© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Anmerkungen zur gesinnungsethischen Radikalität der Kirchen
Geistlichkeit auf Abwegen
Christoph-Maximilian Zeitler

Auch einem braven Katholiken, ehemaligen Ministranten und gehorsamen Kirchensteuerzahler kann nicht entgehen, daß Vertreter der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit politische Äußerungen tätigen, die mit dem Glauben an sich bestenfalls nur am Rande zu tun haben. In früherer Zeit konnte man dieses Phänomen ausschließlich bei der Evangelischen Kirche feststellen, was den bereits verstorbenen FAZ-Journalisten Karl Feldmeyer einmal zu der Äußerung veranlaßte, die evangelische Kirche sei „die schlimmste Partei von allen“. Wie dem auch sei – die evangelische Kirche hat jedenfalls schon vor langer Zeit den Fehler begangen, Politik und Religion zu verwechseln und so – ohne sich der Mühsal der politischen Alltagsarbeit zu unterziehen – zu einer Partei zu werden, die sich überwiegend im linken politischen Spektrum bewegt. Unter dem SPD-Mitglied Heinrich Bedford-Strohm hat sich dieses Phänomen dann noch einmal verstärkt.

Die katholische Kirche ist diesem Trend in der Vergangenheit aus gutem Grunde nicht gefolgt – gerade Papst Benedikt XVI. war klug genug, sich bei politischen Fragen nur zurückhaltend zu äußern und wenn, dann politisch ausgewogen und vor allem zu Themen, die unmittelbar mit dem Glauben korrelieren, wie etwa beim Schutz des ungeborenen Lebens oder der Stärkung des familienrechtlichen Instituts der Ehe. Konkrete politische Handlungen sollten hingegen bewußt Fachleuten vorbehalten bleiben, die dann aus ihrer christlichen Grundüberzeugung heraus tagespolitische Entscheidungen ableiten sollten.

Unter Papst Franziskus hat sich der Wind aber offenbar gedreht: Bereits seine erste Enzyklika „Evangelii gaudium“ war mehr politisches Manifest als theologische Deduktion. So läßt es sich Franziskus darin nicht nehmen, einem kollektivistisch ausgerichteten Wirtschaftssystem den Vorzug zu geben, ja er liebäugelt sogar mit einer Abschaffung des Privateigentums. Seine Ausführungen kulminieren dann in dem Verdikt: „Diese Wirtschaft tötet.“ Der geneigte Leser bleibt mit großem Erstaunen zurück: Waren die Erfahrungen, die die Welt mit Sozialismus und Kommunismus machen mußte, etwa doch noch nicht schrecklich genug? Warum spricht der Papst hier nicht über die Erfolge der sozialen Marktwirtschaft? Noch in den achtziger Jahren betrug die weltweite Armut etwa 50 Prozent, heute sind es „nur“ noch zehn Prozent – diese Erfolge gehen hauptsächlich auf die Öffnung der Weltmärkte, den freien Welthandel und die Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen zurück. Kann man angesichts dieser Erfolge wirklich behaupten, diese Wirtschaft würde sogar „töten“? Gerade in Deutschland scheint der Vorwurf besonders abwegig, zählt hier doch die Kirche zu den materiell reichsten der Welt – mitfinanziert über Kirchensteuern, die allesamt von der Wirtschaft erarbeitet wurden, die angeblich „töten“ soll. Obschon immer mehr Deutsche der Kirche den Rücken kehren, steigt das Volumen der Kirchensteuer stetig an – alles finanziert durch die „böse“ und „kapitalistische“ Privatwirtschaft.

Doch damit nicht genug: Der täglichen Presselektüre kann man entnehmen, daß sich auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx für mehr Umverteilung und höhere Steuern für „Reiche“ einsetzt. Es soll an dieser Stelle gar nicht der Frage nachgegangen werden, welcher Bezug bei dieser Aussage überhaupt noch zum eigentlichen Glauben besteht. Aber muß die Kirche wirklich noch versuchen, die Linkspartei politisch zu überholen? Die Summe der Sozialausgaben steigt trotz niedriger Arbeitslosigkeit und günstiger Konjunkturentwicklung weiter kräftig an.

Müssen die Kirchen angesichts der Belastung deutscher Arbeitnehmer durch Steuern und Abgaben wirklich noch mehr Umverteilung verlangen? Wäre es da nicht angebracht, wenn sie sich dafür einsetzen würden, die Mittelschicht, also vor allem Familien, zu entlasten?

