© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Ländersache: Hessen
Eine Minderheit unter vielen
Paul Leonhard

Gefühlt wissen es die knapp 730.000 Frankfurter längst: In ihrer Stadt stellen Deutsche ohne Einwanderungshintergrund längst nicht mehr die Mehrheit. Jetzt ist es auch amtlich. Laut Melderegister haben 51,2 Prozent der Einwohner ausländische Wurzeln. Menschen aus 178 Ländern leben in der größten Stadt Hessens. Die größte Minderheit nach den Deutschen sind Menschen aus der Türkei (12,9 Prozent), Kroatien (7,3) und Italien (7,2).

Damit sei Integration längst kein Minderheitenthema mehr, verkündete Integrationsdezernentin Sylvia Weber (SPD) vergangene Woche bei der Vorstellung ihres 200 Seiten starken „Frankfurter Integrations- und Diversitätsmonitorings“. Die Zahlen des Melderegisters sind zwei Jahre alt, und die Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes weisen knapp 45 Prozent Frankfurter mit Migrationshintergrund aus, aber so schnell läßt sich Weber ihren Erfolg nicht kleinreden: „Wir sind eine Stadt ohne Mehrheit.“

Frankfurt liegt damit im Trend. Deutschlandweit nimmt die Zahl der gemeldeten Ausländer zu. Zum Jahresende 2016 waren es laut Ausländerzentralregister mehr als zehn Millionen Menschen. Ebenfalls ein Rekord. Und diese Zahl berücksichtigt ausschließlich Personen, die allein eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen.

Die Deutschen sind dabei, in ihrem eigenen Land zu einer Minderheit zu werden. Auch das läßt sich mit den Frankfurter Zahlen belegen. Während der Anteil der Frankfurter ohne Migrationshintergrund mit Kindern nur 15,1 Prozent beträgt, liegt dieser bei denjenigen mit Migrationshintergrund bei 36,6 Prozent. Bereits 2015 lag der Migrantenanteil bei Kindern unter sechs Jahren bei 68 Prozent. Damals prophezeite Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) erfreut: „Es wird noch bunter, noch enger, vielfältiger, spannender, aber auch spannungsvoller.“ Dies sei die demographische Realität in Frankfurt.

Zu dieser gehört, daß die Erwerbsquote bei Migranten viel niedriger als bei Deutschen ist. Knapp der Hälfte stehen weniger als 1.300 Euro netto zur Verfügung. Bei den Deutschen sind es nur 23,1 Prozent. Ursache ist die schlechtere Ausbildung. „Die Chancen sind nach wie vor ungleich verteilt“, findet Weber. Die Stadt müsse vor allem bei der Schaffung von günstigem Wohnraum und bei Sprachkursen helfen. Vor allem aber soll die Verwaltung an die „besondere Frankfurter Situation“ angepaßt werden. Es gilt nicht als zeitgemäß, daß 86 Prozent der hier Beschäftigen Deutsche ohne Migrationshintergrund sind. Der Koalitionsvertrag sieht vor, daß sich die Verwaltung für Migranten öffnet. „Interkulturelle Kompetenz“ wurde als gleichrangiges Kriterium in Beurteilungs- und Einstellungsverfahren eingeführt. Bewerber sollen sich in „kulturellen Unterschieden“ aus- und „diese als gleichwertig“ anerkennen, zitiert die FAZ die Dezernentin. 

Was das bedeutet, erläuterte Personaldezernent Stefan Majer (Grüne) ebenfalls in der FAZ: Wer beispielsweise bei einer das Amt aufsuchenden Kopftuchträgerin wisse, warum diese es trage und sogar reflektieren könne, daß man als Mann dieser Frau vielleicht nicht die Hand geben sollte, dürfte einige Pluspunkte auf der interkulturellen Kompetenzskala erhalten.