© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Viel Lärm um nichts
Asoziale Netzwerke: Immer schneller jagen Erregungswellen durchs Land
Konrad Adam

Als neulich die Zahl der Facebook-Nutzer die Zwei-Milliarden-Marke übersprang, nahm Mark Zuckerberg, der Chef des Unternehmens, das zum Anlaß, den Ruf seiner Firma zu polieren. Das Netz, sagte er, sei ja viel mehr als nur ein Netz, es sei Gemeinde und Gemeinschaft, begründe Zusammengehörigkeitsgefühle und stifte Sinn, ähnlich wie jeder Sportverein und jede Kirche. Worin der Sinn von Facebook aber nun bestehen soll und wie er sich von dem gemeingefährlichen Unsinn unterscheidet, zu dem sich Gesinnungsgemeinschaften wie Rote Hilfe, Grüne Jugend oder Schwarzer Block verabreden, um die Bürger der Stadt Hamburg zu terrorisieren und ganze Straßenzüge zu verwüsten, das hat Mark Zuckerberg uns nicht gesagt. 

Es wäre ihm auch schwergefallen. Denn was da als Gemeinschaft angepriesen wird, ist keine Gemeinschaft, sondern eine Ansammlung von Leuten. Die Facebook-Nutzer sind Mitglieder eines Kollektivs, das der amerikanische Soziologe David Riesman vor Jahr und Tag, nur scheinbar widersprüchlich, als die „einsame Masse“ beschrieben hat. Der typische Netzwerker hat Freunde, von denen er die meisten nie gesehen hat und die er überhaupt nur deshalb als Freunde bezeichnen kann, weil er nicht weiß, was das Wort Freundschaft bedeutet, früher wohl auch bedeutet hat. Der Facebook-Kunde bleibt für sich, er ist nicht Freund, sondern Teil einer einsamen Masse.  

Die technisch vermittelte Kommunikation hat den Zweck, Verbindungen herzustellen; Freundschaften oder Gemeinschaften stiftet sie nicht, dazu ist sie zu kalt, zu fremd, zu schwach. Um aus einer Ansammlung von Menschen eine Gemeinschaft zu machen, bedarf es gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Aversionen, gemeinsamer Bundesgenossen und eines gemeinsam bekämpften Feindes. 

Nichts hält Gemeinschaften stärker zusammen als ein gemeinsamer Gegner. Die Antifa führt ihn ja schon im Namen, sie definiert sich durch den Feind, mehr als den Gegner braucht sie gar nicht. Daß sie ihn nicht beschreiben kann, ist alles andere als ein Nachteil, weil sich ein Gegner um so wütender bekämpfen läßt, je weniger man von ihm weiß. Der ideale Feind bleibt nebulös und anonym, nur dann mobilisiert er das Gefühl, das wie sonst nichts zusammenschweißt, den Haß. Haß, heißt es denn auch in der lesenswerten Skizze, die Eric Hoffer über den Typ des Fanatikers geschrieben hat, „Haß ist die am leichtesten zu handhabende und verständlichste aller gemeinschaftsbildenden Kräfte“.

Daß es so etwas gibt wie Haß im Netz und dieser Haß sich in immer gröberen Formen austobt, sollten auch diejenigen zugeben, die Heiko Maas’ jüngstes Bubenstück, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, aus guten Gründen für gefährlich halten (JF 28/17). Der Wunsch, möglichst schnell, laut und auffällig zu reagieren und mit ein paar rabiaten Aussagen alle Welt in Erstaunen zu versetzen, treibt täglich neue Sumpfblüten hervor. Peter Taubers verächtliche Bemerkung über die Minijobber war ebenso instinktlos wie Günther Öttingers Kommentar zu den schlitzäugigen Chinesen. Aber waren sie auch die Aufregung wert, die sie im Netz entfesselt haben?

Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, und nirgends knapper als in einer Gesellschaft, die sich daran gewöhnt hat, politische Auseinandersetzungen in Talkshows und im Internet, auf Twitter oder Facebook zu führen. Um dort aufzufallen, muß man etwas besonders Kluges oder etwas besonders Dummes sagen; das Dumme fällt natürlich leichter. Selbst das verbürgt aber noch kein dauerhaftes Echo, weil ja der nächste Dumme schon bereitsteht. Katrin Göring-Eckardt war doch nun wirklich nicht zimperlich, als sie die Gegner der Ehe für alle kurzerhand als Arschlöcher bezeichnete. Aber was hat ihr diese kapitale Dummheit eingebracht? Einen Tag lang Rummel im Netz, danach war Ruhe.

Franklin Roosevelt nahm sich noch Zeit, um in seinen fireside-chats die Nation nicht nur an seinen Entschlüssen, sondern auch an seinen Überlegungen teilhaben zu lassen. Sein später Nachfolger hält das für überflüssig, Trump twittert. Den Ärger, den Widerspruch, die Aufregung und die Mißverständnisse, die er damit hervorruft, sind Teile seines politischen Kalküls, das auf Überraschung setzt und aus der Verwirrung Vorteile zu gewinnen hofft. Trump will auffallen, auffallen um jeden Preis, und wenn die Sensation ihm nicht geliefert wird, dann inszeniert er sie eben selbst. Nicht was die Leute über ihn reden, sondern daß sie über ihn reden ist ihm wichtig.

Der Demokratie wird damit allerdings die Grundlage entzogen, sie funktioniert nach anderen Gesetzen. Sie lebt vom Recht des Bürgers, sich gründlich zu informieren und in regelmäßigen Abständen politische Bilanz zu ziehen. Nach vier oder fünf Jahren soll er ein Urteil über die abgelaufene und eine möglichst wohlbegründete Entscheidung über die zukünftige Legislaturperiode abgeben; was aber schwer wo nicht sogar unmöglich wird, wenn ihm die Netzwerke mit ihren ephemeren Albernheiten und ihren falschen Sensationen, mit ihrem Wortmüll und ihren schrillen Tönen die Ohren verstopfen. Dann verliert er die Orientierung und reagiert genauso, wie Niklas Luhmann das beschrieben hat, als er die Stimmung des durchschnittlich interessierten Bürgers in die Worte faßte: Alles könnte anders sein, und nichts kann ich ändern.

Das ist die Stimme der Resignation. Resignation ist die natürliche Antwort auf die Erfahrung, nicht gebraucht zu werden; und die macht jeder aufmerksame Bürger täglich. Da die eigene Erfahrung, das eigene Wissen und das eigene Urteil nicht mehr zählen, flüchtet er sich in die Schlagwörter, die Simplifikationen und die Abstrakta, die ihm die Mundwerker der Medienindustrie bereitwillig zurufen. Von denen hat er gelernt, Modernisierung, freien Handel und alles, was irgendwie links ist, für gut, Globalisierung dagegen, Protektionismus und alles, was rechts ist, für schlecht zu halten. Das reicht aber nicht, um seine Rolle als Staatsbürger zu spielen, und weil er das selbst merkt, bleibt er den nächsten Wahlen fern.

Facebook, Twitter und wie die sozial genannten Netzwerke sonst noch heißen tragen ihren Namen zu Unrecht. Indem sie Erregungswellen durch das Land jagen, die sich genauso schnell, wie sie sich aufgeschaukelt haben, auch wieder verlaufen, wirken sie asozial. Sie machen aus der Politik einen Zirkus, der ständig etwas Neues bieten muß, um die Leute bei der Stange zu halten, und aus der Bürgerschaft ein Publikum, das weniger regiert als unterhalten werden will und sich enttäuscht abwendet, wenn die Sensation ausbleibt. Und das ist eben asozial.