© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

„Wir sind im Krieg“
Tausende Randalierer, marodierende Antifa-Gruppen, Plünderungen, Brandstiftungen, Körperverletzungen: JF-Reportage von den dreitägigen G20-Ausschreitungen
Martina Meckelein / Hinrich Rohbohm

Strahlender Sonnenschein. Hamburg, 6. Juli, 12 Uhr. Ohrenbetäubender Lärm: Die Rotoren der kreisenden Helikopter zerschlagen die Luft. In einer Viertelstunde soll die Maschine mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping auf dem Flughafen Fuhlsbüttel landen. Trump käme zwischen 15 und 16 Uhr, Juncker und Erdogan ab 19 Uhr, und Theresa May wolle spätestens um 23 Uhr aufsetzen.

Die Hindenburgstraße, an der das Polizeipräsidium liegt, ist eine der Routen der Staatsgäste vom Flughafen zu ihren Hotels. Sie ist leer. Kämen die Politiker per Schiff über die Elbe, würde in Willkommhöft die Schiffsbegrüßungsanlage ihnen zu Ehren die jeweilige Nationalhymne spielen und Menschen ihnen zuwinken. Hier winkt niemand.

Rein in die U-Bahn ab Alsterdorf. Zwei Frauen versuchen seit drei Stunden nach ihrer Frühschicht nach Hause zu kommen ins Portugiesenviertel am Hamburger Hafen. Nichts geht. „Wir wohnen im Sicherheitsbereich 2, beim Bürgertelefon kriegten wir auch keine Auskunft. Der Scholz faselt davon, der Gipfel sei so etwas wie der Hafengeburtstag. Wenn der das ernst meint, war der noch nie auf einem.“

Ruhe auf dem Fischmarkt. Hier soll in fünf Stunden die „Welcome to Hell“-Demonstration beginnen. Anmelder: Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum „Rote Flora“ im Schanzenviertel. Die Demo will bis zum Sievekingplatz marschieren. Dagegen sprach sich die Innenbehörde aus – ohne Erfolg. Die DPA hatte Blechschmidt mit den Worten zitiert: „Das Bündnis, für das ich hier stellvertretend spreche, ist seit einer Woche Ziel einer massiven und denunzierenden Stigmatisierung, mit haltlosen und aus der Luft gegriffenen Gewaltszenarien.“

Radio berichtet von einer weitgehend ruhigen Nacht

Denunzierende Stigmatisierung? Könnte sein. Wasserwerfer, Funkstreifenwagen, Bereitschaftspolizei. Dabei ist Happening-Stimmung auf dem Fischmarkt. Junge Leute mit Fahnen sitzen auf Steinmauern, rauchen, lachen, trinken Rhabarbersaftschorle für 1,50 Euro oder Astra, das Hamburger Kultbier. Manche tanzen. Aus einer Anlage auf einer Bühne dröhnt Hip-Hop und Ravemusik. Linke Infostände verteilen das Heftchen „Was tun wenn’s brennt?“. Ein Demo-Einmaleins mit Rechtshilfetips „bei Übergriffen, Festnahmen und auf der Wache“. Die Kneipen drumherum haben allerdings fast alle geschlossen. Seltsam. Dabei könnten die das Geschäft ihres Lebens machen. Das macht dafür der „Schanzenbäcker“. Eine Traube vor seiner einzigen Toilette – kostenlos. Am kommenden Tag werden einige Wirte auf der Reeperbahn einen Euro verlangen. Die Partei „Die Linke“ hat parlamentarische Beobachter in Warnwesten geschickt. Sie geben Fernsehteams Interviews.

Jetzt wird es gerammelt voll auf dem Fischmarkt. 12.000 Demonstranten, so die Polizei. Plötzlich Geschrei: „A. Anti. Anticapitalista“, „Weg, die Macht der Banken und Konzerne“, „Hoch die internationale Solidarität!“ Ein Demo-Zug rennt im Laufschritt auf den Fischmarkt zu, begrüßt von infernalischem Jubel. Derweil stehen oben an der Balustrade Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern und studieren noch Stadtpläne.

