© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/17 / 07. Juli 2017

Merkel watscht Lufthansa-Chef ab
Treffen des CDU-Wirtschaftsrates: Wenig Kritik, dafür Beifallsstürme für die Kanzlerin / Häme während der Rede des US-Handelsministers
Christian Dorn

Berlin 2017, im Maritim-Hotel gegenüber vom Bendlerblock: „Was, Sie haben hier immer noch kein W-Lan, wie soll ich dann hier arbeiten?“ Die entnervte Reaktion eines Besuchers beim diesjährigen CDU-Wirtschaftstag steht symptomatisch für das Dilemma beim Ausbau deutscher Datenautobahnen. Gleichzeitig beschloß die Bundesregieurng am selben Tag ihr W-Lan-Gesetz – kurz vor dem Ende von bislang zwölf Merkel-Regierungsjahren.

„Die Funklöcher haben sich in Deutschland seit Jahrzehnten bewährt“, kalauerte Günther Oettinger, aber als EU-Kommissar darf er das. Der Keksunternehmer Werner Bahlsen, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, ätzte, die amtlichen Ausbauziele von 50 Megabit pro Sekunde seien lächerlich, würden doch in Asien Gigabit-Anschlüsse (also das Zweihundertfache, JF 27/17) angeboten. So sorgte die Ankündigung von Peter Tauber bei Fachleuten nur für Kopfschütteln, als der CDU-Generalsekretär am Ende seiner Rede vollmundig „Glasfaser bis zu jeder Haustür“ versprach und dazu gönnerhaft aufforderte, den Menschen die Angst vor der Digitalisierung zu nehmen.

Tatsächlich käme es darauf an, nicht länger Potemkinsche Dörfer zu verkaufen. So kritisiert der private Telefonverband VATM, zu dem das Unternehmen Deutsche Glasfaser zählt, das Unionsprogramm. Wird dort doch der flächendeckende Ausbau modernster Glasfasernetze bis 2025 beschworen. Dies sei eine Mogelpackung. Überall in Europa würden nur reale Internet-Glasfaseranschlüsse gezählt, nicht die Zahl verlegter Glasfaserkilometer, denn diese endeten vor der Haustür in einem grauen Verteilerkasten. So sprächen Bundesregierung und der teilstaatliche Monopolist Telekom immer nur vom Ausbau des Glasfasernetzes, nicht von Anschlüssen. Das Telekomnetz ende zu 95 Prozent im Kupfernetz aus Bundespostzeiten. Die angeblichen „Glasfaser“-Leitungen seien nur „VDSL mit Vectoring“ – sprich: eine ausgereizte Kupferleitung.

Massive Wettbewerbsnachteile

Freilich hat nicht nur Deutschland Nachholbedarf. Laut dem ehemaligen Stabschef Technologie unter Barack Obama, Jim Green, heute beim Kunden-Management-Softwarehersteller Salesforce, habe „kein Land das Monopol auf Innovation“. Dies unterstrich der bemerkenswerte Auftritt des österreichischen Wirtschaftsministers Harald Mahrer. Der Hauptkonkurrent sei nicht länger das kalifornische Silicon Valley, sondern Asien mit Ländern wie China, Indien oder Indonesien, die zum eigentlichen Innovateur mutierten, bedingt durch wenig Regulierung und ein großzügiges Finanzierungsystem („Geld ohne Ende“). Der technische Fortschritt der vergangenen zwanzig Jahre werde in den nächsten Jahren übertroffen werden. Die „dramatischen“ Veränderungen zeigten sich etwa in der Medizintechnik, so der 44jährige ÖVP-Politiker. So würden in Japan 2019 die ersten menschlichen Organe via 3D-Technologie produziert. Die Sonne gehe im Osten auf, „und sie scheint dort immer heller, heller und heller“. Der erforderliche massive Ausbau der digitalen Infrastruktur ließe sich mit „mediokren“ Zielvorgaben von 50 bis 100 MB niemals erreichen. So würde aus dem Wirschaftsstandort EU eines Tages der Befund: „Wirtschaft stand dort“.

So sehr sich die ambitionierten Ziele von Deutschlands Digitalisierung als eine Luftnummer entpuppen, so real ist die Bedrängnis der Lufthansa, die 2016 von Ryanair – nach der Zahl der beförderten Passagiere – in Europa von Platz eins verdrängt wurde: Die Iren verzeichneten 117 Millionen Passagiere, der deutsche Marktführer nur 109,7 Millionen. So beklagte Vorstandschef Carsten Spohr in Richtung Bundeskanzlerin den „massiven Wettbewerbsnachteil“ durch den deutschen Alleingang bei der Luftverkehrssteuer, die 2010 unter der schwarz-gelben Merkel-Koalition eingeführt wurde und die Lufthansa jährlich 500 Millionen Euro koste. Obwohl der Flugverkehr ein weltweites Wachstum von sechs bis sieben Prozent aufweise, stagniere er in Deutschland. Entsprechend mahnte Spohr faire Rahmenbedingungen an, um auch mit den Staatsairlines des Mittleren Ostens mithalten zu können. Der Lufthansa-Chef stieß bei Angela Merkel allerdings auf taube Ohren, die in ihrer Rede herablassend beschied, Spohr habe doch ganz andere Probleme zu lösen. Genausowenig diskussionsbereit zeigte sich die Kanzlerin beim Thema „Energiewende“, bei der es keine Umkehr geben werde. 

Vergiftet scheint auch das transatlantische Verhältnis, da sich Amerika „tweetend und irrlichternd“ zurückziehe, meinte Oettinger. Um so wichtiger erschien der Auftritt des US-Handelsministers Wilbur Ross, der entgegen der ursprünglichen Ankündigung nur via Liveübertragung aus Amerika zugeschaltet war. Doch statt des geplanten zehnminütigen braven Statements redete der 79jährige Firmensanierer und Unternehmer im Sinne von „Amerca first“ Klartext. Seine Zahlenkolonnen sollten die angebliche Benachteiligung der US-Industrie imWelthandel verdeutlichen – doch die versammelten 3.500 Unternehmer und CDU-Funktionäre wollten das nicht hören. So suchten die Zornigen im Saal Ross für einige Sekunden wegzuklatschen, bis der Veranstalter selbst die Übertragung kappte, um der Bundeskanzlerin das Wort zu geben.

Diese wollte einen Eklat vermeiden und lobte Ross’ Angebot für Freihandel und ein neues TTIP-Abkommen. Den Vorwurf des deutschen Handelsüberschusses versuchte sie zu entkräften: 40 Prozent der Wertschöpfungskette würden außerhalb Deutschlands produziert. Trotzdem gingen diese Produkte zu 100 Prozent in die Bilanz ein. Das BMW-Werk in South Carolina exportiere mehr Autos als Ford und General Motors zusammen – woraufhin unvermittelt ein ohrenbetäubender Applaus ausbrach.