© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Pankraz,
John le Carré und die deutsche Sprache

Es war eine Liebeserklärung, die der berühmte britische Schriftsteller und Geheimdienst-Experte John le Carré (85) vorige Woche im Londoner Observer veröffentlichte: eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache (!), getragen von einer derartigen Inbrunst und Leidenschaft, daß der Leser richtig davon ergriffen wurde. Die deutsche Sprache, war da zu lesen, sei gleichsam der Inbegriff der Verbindung von Anstand und Genauigkeit, Dezenz und Offenheit, wissenschaftlicher Genauigkeit und romantischer Poesie. Er, le Carré, könne nur jedem seiner Landsleute raten, Deutsch zu lernen.

Pankraz mußte bei der Lektüre an einen anderen berühmten angelsächsischen Schriftsteller denken, an Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain (1835–1910), der ebenfalls ein erklärter Freund der Deutschen war, an ihrer Sprache aber dauernd Anstoß nahm und darüber sogar ein schmales Büchlein („Die Schrecken der deutschen Sprache“) geschrieben hat. Er sah die Deutschen als eine Art „Sprachchinesen“, amüsierte sich darüber, daß in ihrer Sprache Subjekt und Prädikat endlos auseinandergezogen würden, um dazwischen alle möglichen Bestimmungen unterzubringen, und scherzte über die bestimmten Artikel „der, die, das“ und daß man zwar „die Frau“, aber „das Fräulein“ sagen muß.

Höchst fremdartig berührte ihn die „unbekümmerte Assoziationswut“ der Deutschen. Während die stammesmäßig mit ihnen doch so eng verwandten Angelsachsen für neue Tatbestände ganz schlicht neue Wörter schüfen und sie dann flektierend in den Sprachduktus einbauten, stellten die Deutschen (genau wie eben die Chinesen) bedeutungsvoll Stammwörter nebeneinander, wodurch oft wahre Wortschlangen entstünden, etwa „Dilettantenaufdringlichkeiten“. Wo komme das her, fragte er immer wieder, was sei hier geschehen?


Die Frage trieb ihn um so heftiger um, als die Deutschen „doch sonst“, wie er sagte, durchaus ordentlich ökonomisch zu denken verstünden. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte der große Spötter überwiegend in Heidelberg und in Berlin, wo er sich besonders wohlfühlte. Er pries die deutsche Hauptstadt als Mekka der Wissenschaft und der avancierten Technik, und Kaiser Wilhelm II. empfing ihn zum Mittagessen und unterhielt sich mit ihm über Tom Sawyer – natürlich auf englisch.

In Heidelberg einmal zu einer Tischrede gebeten, warnte

Twain: ja, er wolle reden, sogar auf deutsch, könne es jedoch trotzdem „nur amerikanisch kurz“ machen. Man bat und drängte ihn trotzdem, und so sagte er denn: „Werte Festgäste, freßt feste!“ Und setzte sich wieder. Natürlich war das nicht nur amerikanisch kurz gesprochen, sondern es enthielt auch seine ständige Kritik an der deutschen Sprache. So klingt es eben, wollte er wohl zeigen, wenn man präzise in Worte faßt, worüber ihr immer nur chinesisch-umständlich daherlabert.

Hier ist es also, wo sich John le Carré, um auf ihn zurückzukommen, scharf von seinem historischen Kollegen Mark Twain unterscheidet. Le Carrés Standpunkt, wie er in dem Observer-Aufsatz klar zum Ausdruck kommt: Sprache ist im Idealfall nicht nur ein simples Instrument der Mitteilung, sondern sie ist auch auf „Anstand“ aus, auf Höflichkeit und Herstellung eines gelassenen Dialogs. Und sie ist Form sui generis. Sie ersetzt nicht einfach eine Formulierung durch die andere, sondern läßt das Neue aus dem Alten hervorgehen, soweit das in sich logisch ist. 

John le Carré macht auch deutlich, daß diese chinesische respektive deutsche Spracheigenheit der wissenschaftlichen Genauigkeit keineswegs abträglich ist, diese im Gegenteil befördert und so gegebenenfalls feinste technische Details und Neuerungen ermöglicht. Um so schlimmer, wenn derartige linguistische Möglichkeiten aus politischen Gründen bewußt ignoriert und abgetan werden. Ulrich Ammon (73), der international gefragte Germanist und Sprachsoziologe von der Universität Duisburg-Essen, hat darüber in seinen Schriften beredt Auskunft gegeben.


So erzählt er von chinesischen Studenten, die zu Hause perfekt Deutsch gelernt haben, nicht zuletzt um wichtige, grundlegende Werke aus Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaft im Original studieren zu können. Sie wundern sich nun sehr, wenn sie zum ersten Mal nach Deutschland kommen, um ihre Studien vor Ort zu vervollständigen. Denn es wird dort gar nicht deutsch gesprochen, sondern englisch. Ganze riesige deutsche Fachwortbestände sind oft gar nicht mehr auffindbar; man hat sie vollständig – und nur allzu oft sehr unbeholfen – ins (Neu-)Englische übertragen.

Ammon nennt die Konstellation „schlicht absurd“. Die wissenschaftliche Genauigkeit und Gründlichkeit werde dadurch an vielen Stellen eindeutig geschwächt, zumal da nicht wenige Forscher und Lehrer es ihr Leben lang nur zu einer Art Pidgin-Englisch brächten, das für eine Kennzeichnung diffiziler Zusammenhänge gar nicht ausreiche. So entstehe aus dem Pidgin-Englisch schließlich auch eine Pidgin-Wissenschaft, ein Sammelsurium von aktuellen „Studien“, die aus nichts weiter als aus Meinungsumfragen und Mehrheitsfeststellungen bestünden und das schon für Wissenschaft hielten.

Wie können wir speziell in Europa der Gefahr einer Pidgin-Wissenschaft und überhaupt einer  Pidgin-Kultur widerstehen? Der italienische Schriftsteller und Semiotiker Umberto Eco war da sehr optimistisch. „Europa ist der Kontinent der vielen Sprachen und der Übersetzungen“, konstatierte er kurz vor seinem Tode, „das wird uns vor Gleichmacherei und pseudo-modernem Jargon bewahren.“ Pankraz beibt eher skeptisch. Europa, vermutet er, wird nur als „Kontinent der Unübersetzbarkeiten“ (Barbara Cassin) überleben, indem es seine jeweiligen Spracheigenheiten hegt und pflegt.

John le Carré im Observer hat jedenfalls recht: Wir müssen als Europäer, soweit möglich, reichhaltige, in sich fest zusammengefügte Sprachen lernen und respektieren, auch und nicht zuletzt anständiges, romantisches Deutsch.