Aufstellung zur Demonstration. Plötzlich: Wie von Geisterhand ein riesiger Schwarzer Block. Menschen zwischen geschätzt 14 und 30 Jahren. Jungen, Mädchen, Männer, Frauen. Schwarze Hosen, schwarze Anoraks, schwarze Tücher vor dem Gesicht, Sonnenbrillen, Basecaps. Sie fassen ihren Vordermann mit der rechten Hand auf die linke Schulter – eine anarchistische Polonaise.

Doch es geht nicht los. Die Polizei verlangt Entmummung. Die ersten „Scheiß Bullen“-Rufe ertönen. Eine Dreiviertelstunde Ungewißheit. Tausende von Schaulustigen an der Hafenstraße. Sie warten. Worauf? „Da, die Wasserwerfer!“ frohlockt ein junger Mann mit Schweizer Dialekt und stiert auf das Schauspiel. Und er fällt in den Chor ein: „Ganz Hamburg haßt die Polizei!“ Woher er das wisse? Er schaut erstaunt und grinst einfältig. „Scheiß Bullen“ und „Haut ab“ schreit er, während unten die Demonstranten Flaschen auf die Polizisten werfen, Rauchbomben die Sicht vernebeln, Sirenen kreischen.

Aus dem Demonstrationslautsprecher brüllt eine männliche Stimme: „Heute eine weitere Eskalation. Die Polizei scheint auf alles einzuknüppeln. Das macht einen Polizeistaat aus!“ Böller krachen. Flaschen zerbersten. Die „Autonomen“ verschwinden zwischen den friedlich Demonstrierenden. Bis 24 Uhr liefern sich gefährliche Kleingruppen Scharmützel mit der Polizei in der Stadt. Sie zünden Autos an, zerschlagen bei Ikea in Hamburg-Altona die Scheiben. Bilanz: 74 verletzte Polizisten, davon fünf Beamte in der Klinik, 20 Festnahmen, 60 Feuerwehreinsätze. Und dabei hat der Gipfel noch gar nicht begonnen.

Einige Straßen geraten    völlig außer Kontrolle

Um 7 Uhr am Freitag morgen wollen sich Demonstranten „pünktlich“ am Berliner Tor treffen. Im Radio berichten Moderatoren von einer weitgehend ruhigen Nacht. Was sie nicht wissen: Schon rennen wieder marodierende „Autonome“ durch Altona und setzen Autos in Brand. Auf der berühmt-berüchtigten Reeperbahn stoppen Demonstranten mittags einen Bus. Sitzblockade. Die dahinterfahrende Kolonne stoppt. Auf den letzten Wagen, eine Funkstreife, stürzen sich zwei „Autonome“. Sie reißen die hinteren Fahrzeugtüren auf und werfen Akten, Taschen, einen Wasserkasten auf die Straße. Dann gehen sie seelenruhig weiter. Die Leute schauen nur zu. Ist das Angst oder Desinteresse?

Ein dralles Mädchen im weit ausgeschnittenen roten T-Shirt hängt über einem Geländer: „Na, und heute abend, wenn Sie zu Hause sind bei Mutti, dann erzählen Sie ihr, ‘Mami, ich hab 15 Demonstranten zusammengeschlagen’. Da fühlen Sie sich sicher richtig gut, was?“ Dann lacht sie dreckig. Die angesprochenen Bereitschaftspolizisten verziehen keine Miene.

Freitag nachmittag wollen die „Demonstranten“ zur Elbphilharmonie gelangen, wo die G20-Staats- und Regierungschefs am Abend Beethovens 9. Sinfonie lauschen werden. Auf ihrem Protestzug dorthin werfen die Kriminellen Mülleimer auf die Straßen, lockern Pflastersteine, schleudern Glasflaschen gegen Fensterscheiben. Sie kommen bis zu den Landungsbrücken. Dann stoppt sie ein massives Polizeiaufgebot mit Panzerwagen, Wasserwerfern und Räumfahrzeugen. Tausende Demonstranten füllen jetzt die Hafenstraße. Erneut fliegen Steine und Flaschen. Der Bahnverkehr in der Innenstadt ist eingestellt. Keine Taxen fahren, keine Busse. Zahlreiche Menschen sitzen stundenlang in der Innenstadt fest. Einige Linksextremisten brechen das heruntergelassene Gitter der Bahnstation Landungsbrücken auf, ehe die Polizei mit Wasserwerfereinsatz, Reiterstaffel und mehreren Hundertschaften die Hafenstraße räumt.

