© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Zeigen, was nicht zu zeigen ist
Klassische Moderne: In Berlin sind Arbeiten des Bildhauers Rudolf Belling ausgestellt
Fabian Schmidt-Ahmad

Er war das Enfant terrible der deutschen Avantgarde: Bildhauer, Bauplastiker, Produktdesigner, Kostümbildner, Werbefachmann – nur die Bezeichnung „Künstler“ mochte Rudolf Belling nicht, der sich eher als Handwerker betrachtete. So vielfältig seine Interessen, so vielfältig auch die Stilrichtungen und Materialien, in denen sich der am 26. August 1886 in Berlin geborene Belling auslebte. Expressionismus, Futurismus, Neue Sachlichkeit, Kubismus und so weiter. Alles das mit Holz, Bronze, Ton oder Gips zum Ausdruck gebracht.

Kein leichtes Unterfangen also, wenn die Berliner Nationalgalerie dem plastizierenden Bilderstürmer eine Retrospektive widmet. Es ist die erste große Werkschau Bellings seit vierzig Jahren. Bereits 1924 widmete ihm die Nationalgalerie eine eigene Ausstellung. Da befand sich Belling inmitten des kulturell tumultierenden Berlins auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Vor allem für Formstudien ohne sinnliches Vorbild war er bekannt. Die Auflösung der gegenständlichen Welt, die Abstraktion in der Kunst, Belling hatte sie als erster auf die Plastik übertragen.

Die 1919 geschaffene und seitdem von Belling mehrfach wiederaufgegriffene Skulptur des Dreiklangs zeigt dieses Paradoxon des ungegenständlichen Gegenstandes. Um zu zeigen, was nicht zu zeigen ist, wird der Raum in die Gestaltung mit einbezogen. „Die Luft ist neidisch und der größte Gegner für die vollkommene harmonische Wirkung, wenn sie nicht mit verarbeitet und berücksichtigt wird“, beschreibt Belling diesen Entstehungsprozeß. Die in der Ausstellung gezeigte Ausführung in Holz von 1924 wird später den Nationalsozialisten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ als Beispiel dienen.

Zunächst orientiert sich Belling, der klassisch ausgebildeter Bildhauer wie geschulter Anatom ist, an antiken Formsprachen und Harmonien. Doch bereits im Frühwerk ist der Einbruch einer neuen Zeit zu erkennen. Im Ersten Weltkrieg ist Belling auf dem Flughafen Berlin-Adlershof stationiert. Die Figur eines Piloten von 1917, im hochmodernen Werkstoff Aluminium ausgeführt, zeigt dessen Fliegermontur gleichsam in geometrische Elemente aufgelöst. Später wird dies zu einem stilistischen Merkmal Bellings werden. Typisierte, auf schlichte Formen zurückgeführte Porträtfiguren, die bei aller Abstraktion des Anatomen doch einen unverkennbaren Ausdruck besitzen. 

Der Fortschrittsglaube hatte seine Unschuld verloren

Dahinter steht eine Frage nach dem Wesen des Menschen. Zwischen 1914 und 1920 drehte Paul Wegener drei Filme zum legendären Golem. Belling schafft für Wegener, der selbst das von einem Rabbi aus Ton geschaffene Wesen darstellt, das Kostüm. Kunstmensch, Maschinenmensch, Robotermensch, seelenloser Mensch – es ist eine Figur, die Belling und seine Zeit immer und immer wieder beschäftigen wird.

Zugleich Maschinenbauteil und organische Form, Mechanisches wie Lebendiges, wird von Belling in bestechender Eleganz in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt. Er liefert damit die passende Skulptur für ein ganzes Lebensgefühl der Zwischenkriegszeit. Der Fortschrittsglaube der Jahrhundertwende, eine Befreiung des Menschen durch Elektrizität, Automobil und Flugzeug, hatte in den Schützengräben des Weltkriegs seine Unschuld verloren. Hoffnungsfrohe Faszination war nun mit ohnmächtigen Schrecken vor einer durchtechnisierten Welt durchmischt. 

Verspielt ein Wasser-Maschinen-Mobile als Brunnenplastik für die Bauhaus-Villa eines Rechtsanwaltes. Das „Horch-Tier“ sollte der Firma Horch als Kühlerfigur für ihre Autos dienen. Ein Rennfahrer grüßt mit kubistisch anmutenden Flügeln als moderner Schutzengel an der Avus. Großer Erfolg ist Belling mit seinen Schaufensterfiguren beschieden, die unter anderem von Karstadt verwendet werden. Der Nationalsozialismus unterbricht die Suche in alle Richtungen. 

1937 übernimmt Belling einen Lehrstuhl für Bildhauerei in Istanbul. Er gibt die radikale Formsuche für lange Zeit auf, wendet sich der antikisierenden Sprache seines Frühwerks zu. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt Belling nach Deutschland zurück, läßt sich 1961 in Krailing bei München ein Atelier bauen. Kurz vor der Einweihung seiner letzten Monumentalplastik, der Schuttblume am Münchner Olympiaberg, mit der er zur plastischen Abstraktion zurückfindet, stirbt Belling am 9. Juni 1972. 

Die Ausstellung„Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen“ ist bis zum 17. September im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50-51, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 2 66 42 42 42

 www.rudolfbellinginberlin.de