© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Florierende Taxidienste
Migration: Laut EU-Grenzschutzagentur Frontex helfen alle Privaten, die an „Rettungsaktionen“ im Mittelmeer beteiligt sind, „unbeabsichtigt“ den Verbrechern
Hinrich Rohbohm

Das Schlauchboot – vielleicht für 800 bis 1.100 US-Dollar bei der chinesischen Handelsplattform Alibaba als „inflatable refugee boat“ erstanden – ist hoffnungslos überfüllt. Knapp 150 Personen – zumeist Männer – auf einem Gefährt, das keine 20 Meter lang ist. Dessen Boden aus Gummi besteht. Arabische Schlepper haben die Insassen zuvor aus ihren libyschen Camps geholt, in denen sie Migranten aus den verschiedensten Staaten Afrikas über Monate festhalten, ehe sie ihre „Ware“ auf ein zumeist kaum seetaugliches Boot verfrachten und aufs Mittelmeer hinausfahren. Wer nicht will, den zwingen die Schleuser mit Waffengewalt dazu. Nur wenige Seemeilen von der Küste entfernt verlassen sie ihre „Fracht“, kehren zurück nach Libyen. Sie wissen: Kurz hinter der Zwölf-Meilen-Zone, außerhalb libyscher Hoheitsgewässer kreuzen Schiffe sogenannter Nichtregierungsorganisationen, kurz NGOs genannt. 

Private „Retter“ stechen von Malta aus in See

Glaubt man der libyschen Küstenwache und der Staatsanwaltschaft der sizilianischen Stadt Catania, so geben sie den Schleusern bereits frühzeitig Lichtsignale, um ihre Position mitzuteilen. „Wir haben Beweise dafür, daß es direkte Kontakte zwischen einigen Nichtregierungsorganisationen mit Schleppern in Libyen gibt“, sagte der sizilianische Oberstaatsanwalt Carmelo Zuccaro im April  der italienischen Zeitung La Stampa. Dies treffe zwar nicht auf die größeren Organisationen zu, wie beispielsweise „Ärzte ohne Grenzen“ oder „Save the Children“. Aber: „Bei anderen, wie der maltesischen Moas sieht das anders aus.“ 

Ein Großteil dieser schwarzen Schafe stamme aus Deutschland. Genannt werden in diesem Zusammenhang unter anderem „Jugend rettet“, „Sea Watch“, „Sea-Eye“, „LifeBoat“, „SOS Mediterranée“ sowie „Mission Lifeline“. Die Organisationen würden nicht selten auch innerhalb der libyschen Hoheitsgewässer operieren. Zuccaro hatte Ermittlungen eingeleitet, spricht von Telefonanrufen aus Libyen bei den betreffenden NGOs. Der Verdacht: Einige Hilfsorganisationen würden gar von Schleusern finanziert. 

Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex spricht schon seit längerem von einem „Taxidienst“ zwischen Libyen und Italien. So würden etwa 40 Prozent der Hilfseinsätze von privaten Initiativen betrieben. „Offenbar helfen alle Parteien, die an Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer beteiligt sind, unbeabsichtigt den Verbrechern, ihre Ziele mit minimalem Kostenaufwand zu erreichen, indem sie ihr Geschäftsmodell durch erhöhte Erfolgschancen stärken“, heißt es in einem Bericht der Agentur. 

Wer aber steckt hinter diesen Organisationen? Die meisten ihrer Schiffe stechen von Malta aus in See. Hier haben sie kleine Büros, die die logistische Unterstützung für die Fahrten leisten. In Malta hat auch die Organisation „Moas“ ihren Sitz. Der Name steht für Migrant Offshore Aid Station. 

Gegründet wurde die Organisation im Jahr 2014 von dem italienisch-amerikanischen Millionärsehepaar Christopher und Regina Catrambone. Die Catrambones statteten das Projekt mit einer großzügigen Spende in Höhe von vier Millionen Euro aus. 

Sein Büro hat Moas in der Triq Melita, einer Seitenstraße mitten in der Innenstadt von Valletta. Der Eingang wird per Videokamera überwacht. Hinter der dunkelgrünen Eingangstür befinden sich hochmodern eingerichtete Büroräume. Und das Versicherungsunternehmen Osprey, ein Ableger der Tangiers Group. Tangiers ist unter anderem ein Versicherungs- und Gesundheitsdienstleister, der sich auf Krisen- und Unruhegebiete spezialisiert hat. Gebiete wie beispielsweise Libyen. Der Gründer des Unternehmens ist ebenfalls Christopher Catrambone. Osprey wiederum versichert unter anderem Drohnenfluggeräte. Geräte, wie sie etwa auf der bestens ausgerüsteten „Phoenix“, dem vor Libyen fahrenden Schiff von Moas zum Einsatz kommen. 

Die Kosten für den Betrieb der „Phoenix“ werden durch Spenden finanziert. Wer die Spender sind, möchte Catrambone nicht preisgeben. Bekannt ist lediglich, daß die Organisation „Avaaz“ mit einer beachtlichen Summe von 500.000 US-Dollar zum Moas-Spendenaufkommen beigetragen hat. 

Avaaz ist eine Bewegung sogenannter Online-Aktivisten mit 40 Millionen Mitgliedern aus 194 Nationen, die sich vorwiegend mit der Organisation von Online-Kampagnen zu Themen wie Klimawandel, Tierschutz oder Armutsbekämpfung beschäftigt. Zu ihren Gründern gehört der einstige demokratische Kongreßabgeordnete Tom Perriello, ein Zögling des ehemaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders. 