Die Belastung deutscher Arbeitnehmer durch Steuern und Abgaben ist hierzulande deutlich höher als in anderen Industrienationen, Deutschland belegt hier nach einer aktuellen OECD-Studie einen traurigen zweiten Platz. Die obere Hälfte der Steuerpflichtigen zahlt inzwischen 95 Prozent des Steueraufkommens, die Sozialausgabenquote im Bundeshaushalt liegt über 50 Prozent – die „Soziallobby“ residiert dann auch folgerichtig in den schönsten Gebäuden und besitzt einen höheren Einfluß als der Bauernverband in seinen besten Zeiten. Müssen die Kirchen angesichts dieser Zahlen wirklich noch ein Mehr an Umverteilung verlangen? Wäre es da nicht angebracht, wenn sie sich für eine Entlastung der Mittelschicht, also vor allem von Familien, einsetzen würden?

Doch auch auf anderem Gebiet begibt sich die katholische Kirche neuerdings auf gefährliches Terrain: So soll auch die Wahl der AfD nach aktueller deutsch-katholischer Auffassung mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar, ja sogar sündhaft sein. Es ist schleierhaft, warum die Kirche plötzlich ihre Neutralität verläßt und konkrete Wahlempfehlungen ausspricht, hat dies doch eindeutig mit der Glaubensverkündigung nichts mehr zu tun.

Überdies: Ist es nicht gerade die AfD, die sich als einzige Partei neben der CSU klar für eine „Willkommenskultur“ bei Neu- und Ungeborenen ausspricht, die den Erhalt von Ehe und Familie und die Zurückdrängung der Gender-Ideologie in ihre politischen Überzeugungen aufnimmt? Steht die AfD der Kirche in Wahrheit nicht näher als die Partei der Grünen? Und wenn man schon meint, die AfD bekämpfen zu müssen, so stellt sich doch die Frage, warum die Kirche dieser Partei dann immer wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit beschert, indem sie etwa bei AfD-Veranstaltungen die Dombeleuchtung ausschalten läßt oder sich in Köln am Marsch „Unser Kreuz hat keine Haken“ beteiligt hat – einer Demonstration, auf der insinuiert wurde, AfD und NSDAP seien doch im Prinzip deckungsgleich. Verharmlost man auf diese Weise nicht den Nationalsozialismus? Und überhaupt: Gilt die christliche Nächstenliebe nicht auch für Straftäter? Muß sie dann nicht erst recht auch für einen AfD-Wähler gelten?

Auch die politische Themenauswahl erscheint doch insgesamt eher einseitig zu sein: Als vor kurzem das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 3 C19.15, 2. März 2017) einen Arzt zur Sterbehilfe verpflichtete und damit einen ethisch-moralischen Rubikon überschritt, war von kirchlicher Seite keine Kritik zu vernehmen. Auch ist das Christentum mittlerweile die weltweit am meisten verfolgte Religion. Wäre die weltweite Christenverfolgung daher nicht auch ein dringliches Thema? Aber nein: Auf dem zurückliegenden Evangelischen Kirchentag in Berlin sprach sich Markus Dröge, Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, dafür aus, Christenverfolgung in moslemischen Ländern nicht zu dramatisieren.

Wo ist eigentlich die Kirche, wenn in Moscheen zum „Heiligen Krieg“ aufgerufen wird? Oder spricht man das etwa bewußt nicht an – etwa aus falscher Rücksichtnahme gegenüber dem Islam? Warum ergeht sich die Kirche in oberflächlicher Beschwichtigung und Verharmlosung, indem nach jedem islamistischen Terroranschlag die mittlerweile sattsam bekannte Exkulpationsformel „Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“ bemüht wird? Warum erwähnte Papst Franziskus in seiner Osterpredigt den Anschlag auf koptische Christen in Ägypten mit keinem Wort?

Mußte es wirklich sein, daß der EKD-Ratsvorsitzende und der Münchner Kardinal Marx beim Besuch des Tempelbergs in Jerusalem mit Rücksicht auf den Islam auf ihre Amtskreuze verzichteten? Warum reagiert die Kirche nicht, wenn an den Schulen der St.-Martins-Umzug durch ein profanes Lichterfest ersetzt wird? Wenn muslimische Flüchtlinge christliche Asylbewerber in Berliner Unterkünften mißhandeln, warum überläßt man es dann einem Pfarrer der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (Selk), diesen Mißstand anzusprechen?

Die Kirche täte gut daran, wieder theologische Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, die gesinnungsethische Radikalität zu verlassen und nicht zu einer Partei zu werden, die das bürgerlich-konservative Spektrum vollständig aus den Augen verloren hat.

