© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

„Fahrlässige und schlampige Lektüre“
Rufmord: In der Debatte um Rolf Peter Sieferle häufen sich die Stimmen, die den Historiker in Schutz nehmen
Thorsten Thaler

Der „Fall Sieferle“ erregt weiter die Gemüter im bundesdeutschen Kulturbetrieb. Genauer: die Rufmordkampagne von feuilletonistischen Scharfrichtern des verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle (er nahm sich im September 2016 das Leben) und seine nachgelassene Gedankensammlung „Finis Germania“. Sie erschien in diesem Frühjahr im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek und gelangte im Juni durch das Votum eines Spiegel-Redakteurs auf eine Empfehlungsliste für Sachbücher (JF 26/17). Die Kritiker von taz bis FAZ schäumten. 

Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler, „Verwalter der Konsensobjektivität der Gelehrtenrepublik“ (Zürcher Weltwoche) sprach im Deutschlandfunk Kultur von einem „schlechten Buch“ und verstieg sich zu der Behauptung, es enthalte „möglicherweise sogar strafrechtlich relevante Passagen“ und sei „zutiefst von antisemitischen Vorstellungen getränkt“.

Inzwischen mehren sich jedoch auch die Stimmen derer, die Sieferle gegen die maßlosen Anwürfe in Schutz nehmen. Dazu gehört der Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Berliner Philosophie-Honorarprofessor Rüdiger Safranski (72). Das Buch von Rolf Peter Sieferle werde in einer Weise skandalisiert, „die ich selber wiederum als Skandal empfinde“, sagte Safranski vergangenen Sonntag in einem Interview ebenfalls mit dem Deutschlandfunk Kultur. Die Debatte darum sei „fahrlässig und hysterisch“.

Beispielhaft nannte Safranski die Kritik an Sieferles Formulierung „Auschwitz-Mythos“. Eine „schlampige Lektüre“ rücke sie in die Nähe der „Auschwitz-Leugnung“. Dabei werde nicht begriffen, daß Sieferle dieses Ereignis nicht leugne, es aber verbinde mit pädagogischen Mythen. „Im Kern geht es um diese Singularität, daß dieses Auschwitz nicht zu vergleichen ist mit anderen gigantischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal dieses Großverbrechens“, so Safranski. Diese Vorstellung werde von Sieferle dahingehend kritisiert, daß das 20. Jahrhundert voll von Großverbrechen war. „Da kann man dann darüber streiten, man kann aber nicht sagen, hier ist eine rechtsextreme Position, die Auschwitz leugnet.“

Die Zürcher Weltwoche empfahl das Buch zur Lektüre und stellte klar: „Die Greuel von Auschwitz werden in keinem Detail geleugnet, weder in ‘Finis Germania’ noch in früheren Werken Sieferles.“ Der Historiker habe eine „Streitschrift gegen einen spezifisch deutschen Moralismus“ verfaßt, noch dazu eine „radikale Absage an jede Art politischer Theologie“.

Zuvor hatte sich bereits der Chefredakteur des Cicero-Magazins, Christoph Schwennicke (51), über Sieferles Kritiker mokiert: „Es darf angenommen werden, daß die wenigsten derer, die sich plötzlich und vehement über das wahlweise rechtsextreme oder rechtsradikale Buch empörten, das den Holocaust entweder leugnete oder relativierte, daß also keiner dieser Empörten vorher je eine Zeile des Historikers Rolf Peter Sieferle gelesen hatte.“

Was Sieferle, ein „großer und wortgewaltiger Historiker und Universalgelehrter“ (Schwennicke), zeit seines Leben geschrieben habe, „war von einer Klugheit und großer Wortgewalt, zugleich zuletzt immer mehr von einer Düsternis durchzogen, die an Arthur Schopenhauer erinnert. Der auch nicht gerade die Frohnatur unter den Denkern dieses Sprachraums war und dennoch Bedeutendes zur Ideengeschichte beigesteuert hat.“

In seinem ebenfalls postum erschienenen Buch „Das Migrationsproblem“, urteilte der Cicero-Chef, habe er einerseits kühl und sachlich analysiert, andererseits seien Passagen immer wieder auch von „apokalyptischer Prophetie“ durchzogen. Den „Last-Minute-Fachleuten“ der Feuilletons jedoch, so Schwennicke, sei „eine intensive und anstrengende Auseinandersetzung mit dem streitbaren Sieferle zu lästig“ gewesen.

Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung, Manuscriptum, Waltrop 2017, broschiert, 136 Seiten, 16 Euro

Rolf Peter Sieferle: Finis Germania. Verlag Antaios, Schnellroda 2017, kartoniert, 104 Seiten, 8,50 Euro