Die Gewalttäter strömen jetzt in verschiedene Richtungen aus, setzen Fahrzeuge in Brand, schmeißen Steine von Brücken auf Polizeibeamte.

Am Abend brennt es im Schanzenviertel. Die Polizei hat vor dem Neuen Pferdemarkt Position bezogen, zögert, will den Gewalttätern nicht in die Falle gehen. Denn auf den Dächern haben sich Linksextremisten in Stellung gebracht, wollen die Beamten mit Gehwegplatten bewerfen. Aufklärer der Polizei raten zunächst von einem Vorrücken in die Straße „Schulterblatt“ ab, wollen das Leben ihrer Kollegen nicht gefährden, während rund um die seit Jahren von linksextremen Hausbesetzern in Beschlag genommene „Rote Flora“ das Chaos regiert.

Einige Straßen des Schanzenviertels geraten vollkommen außer Kontrolle. Anarchie und Gewalt bestimmen die Szenerie. Linksextremisten plündern Geschäfte, schlagen Fenster ein, setzen wahllos Autos in Brand, attackieren Polizisten mit Stahlkugeln, Pflastersteinen und Glasflaschen, verschanzen sich hinter den von ihnen entfachten Brandbarrikaden. Anwohner des Viertels stehen abseits der Straße, auf ihren Balkonen oder an ihren Fenstern. Viele von ihnen bejubeln die Linksextremisten, klatschen Beifall und beschimpfen die Polizisten. Sie skandieren „Ganz Hamburg haßt die Polizei“ oder „Haut ab“. Sie rufen „Our streets“. Und wollen damit zum Ausdruck bringen, daß die Polizei hier nichts zu suchen habe, daß sie sich hier in der Schanze, einer Hochburg der linken und grün-alternativen Szene, ihre eigenen Regeln geben.

Die Polizei bringt schwer bewaffnete Spezialeinheiten in Stellung. Bei ihrem Anblick schlägt die Stimmung schlagartig um. Hohn, Spott und Schmähungen gegenüber den sonst nur mit Schlagstock und Dienstwaffe ausgerüsteten Beamten folgen plötzlich eine Mischung aus verschärfter Aggressivität und nackter Angst. „Ey, nein, was soll das, haut ab“, schreien einige. Anderen wird es mulmig. „Mein Gott, die haben ja richtige scharfe Waffen“, ruft jemand entsetzt. „Das gibt noch bestimmt Tote hier. Ab morgen sind wir im Krieg.“

Erst als eine Spezialeinheit die Linksextremisten mit vorgehaltenen Waffen von den Dächern holt, rückt die Polizei in Richtung „Rote Flora“ vor und kann die Lage unter Kontrolle bringen. Es wurden die heftigsten Ausschreitungen, die Hamburg seit der Nachkriegszeit erlebt hat.





Terrorbilanz von Hamburg

Polizisten im Einsatz:20.000

Verletzte Polizisten:476

Vorläufige Festnahmen:186

Personen in zeitweiligem Gewahrsam:225

Personen in längerfristigem Gewahrsam:82

Haftbefehle:85

U-Haft angeordnet:51

G20-Feuerwehreinsätze:478

darunter wegen Bränden:161

Fotos: Zur Abwehr von Steinwürfen von einer Fußgängerbrücke: Eine Polizeieinheit in Schildkrötenformation am Samstag unweit der Landungsbrücken am Hamburger Hafen (o.); Gewalttäter des Schwarzen Blocks: Vermummt und aggressiv (l.); Ausnahmesituationen: Eine Spezial­einheit der Polizei holt in der Nacht von Freitag auf Samstag mit vorgehaltener Waffe Kriminelle von den Dächern (l. o.); Ein Feuerwehrmann löscht am Donnerstag ein in der Innenstadt in Brand gesetztes Auto; Wasserwerfer gegen zusammengerottete Links-Kriminelle: Am Hafen kam es zuerst zu vielfachem Landfriedensbruch