Auch die Organisation „Jugend rettet“ erhält Unterstützung aus einschlägig linken Kreisen. Etwa von der Initiative „Flüchtlinge willkommen“, die zum internationalen Netzwerk „Refugees welcome“ gehört und Wohnungen an Migranten vermittelt. „Flüchtlinge willkommen“ wiederum wird von der Stiftung „:do“ finanziert, die eigenen Angaben zufolge die „Rechte von Flüchtlingen und Migranten“ fördere.

Als Geldgeber von :do. fungieren eine Fülle linker Stiftungen und Organisationen. Darunter auch die aus dem Umfeld der Grünen und von Attac-Aktivisten gegründete Bewegungsstiftung sowie die Amadeu- Antonio-Stiftung. 

Einer der Aktivisten von „Jugend rettet“ ist Sascha Gierke, ein ehemaliger Hausbesetzer aus Potsdam, der früher für Utopia e.V., einen Verein für antirassistische und antifaschistische Jugend- und Bildungsarbeit tätig war und auch schon auf den griechischen Inseln für die „Rettung“ von Migranten aktiv gewesen war. 

Ticket nach Italien für 2.000 Euro 

Jetzt fungiert der 37jährige als Einsatzleiter auf der „Iuventa“, dem Schiff von „Jugend rettet“, das ebenfalls vor der libyschen Küste operiert. Das Schiff kreuzt regelmäßig unmittelbar vor der Zwölf-Meilen-Zone. Auffällig oft ist der Transponder ausgeschaltet. Die Route des Schiffes ist dann online nicht mehr zu verfolgen. Ein Umstand, der auch der italienischen Staatsanwaltschaft verdächtig vorkommt. 

Statt die aufgenommenen Migranten zum nahen afrikanischen Festland zu bringen, transportieren die NGOs sie zu größeren Schiffen der Küstenwache oder „Ärzte ohne Grenzen“, die sie dann entweder nach Malta, zumeist aber gleich ins noch weiter entfernte Italien bringen. 

Wer von den Zuwanderern nach Malta gebracht wird, hat nur eines im Sinn: weiter auf das europäische Festland. Hektisch gestikuliert einer von ihnen im Aufnahmelager von Halfar mit seinen Armen, während er redet. „Ich will endlich Papiere bekommen“, sagt er. Trotz sengender Hitze trägt der Afrikaner eine Wollmütze. Mit dem Reden will er gar nicht mehr aufhören. „Seit sieben Jahren bin ich hier. Ich will endlich nach Äthiopien und meine Frau wiedersehen.“ Wenn er Papiere habe, werde alles anders. „Dann werde ich nach Afrika reisen und meine Familie besuchen.“ Die Familie besuchen? In Afrika? Einem Kontinent, von dem er doch eigentlich geflohen sein müßte, weil sein Leben in Gefahr ist. Der Mann geht auf die näheren Umstände nicht weiter ein. Bestätigt vielmehr: „Ja, die meisten hier im Camp wollen weg aus Malta. Nach Italien und dann weiter nach Norden. Aber dafür braucht man Geld.“

Auch auf Malta gebe es Schleuser. „Für 2.000 Euro organisieren sie den Transport nach Italien.“ Geld, das kaum einer habe. „Jeder hat ja bereits für die Fahrt von Libyen über das Mittelmeer bezahlt. Danach haben die Leute nichts mehr.“ Sie kommen ins Aufnahmelager. Nach Marsa, in der Nähe der Hauptstadt Valletta oder wie er ins abseits gelegene Camp von Halfar. „Wenn das Lager zu voll ist, geben sie dir einen Tritt in den Hintern und du mußt sehen, wie du dein Leben auf Malta regelst.“ 

„Fast alle wollen weiter aufs Festland“, bestätigt auch ein Malteser im Hafen von Valetta der JF. Seine bei ihm sitzenden Freunde nicken. Doch nicht jeder würde das offen zugeben. Das wird besonders in Marsa deutlich. „Ich komme aus Italien, ich arbeite nur auf Malta“, erzählt ein Migrant aus dem westafrikanischen Benin. Die Hände hat er zur Merkel-Raute gefaltet, während er spricht. Ob er weiter in den Norden Europas wolle, darüber möchte er nicht so genau befragt werden. Wie so viele der Migranten im Camp von Marsa, die zumeist die gleiche Geschichte erzählen.  In den vergangenen Wochen ist die Zahl der Ankommenden nicht nur in Italien, sondern auch in Marsa sprunghaft angestiegen. 

Zeit zu reagieren, sagt nun auch die EU. Anfang Juli einigten sich der EU-Migrationskommissar Avramopoulos und die Innenminister aus Deutschland, Frankreich und Italien auf Maßnahmen zur Bewältigung der Migrationsströme. Dazu gehört ein Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen zur „besseren Koordination auf dem Mittelmeer“, mehr Hilfe für die libysche Küstenwache, eine Ausweitung der Unterstützung für die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das UN-Flüchtlingshilfswerk für ihre Aktivitäten in Libyen.

Die NGOs schäumen und erklären, daß es mit dem internationalen Seerecht bereits einen Verhaltenskodex gebe. Besonderer Dorn im Auge von Sea-Watch e.V & Co. ist die „europäische Abschottungspolitik“. „Besonders fragwürdig“ sei hierbei die Kooperation mit der libyschen Küstenwache, deren „Mitglieder internationales Seerecht und die Genfer Flüchtlingskonvention mißachten – und das, obwohl sie seit Monaten von europäischen und deutschen Marinesoldaten ausgebildet“ würden.