© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Streben nach Unsterblichkeit
Lesende Beamte und filigrane Ehrstatuetten: Die Schau „Pharao“ im Rosenheimer Lokschuppen zeigt die Vielfalt altägyptischen Alltagslebens
Felix Dirsch

Der Rosenheimer Lokschuppen erwies sich zuletzt als wahrer Publikumsmagnet. Einen neuen Besucherrekord konnte vergangenes Jahr die Ausstellung über die Wikinger verbuchen, die nicht nur Kinder in großer Zahl angezogen hat. Da bietet es sich an, mit einem im gesamten deutschsprachigen Raum beliebten Ausstellungsthema fortzufahren: dem alten Ägypten.

Ein Gutteil der Faszination an dem versunkenen Reich liegt nach wie vor am bewundernswerten Umgang der Ägypter mit der Kontingenz als Grundbedingung menschlicher Existenz: Das Streben nach Unsterblichkeit spielte in vielen historischen Epochen eine Rolle; im Land des Pharaos war es in besonderer Weise für die Oberschichten gegenwärtig. Was einst und zum Teil noch in der unmittelbaren Gegenwart als Sache des Göttlichen betrachtet wurde und wird, wollen heutige Posthumanisten und Technizisten jedweder Art mit innerweltlichen Mitteln erreichen.

Bauwerke für die Ewigkeit prägten das soziale Leben

Bereits am Anfang der Präsentation wird der Interessierte mit zwei Themen konfrontiert, die in das Zentrum der Geschichte Altägyptens führen: Zum einen weht den Besuchern virtueller Wüstensand ins Gesicht. Die klimatischen Bedingungen haben den Alltag der Menschen dieser Hochkultur nachhaltig geprägt. Das berühmte Urteil des griechischen Geschichtsschreibers Herodot, Ägypten sei ein Geschenk des Nils, behält seine Gültigkeit. Weiterhin sind Tafeln mit einem Zeitstrahl zu sehen, der die imponierende Dauer der unterschiedlichen Dynastien anzeigt.

Ein Vorteil der Rosenheimer Ausstellung (im Gegensatz zu der parallel zu bestaunenden über Ramses den Großen in Karlsruhe) besteht darin, daß sie auf 1.300 Quadratmetern einen Eindruck von verschiedenen altägyptischen Lebensbereichen bietet. Ein roter Faden ist die Wechselbeziehung von Architektur und Sozialgeschichte. Das Leben wurde maßgeblich von den überdimensionierten Bauwerken geprägt, die für die Ewigkeit angelegt waren. Ihre Errichtung trug stark zur sozialen Differenzierung der streng hierarchischen Gesellschaft bei. Die scharfe Schichtung zeigt sich auch im Kontext der aktuellen Ausstellung. Die präsentierten Zeugnisse überliefern sehr unterschiedliche Schicksale, von Angehörigen der Spitze der Gesellschaft bis zum mühsamen Leben der antiken Prekären.

Tempel, Mumien, Sarkophage und die vielfältigen Gottheiten sind breit vertreten. Freilich kann nur auf einige herausragende unter den vielen Pharaonen eingegangen werden. An Hatschepsut kommt man kaum vorbei, weil sie die weibliche Seite des Pharaonentums verkörpert, obwohl sie diese aufgrund der das Amt umgebenden Konventionen nicht hervorkehren konnte. Gleiches gilt für die legendäre Kleopatra, der es trotz hohen Einsatzes nicht gelungen ist, Römer und Ägypter miteinander zu versöhnen.

Neben anderen wird auch Ramses II. beleuchtet, der die längste Regierungszeit unter allen Vorgängern und Nachfolgern vorweisen kann. Zu den exzeptionellen Repräsentanten des Königtums gehört der „Ketzer“ Echnaton, der dem lange gewachsenen Polytheismen den Todesstoß versetzen wollte zugunsten des Kultes der Sonne. Dabei unterschätzte er jedoch die religiösen Kräfte der Beharrung. Das Experiment scheiterte. Eine Auslöschung des Glücklosen aus dem Geschichtsgedächtnis, wie es seine Nachfolger gern gewollt hätten, ist allerdings nicht gelungen.

Hieroglyphenschrift blieb lange nicht entschlüsselt

Die Rosenheimer Darbietung offenbart einige Höhepunkte: Dazu zählen unter anderem die Statue des lesenden Beamten Ptahschepses, die filigranen Ehrstatuetten des Pharaos Amenophis III. und seiner Frau und der Kopf einer Sphinx der Königin Hatschepsut.

Ein Schwerpunkt ist die Alltagsgeschichte. Selbst ein gottgleicher Herrscher brauchte zahlreiche Untertanen. Die Lebensumstände des ägyptischen „Otto Normalverbrauchers“ liegen größtenteils im dunkeln, einige Zeugnisse gibt es jedoch. Sie sind in Auszügen zu lesen, aber auch zu hören. Natürlich existieren auch etliche Alltagsgegenstände, die archäologisch zutage gefördert worden sind. Man merkt, daß die Mittelschicht dem Kurator Christian Titze besonders wichtig geworden ist. Er betont deren stabilisierende Wirkung, die der griechische Philosoph Aristoteles für politologische Lehrbücher mustergültig herausgearbeitet hat. Daß bisher in Ausstellungen und in der Sekundärliteratur zumeist die Oberschicht und ihre Gewohnheiten beschrieben worden sind, hängt einfach damit zusammen, daß die Reicheren naturgemäß einen Großteil der vorhandenen Artefakte hinterlassen haben, die die Arbeitsgrundlage der Ägyptologen darstellen.

Als eine der wichtigsten kulturellen Errungenschaften des Alten Ägyptens wird die Hieroglyphenschrift betrachtet. Ihre Geheimnisse blieben Jahrtausende verborgen, erst Jean-François Champollion begann im Gefolge des napoleonischen Eroberungszuges mit der Entschlüsselung des Steins von Rosetta, das kryptische Erbe zu erhellen. Im Rahmen der interaktiven Museumspädagogik ist die Darstellung gerade dieses Teils besonders gut gelungen. So ist es möglich, Buchstaben des ägyptischen Alphabets auf einen Computerbildschirm zu schreiben. Dabei geschieht eine Übersetzung von Bild in Ton. Die übertragende Stimme ist angenehm und relativ weit zu hören.

Am Ende des Rundganges kann man sich noch einen lebensklugen Spruch aus einem Automaten werfen lassen. Die Weisheit Altägyptens soll auch noch den heutigen Lebensalltag bereichern.

Das Angebot ist groß, mittels dessen man das Gehörte und Gesehene noch vertiefen kann; besonders eine eigene kindgerechte Tour verdient Lob. Experten haben wertvolle Beiträge für den Katalog geliefert. Allerdings weist er nur indirekte Bezüge zur Ausstellung auf. Ein Verzeichnis der Exponate findet sich darin leider nicht.

Die Pharao-Ausstellung ist bis zum 17. Dezember im Lokschuppen Rosenheim, Rat-hausstraße 2, täglich von 9 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 10 Uhr, zu sehen. Tel.: 0 80 31 / 3 65 90 36

 www.lokschuppen.de