© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Doch kein Kontinent der Hoffnung
Der brutale Biafrakonflikt im östlichen Nigeria dokumentierte seit 1967 augenfällig, daß das postkoloniale Afrika von Krieg, Diktatur und Elend gesteuert wird
Karl-Heinz Schuck

Der im Juli 1967 in einen Krieg einmündende Konflikt um Biafra zeigte der Weltöffentlichkeit erstmals die Explosivität der in Afrika durch künstliche Grenzziehungen geschaffenen multiethnischen Staaten. Das Bild des unterernährten Biafrakindes wurde zum Symbol für Hunger und Elend. Afrika wandelte sich vom Kontinent der Hoffnungen zum Kontinent der Katastrophen. 

Im Vielvölkerstaat Nigeria herrschte nach der Unabhängigkeit von Großbritannien ein fragiles Gleichgewicht, welches im Mai 1967 außer Kontolle geriet. Ursprünglich wurde dem neuen Staat eine große Zukunft vorhergesagt. Stattdessen kam es zu einem Krieg, der die Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung schnell beendete. 

Nach Militärputschen im Norden Nigerias brachen schwelende Konflikte zwischen verschiedenen verfeindeten Ethnien und Religionen endgültig aus und führten in Pogromen zu systematischen Tötungen von Angehörigen des christlichen Volkes der Igbo. Die Igbo waren insbesondere bei den muslimischen Volksgruppen unbeliebt, da sie zumeist gut ausgebildet waren und somit die Schlüsselpositionen in Nigeria besetzten. 30.000 Tote waren nach monatelangen Massakern zu beklagen, eine Million Menschen befanden sich auf der Flucht in ihre ursprüngliche Heimat.

Abgemagerte Biafrakinder erschütterten die Welt

Militärgouverneur Oberst Odumegwu Ojukwu erklärte in der Folge die im Südosten gelegene und von Igbo bewohnte Provinz Biafra zur unabhängigen Republik. Erleichtert wurde ihm dieses Vorgehen durch die kurz zuvor entdeckten enormen Erdölvorkommen im Niger-Delta, von denen man profitiert hätte. Gleichzeitig bedeutete dies den Verlust der bedeutendsten Einnahmenquelle für die Regierung Nigerias und den Wegfall von Milliardengeschäften. Dies galt es unter allen Umständen zu vermeiden. 

Zwangsläufig kam es im Juli zum Einmarsch nigerianischer Truppen und zur Blockade der Häfen, um die Bevölkerung auszuhungern. Im nun zweieinhalb Jahre andauernden Krieg gegen die schlecht ausgerüsteten Igbo, der mit brutaler Härte geführt wurde, fielen etwa 100.000 Soldaten und verstarben 180.000 Zivilisten durch die Kampfhandlungen. Geschätzte zwei Millionen Menschen starben an Hunger und erzeugten die bis heute unvergessenen Bilder zum Skelett abgemagerter Kinder. Nachdem die Weltöffentlichkeit das Geschehen registrierte, organisierten private Gruppen monatelang Hilfe für die eingeschlossene, notleidende Bevölkerung und ließen Hilfsgüter im Rahmen einer Luftbrücke abwerfen. Seitens der Regierung Nigerias wurde der Vorwurf erhoben, daß Ojukwu durch die Hilfe nur Zeit gewinnen würde, um neue Waffen einzuführen. Wenn er seinen Landsleuten wirklich helfen wolle, so solle er Biafra in den Staat Nigeria zurückführen. Tatsächlich hatten die Abtrünnigen eine koordinierte PR-Kampagne gestartet, um den Konflikt und seine Auswirkungen in der Welt bekannt zu machen. 

Beide Seiten in diesem Konflikt wurden auch von Söldnern unterstützt – Südafrikaner und Ägypter flogen beispielsweise MiG-Jäger der Regierung und bombardierten die Städte in Biafra, und Europäer flogen unter dem Schweden Graf Carl Gustaf von Rosen mit militärisch aufgerüsteten Sportflugzeugen für die Streitkräfte Biafras. 

Politische Unterstützung erhielt Biafra kaum. Israel lieferte Waffen, und Frankreich half verdeckt. Der neue Staat hatte grundsätzlich die schlechteren Karten – der Westen und die Sowjetunion standen überwiegend hinter der Zentralregierung von Nigeria; die USA verhielten sich neutral.

Am 12. Januar 1970 mußte Biafra seine Kapitulation erklären. Diese wurde in Radio Biafra bekanntgegeben. Drei Tage später wurde die Kapitulation vom Nachfolger des geflohenen Staatschefs in der Hauptstadt Lagos nochmals offiziell vollzogen – eine lange nachwirkende Demütigung für die Igbo.

Doch noch heute erheben sich dort Stimmen, die die Unabhängigkeit fordern. Da sich die Lebensbedingungen in der Provinz nicht verbessert haben, die Einnahmen aus den Ölfeldern nach wie vor in den Taschen der Elite im Norden Nigerias verschwinden und in der vom rasanten Bevölkerungswachstum geprägten Region keine Entwicklung stattfindet, ist dies wenig verwunderlich.