© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Ein bißchen Macron wagen
„Demokratie in Bewegung“: Eine neue politische Formation präsentiert sich als „Start-up ohne die Mängel klassischer Parteien“
Ronald Berthold

Von zehn Prozent ist die Rede. Zumindest aber möchte die neue Partei bei der Bundestagswahl ins Parlament einziehen. „Demokratie in Bewegung“ (DiB) sieht sich schon als neue Kraft in Deutschland: „Wenn wir in dieser Dynamik bleiben, ist das Ziel erreichbar“, sagt ihr Sprecher Alexander Plitsch. Der Name erinnert an die Gruppierung des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der seine „La République en Marche“ kürzlich zur stärksten Fraktion in der Nationalversammlung machen konnte. Daß dieses Erdbeben auch hierzulande stattfindet, scheint unwahrscheinlich.

Noch verweigern die Protagonisten eine klare Standortbestimmung. Dennoch handelt es sich um eine linke Partei. Fast alle Mitstreiter geben an, wegen ihres Erschreckens über den Brexit und die Wahl Donald Trumps politisch aktiv geworden zu sein. Wer Mitglied werden möchte, muß ein Aufnahmegespräch bestehen und sich zu den vier Kernwerten bekennen: Gerechtigkeit, Vielfalt, Demokratie und Zukunft.

Am Anfang steht der „Marktplatz der Ideen“

Im Manifest der Partei heißt es zu Beginn: „Rückwärtsgewandte, menschenverachtende und egoistische Stimmungsmacher/innen treiben die Demokratie vor sich her. Sie stellen unsere Art des Zusammenlebens in Frage – unsere Freiheit und Weltoffenheit. Sie schüren Ängste.“ Gegen diese Strömung, hinter der unschwer die AfD zu erkennen ist, möchte sich DiB engagieren. Da die Gründer auch mit den etablierten Parteien unzufrieden sind, wollen sie die Demokratie mit einem eigenen Antritt „wiederbeleben“.

Einer von ihnen ist Donald Houwer. Er liebäugelte zunächst mit den Grünen und war von der Idee des „Veggieday“ begeistert. Als die Partei die Pflicht zu einem fleischlosen Tag nach einem Proteststurm sang- und klanglos beerdigte, war der Filmemacher schwer enttäuscht. Er hatte „nicht das Gefühl, bei den Grünen ein Zuhause finden zu können“, sagte er dem Freitag.

Was aber wollen die bewegten Demokraten anders machen? Wie wollen sie die Demokratie „wiederbeleben“? Von unten nach oben sollen die Entscheidungsprozesse laufen. Ein glaubwürdiger Vertreter dieser Idee ist Gregor Hackmack, der sich nun bei DiB engagiert. Als Geschäftsführer des Internetportals abgeordnetenwatch.de und Gründer der Petitionsseite „change.org“ hat der 39jährige schon geraume Zeit versucht, zu mehr Kontrolle und Transparenz der Parlamentarier beizutragen und Wünsche des Volkes in die Politik zu tragen. Er sagt: „Im Grunde sind wir eine Start-up-Partei, nur ohne die Mängel klassischer Parteien.“ Damit meint er vor allem das „Postengeschacher“, das das Durchsetzen kreativer Ideen verhindere. „Bei uns soll jeder schneller und direkter aktiv werden können“, schwärmt er.

Wie soll das gehen? Die Idee klingt zunächst einfach: Am Anfang des politischen Entscheidungsprozesses steht der „Marktplatz der Ideen“. Dort sollen sich die Mitglieder austauschen. Aus den Vorschlägen folgen konkrete Initiativen, die diese mit „Experten“ innerhalb von zwei Wochen ausarbeiten. Daraus entsteht die parlamentarische Arbeit. Die Bundestagsabgeordneten sollen letztlich nur ausführende Organe der Basis, sogenannte „Fürsprecher“, sein und nicht ihr eigenes Süppchen kochen.

Bedingung dieser Art von Politik: Nichts darf den proeuropäischen und humanistischen Grundwerten der Partei widersprechen. Initiativen zu mehr Grenzkontrollen, weniger Zuwanderung oder Rückgabe von Entscheidungsmacht der EU an die Mitgliedsstaaten sind daher ausgeschlossen. Sie würden den Zielen von Vielfalt und Zukunft entgegenstehen. Nicht wenig erinnert an die soeben untergegangenen Piraten. Doch von deren Scheitern haben die Demokraten in Bewegung gelernt – sagen sie. Der Umgang mit der „crowd“, also der Basis, sei sehr viel schlanker und einfacher. Um das „Postengeschacher“ zu verhindern, soll es keine geben – genausowenig Egotrips einzelner. Wie die Partei das jedoch in der Praxis verhindern will, bleibt unklar. Ebenso die Frage, ob die Partei trotz ihrer ehrgeizigen Ziele, den Bundestag zu rocken, bei der Wahl überhaupt antreten kann. Dafür müßte sie in allen Bundesländern jeweils genügend Unterstützungsunterschriften sammeln – deutschlandweit mindestens 30.000.

Parteienforscher glaubt nicht an Wahlantritt

Trotz auffällig wohlwollender Berichterstattung zahlreicher Medien droht DiB schon daran zu scheitern. Zwei Wochen vor Ablauf der Frist hat sie nur in Nordrhein-Westfalen und Berlin die nötigen Unterschriften zusammen. Um aber wirklich ins Parlament einziehen zu können, müßte sie auch überall antreten.

Der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer hält das für ausgeschlossen. Er spricht DiB sogar „irgendeine Chance“ ab. Über ein Programm verfügt die Partei noch nicht. Daher vermißt der Politikwissenschaftler auch inhaltliche Aussagen. Als Beispiel nennt er im „Deutschlandfunk“ die Flüchtlingspolitik: „Dazu gibt es von allen anderen drei linken Parteien klare Positionen. Und wo ist da eine Position, die sich von diesen Positionen so unterscheidet, daß man sagen kann, da brauchen wir jetzt eine vierte Partei, weil die ganz anders ist?“ Er gibt den bewegten Demokraten den Tip, „zuhauf zu den Grünen“ zu gehen, um „dort etwas zu erreichen“.