr beunruhigt“, erklärte kürzlich der zuständige Brüsseler Digitalkommissar Andrus Ansip. Vor allem in ländlichen Räumen herrsche ein großer Mangel.

Ansips estnische Heimat braucht sich allerdings nicht zu verstecken: Die heute zu Microsoft gehörenden Internetdienste Skype (Videotelefonie) und Hotmail (E-Post) wurden von Programmierern aus der Ex-Sowjetrepublik entwickelt. Das 1,3-Millionen-Einwohner-Land hat den Internetzugang nicht nur zum Grundrecht erklärt, sondern dem auch Taten folgen lassen: 4G-Empfang oder kabelloses Internet (W-LAN) findet sich nicht nur in den Städten, sondern auch in Bussen, Zügen, Dörfern und sogar am Strand oder im Wald. Deutschland ist im Vergleich dazu vielerorts eine digitale Wüste. Verkehrsminister Alexander Dobrindt verspricht nun Besserung: Deutschland soll in den kommenden Jahren ein flächendeckendes 5G-Netz erhalten. Dahinter verbirgt sich der neue Mobilfunkstandard der fünften Generation mit theoretischen Datenraten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde – zehnmal so schnell wie 4G. „Innovationen wie das automatisierte und vernetzte Fahren, die Industrie 4.0 oder E-Health schaffen ein enormes Datenwachstum“, erklärte der CSU-Politiker der FAZ. „Die digitale Wirtschaft entsteht aber nur dort, wo dieses Wachstum abgerufen werden kann.“

In der Realität wird in Deutschland immer noch über den Glasfaserausbau debattiert (JF 12/17). Dieser ist Grundvoraussetzung für schnelles Internet. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, daß Deutschland zuwenig in den Glasfaserausbau investiere. Die gebotene Alternative Long Term Evolution (LTE), der Mobilfunkstandard der dritten Generation, sei zu teuer. LTE ist landläufig unter dem Begriff 4G bekannt, es handelt sich dabei um ein Vorläufermodell der neuesten Technologie. Übertragungsraten im Gigabit-Bereich seien nur mit Hilfe von Glasfasertechnologie realisierbar, erklärt Bertelsmann-Kommunalexpertin Kirsten Witte. Dies sei „auch Grundlage für den Ausbau von 5G-Mobilfunknetzen. Damit sie den Datenverkehr für intelligente Mobilität und das Internet der Dinge weiterleiten können, müssen die Mobilfunkstationen direkt an das Glasfasernetz angeschlossen sein.“ Beim Glasfaserausbau hinkt Deutschland hinterher und ist im ländlichen Raum gravierend unterversorgt. Breitbandnetze (vor allem VDSL und Kabel-TV-Netze) seien in der Fläche vorhanden, „verfügen aber nur über eine vergleichsweise geringe Leistungsfähigkeit“, heißt es in der Bertelsmann-Studie. In Dobrindts oberbayrischer Heimatgemeinde Peißenberg gibt es bislang nur den Schneckentarif „Magenta Zuhause S“ der Telekom.

Und die Vectoring-Strategie der Telekom – die technische Ausreizung der Kupferkabel aus Bundespost-Zeiten – hemmt den Ausbau von Glasfasernetzen. Die Telekom kann aber so billig zumindest höhere Internetgeschwindigkeiten anbieten. Kritiker sprechen von einer veralteten Technologie, Wohlmeinende sehen in Vectoring eine Brückentechnologie auf dem Weg in die Gigabit-Gesellschaft. „Die Bundesnetzagentur, die dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist, hat die Vectoring-Pläne genehmigt. Im Ergebnis führe dies „zu einem deutschen Sonderweg und verhindere einen konsequenten Glasfaserausbau“, kritisiert Witte. Daß die Telekom zu 32 Prozent in Staatsbesitz ist und voriges Jahr 805 Millionen Euro Dividende abwarf, dürfte bei der Entscheidung sicher keine unwichtige Rolle gespielt haben.

Im EU-Vergleich sei Estland ein Vorreiter, außerhalb schneide die Schweiz in fast allen Bereichen besser ab als Deutschland. Viele Länder hätten sich ehrgeizigere Ziele gesteckt, lautet das wenig erfreuliche Fazit der Studie. Die Verfügbarkeit direkter Glasfaserverbindungen sei in Deutschland mit 6,6 Prozent inakzeptabel.

„Unambitionierte Ziele, eine fehlende gesamtstaatliche Strategie, unkoordinierte Förderprogramme und fehlender Mut, konsequent auf Glasfasertechnologien zu setzen, sind die Hauptursachen für das Hinterherhinken Deutschlands beim Ausbau des Glasfasernetzes“, lautet der Befund von Bernd Beckert, Koordinator der Studie beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. „Allein schon die lokale Wirtschaftsförderung müßte daran ein herausragendes Interesse haben: Denn schnelles Internet ist für Firmen und Bürger ein entscheidender Standortfaktor.“

Bertelsmann-Studie „Ausbaustrategien für Breitbandnetze in Europa - Was kann Deutschland vom Ausland lernen?“: www.bertelsmann-stiftung.de

Mobilfunk-Studie „Digital Fuel Monitor“ der finnischen Beratungsfirma Rewheel: dfmonitor.eu/