Insgesamt verwundert es leider nicht, wenn Teile der katholischen Kirche dann auch in der Asylpolitik eine relativ schlichte und kurzsichtige Gesinnungsethik an den Tag legen: Beim St.-Michael-Empfang der Deutschen Bischofskonferenz 2015 in der Katholischen Akademie Berlin wurde Kardinal Marx im Hinblick auf die gerade erfolgte Grenzöffnung durch die Bundeskanzlerin mit den Worten zitiert: „Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie am Wochenende ein Zeichen gesetzt haben.“ Die Frage ist nur, ein Zeichen wofür? Für unkontrollierte Zuwanderung? Für die Außerkraftsetzung der Dublin-III-Verordnung? Für eine Intensivierung der Parallelgesellschaften in Deutschland?

Die Attentäter von Paris, Brüssel und Berlin konnten die offenen Grenzen nutzen, um als Asyl-Immigranten unkontrolliert durch Europa zu reisen – der Berliner Attentäter sogar mit 14 (!) verschiedenen Identitäten. Trotzdem läßt es sich der Bund der Deutschen Katholischen Jugend nicht nehmen, weiterhin offene Grenzen und unkontrollierte Migration zu propagieren. Auch Papst Franziskus höchstpersönlich bezeichnet es als „Selbstmord“, wenn eine Gesellschaft ihre Türen gegenüber Migranten schließe. Läßt es die katholische Sozial­lehre eigentlich nicht zu, auch verantwortungsethisch zu argumentieren? Muß man wirklich zusehen, wie die Polizei in Deutschland ihre Hoheitsgewalt zunehmend verliert und ganze Stadtteile von arabischen Clanstrukturen beherrscht werden?

Bereits durch den bevorstehenden Familiennachzug wird sich das Problem einer die Gesellschaft überfordernden Einwanderung weiter potenzieren. Warum müssen dann 45 bayerische Ordensobere in einem Brief vom November 2015 scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik von Ministerpräsident Horst Seehofer äußern, dem die Abwägung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik deutlich besser gelingt als den Kirchen? Muß man wirklich durch Kirchenasyl das rechtsstaatliche Asylverfahren unterlaufen? Warum kritisiert die Kirche ständig die Rückführung von Asylbewerbern, obwohl deren Anträge über mehrere Instanzen in einem langen, rechtsstaatlichen Verfahren geprüft worden sind? Der Anschlag von Stockholm im April wurde von einem untergetauchten Asylbewerber begangen, den die Behörden offenbar aus den Augen verloren. Sieht man hier die Gefahren nicht?

Zudem ist es doch gerade logische Konsequenz der gesinnungsethisch ausgerichteten „Willkommenskultur“, wenn zunächst jeder ungeprüft ins Land gelassen wird, dann wenigstens diejenigen, die nicht bleiben können, wieder zurückzuführen. Will man dies nicht, so hätte man eben Transitzonen einrichten müssen – doch gerade diese Transitzonen wurden von kirchlicher Seite als „Konzentrationslager“ gegeißelt.

Es ist schon bemerkenswert, mit welchem Nachdruck sich die Amtskirchen heutzutage von jenen Konservativen distanzieren, die die Bewahrung des christlichen Erbes fordern und fördern. Um so erstaunlicher, mit welcher Bereitwilligkeit sich die katholische Kirche gerade dem linken politischen Lager unterwirft – also jenen Kräften, die ansonsten für religiöses Brauchtum nur Hohn und Spott übrig haben. Glaubt man wirklich, man könne durch diesen Linksruck neue Kirchenmitglieder gewinnen? Mutiert so ein überzeugter Alt-Achtundsechziger plötzlich vom Saulus zum Paulus und wird ein reumütiger Kirchensteuerzahler? Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird eher das Gegenteil eintreten: Das bürgerliche Lager wird der Kirche zunehmend den Rücken kehren.

Die Kirche täte gut daran, wieder theologische Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, die gesinnungsethische Radikalität zu verlassen und sich nicht zu einer politischen Partei zu wandeln, die das bürgerlich-konservative Spektrum vollständig aus den Augen verloren hat. Wie heißt es doch so treffend: Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, der wird bald Witwer sein!






Dr. Christoph-Maximilian Zeitler, Jahrgang 1982, studierte nach dem Besuch des humanistischen Wilhelmsgymnasiums in München Jura in Passau und München. In seiner rechtsgeschichtlichen Promotion setzt er sich mit dem Prozeß gegen Sokrates sowie dem Rechts- und Richterbild im antiken Griechenland auseinander. Heute arbeitet er als Rechtsanwalt bei einer Bank in Berlin.

Foto: Papst Franziskus mit eingewanderten Afrikanern am Rande einer Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom, Juni 2016: Läßt es die katholische Sozial­lehre eigentlich nicht zu, auch verantwortungsethisch zu argumentieren?