© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/17 / 30. Juni 2017

Verrückt nach Drehmomenten
Spielzeugtrend: „Fidget Spinner“ sollen angeblich helfen, Unruhe abzubauen / Eltern und Lehrer bezweifeln dies
Verena Rosenkranz

Sie glitzern, sind bunt und liegen gut in der Hand. Ein jedes Kind von Japan bis an die amerikanische Ostküste war hinter ihnen her. Heute ist das Jojo allerdings so gut wie ausgestorben. Vergessen und verdrängt von neuen Trends, die nun die Klassenzimmer quer über den Erdball beherrschen. Solche wie die „Fidget Spinner“, kleine auf Kugellagern gestützte Drehscheiben in der Größe einer Handfläche. Die Sinnhaftigkeit der derzeit überall und in allen möglichen Versionen gestalteten Spielzeuge ist zwar fragwürdig, unter den Schülern von heute sind sie aber der letzte Schrei. So wie eben noch vor kurzem ein Jojo, bunte Aufnäher – sogenannte Patches – oder Pokemon Go.

Was die Erwachsenen an den aus Plastik oder Metall gefertigten Spinnern aber wirklich nervt und die Jugend stark in den Bann zieht, ist die Unruhe, die von den Spielgeräten ausgeht. „Fidget“ bedeutet auf deutsch soviel wie nervös herumfummeln und zappeln. Und das verbindet die kleinen Geräte mit ihren Besitzern. Sie werden auf den Fingerkuppen balanciert und so einige Sekunden lang im Drehmodus gehalten. Oder eben auch nicht, dann beginnt der Wettkampf unter den schon nach kurzer Zeit professionell eingeübten Schülern von vorne. Für nur wenige Euro sind die Drehgeräte an jeder Ecke zu haben – wenn sie nicht gerade ausverkauft sind. Im Internet werden besonders seltene Versionen auch schon mal für einige hundert Euro verkauft. Sie sind vergoldet, mit Edelsteinen besetzt oder beinhalten einen besonderen Hingucker, der den Preis für das Modegerät in die Höhe treibt.

Zehnjährige diskutieren über Kugellager

Wer allerdings glaubt und hofft, daß das permanent präsente Mobiltelefon dadurch beiseite gelegt wird, irrt. Die Wettkämpfe werden natürlich auf Video aufgezeichnet, besonders einfallsreiche Tricks auf Youtube hochgeladen oder auch eigene Vernetzungsgruppen zum „tunen“ der neuen Drehscheiben gegründet. Dort wird bereits unter Zehnjährigen über das perfekte Kugellager zum entsprechenden Modell diskutiert, Feinwerkzeug zum eigenhändigen Aufmotzen der Spielgeräte angeboten oder der Treffpunkt für den nächsten Wettbewerb vereinbart. Wenig verwunderlich wäre es, sollte es bald eine App geben, die das Spielzeug durch ein Virtuelles am Bildschirm ersetzt.

Was für die Erfinder, den Spielzeugverband Toy Association, wie jeder Jugendtrend eine nahezu unerschöpfliche Einnahmequelle bietet, ist für Lehrer allerdings der blanke Graus. Die Hersteller werben zwar mit einem angeblich therapeutischen Nutzen für Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder Autismus, wissenschaftlich und medizinisch nachgewiesen ist dies allerdings nicht. Und so bleibt das kleine Gerät, was es in den Augen der meisten Kinder und deren Eltern ist: ein simples Spielzeug. 

„Fummelgeräte“ gibt es auch für Erwachsene

In die Schule wird es dennoch aufgrund seiner kleinen Größe und des leichten Gewichts ohne nachzudenken mitgenommen. Die Aufmerksamkeit im Unterricht fehle aber völlig, die handlichen Geräte würden auch unter der Schulbank heimlich ausgetestet, und in den Pausen kommt es nicht selten zu wilden Raufereien im Wettstreit um die leuchtendsten Modelle, wie eine junge Lehrerin im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT betont. Während ihrer Arbeit und als Mutter hat sie schon so manchen Trend erlebt und genauso schnell wieder verschwinden sehen. Die aktuelle Entwicklung und den großen Ansturm auf die „Spinner“, wie sie in Deutschland genannt werden, kann sie aber nicht nachvollziehen.

Die Aufregung um den „Fidget Spinner“ ist zwar aktuell, neu ist sie aber nicht. Während es im Vorjahr noch Schlagzeilen über Jugendliche in die Medien schafften, die während der virtuellen Jagd auf Pokemons vor Autos liefen, gab es sogenannte „Fummelgeräte“ schon länger. Bereits in den achtziger Jahren ließ sich Catherine Hettinger ihre Ideen für Ablenkungsspielzeuge patentieren. Würfel, Knetbälle oder mit Reis und Sand gefüllte Säckchen sollten auch Erwachsene beim angeblichen Abbau von Streß unterstützen. Quasi als Statussymbol für den permanent überforderten Städter wird nicht zu übersehen von 9 bis 17 Uhr irgendein „Entspannungsspielzeug“ auf dem Büroschreibtisch platziert. Der einzige Unterschied: Den Erwachsenen nimmt man mitleidig ihren hohen Streßfaktor ab, die Generation darunter muß sich böse Blicke von Eltern, Lehrern und allerhand Erziehungsexperten gefallen lassen, wenn sie auf die gekonnt zugeschnittenen Werbetricks aus den Vereinigten Staaten hereinfallen.