© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Ausweitung der Kampfzone
„Ehe für alle“: Das Gesetz ist beschlossen, der Streit darum geht vorerst weiter
Paul Leonhard

So voll war der Bundestag schon lange nicht mehr wie am vergangenen Freitag. Kurzfristig wurde die Tagesordnung geändert, um in kurzer Debatte ein Gesetz „Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“, als die „Ehe für alle“, zu beschließen. 

Als Angela Merkel vergangene Woche mit einem scheinbar beiläufigen Satz erklärte, die Haltung zur Gleichstellung der Homoehe sollte für die Abgeordneten eine Gewissensfrage und damit vom Fraktionszwang befreit sein, spottete Peter Rásonyi in seinem Kommentar in der NZZ, habe sofort „das ganze politische Berlin wie Marionetten auf Merkels Spielfeld“ gezappelt. Das Wort von Merkels „Schabowski-Moment“ machte die Runde. 

Um im Herbst im Fall eines Wahlsieges eine Koalition mit FDP, Grünen oder SPD eingehen zu können, hatte CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der völligen rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare eine der letzten konservativen Bastionen mit kühlem Lächeln geräumt, das CDU-Grundsatzprogramm mißachtet und einen offenen Bruch der Verfassung in Kauf genommen.

Der Bundestag ähnele einer „Kanzlerdemokratie“, in der sich Merkel auch zur Führerin ihrer Fraktion aufschwinge, kritisierte in der Debatte die aus der CDU ausgetretene Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Sie sprach von einer „Sturzgeburt“. Die Kanzlerin habe sich zudem über das Grundsatzprogramm der CDU hinweggesetzt; das zeige, daß „Beschlüsse der CDU offenkundig nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen“, so Steinbach. Angesichts der derzeitigen weltweiten Probleme sei es erstaunlich, wie ein solch „nebenrangiges Thema“ plötzlich hochgezogen werde, zeigte sich Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, irritiert.

Dabei hatte Machtpolitikerin Merkel lediglich ihre Position dem angepaßt, was sie als klaren Mehrheitswillen der Bürger zu erkennen glaubt: In einer Insa-Umfrage befürworten 74,7 Prozent der Befragten eine „Ehe für alle“. Geschickt neutralisierte Merkel erneut ein Wahlkampfthema.

Zweitrangig ist für sie dabei, ob die „Ehe für alle“ vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Es bleibe abzuwarten, ob der Bundespräsident das Gesetz unterzeichne oder ob eine Verfassungsklage aussichtsreich ist“, sagte der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg den Zeitungen der Funke-Gruppe.

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes. „Die Ehe genießt als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut einen „eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz“, urteilten die Karlsruher Richter im Juni 2012.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält das für überholt: „Wir sehen einen Wandel des traditionellen Eheverständnisses, der angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers die Einführung einer Ehe für alle verfassungsrechtlich zuläßt“, sagte er der Bild. Deswegen hält er auch eine Grundgesetzänderung für unnötig. „Hier geht es nicht nur um die Ausdehnung eines Begriffs, sondern um die Neufassung eines Fundaments des Gemeinwesens“, hält FAZ-Kommentator Reinhard Müller dagegen. Die Ehe sei die einzige Verbindung, die darauf gerichtet ist, auf natürliche Weise Kinder hervorzubringen. Daran sollten die Politiker denken, wenn sie „ohne Not die Verfassung verbiegen.“

Die „Ehe für alle“ sei grundgesetzwidrig, sagte der Justitiar der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, der Süddeutschen Zeitung: „Wir haben das Rechtsinstitut der Ehe seit Menschengedenken für Mann und Frau als Verantwortungsgemeinschaft mit dem Ziel der Fortpflanzung.“ Vergeblich wiesen auch die katholischen Bischöfe auf verfassungsrechtliche Bedenken und die große Bedeutung der Ehe für das Gemeinwesen hin. Ihr Appell an die Abgeordneten, sich gegen eine „Auflösung des Ehebegriffs“ auszusprechen und der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht zuzustimmen, fand nicht einmal bei CDU-Generalsekretär Peter Tauber Gehör.

Die Ehe zwischen Mann und Frau bleibe das Leitbild seiner Partei, versicherte CSU-Chef Horst Seehofer. Aus Sicht seines Parteifreundes Johannes Singhammer geht es bei der „Ehe für alle“ vor allem um die Volladoption. Bislang durften in einer amtlich eingetragenen Lebenspartnerschaft eingetragene Homosexuelle gemeinsam keine Kinder adoptieren. Singhammer findet das im Sinne des Kindeswohls richtig: „Ein Kind braucht Vater und Mutter in ihrer Unterschiedlichkeit.“

Die kinderlose Merkel hat auch diese Position längst aufgegeben. Zwar stimmte sie im Bundestag gegen die „Ehe für alle“, teilte aber im selben Atemzug mit, daß sie „eine Lockerung des Adoptionsrechtes“ befürworte. Letztlich war nur eine Minderheit von 226 der 623 anwesenden Abgeordneten der Meinung, daß eine Ehe gesellschaftlich nur aus Mann und Frau bestehen kann. Die Sieger streuten Konfetti, und der umstrittene homosexuelle Grünen-Abgeordnete Volker Beck jubelte: „Heute ist ein großer Tag für Schwule und Lesben.“

Kurzfristig würde nun Becks Partei etwas profitieren, meinte denn auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach nach der Sitzung. Der aus dem Bundestag scheidende konservative Politiker gab zu bedenken, wie sich diese Abstimmung längerfristig für die CDU auswirken werde. Stammwähler und Basis fragten sich zunehmend, wofür die Partei stehe, wenn ihr der Zeitgeist von vorn ins Gesicht wehe. Das Vorgehen der SPD nannte er einen „glasklaren Bruch des Koalitionsvertrags“. Sie habe jedoch gewußt, daß dies keine Konsequenzen haben werde. Und weiter kritisierte Bosbach: „Dies war heute eine Änderung der Verfassung ohne Verfassungsänderung.“