© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/17 / 14. Juli 2017

Alte genetische Schätze heben
Artenschwund und Klimawandel wecken Interesse an alten Nutztierrassen / Alternativen für die zukünftige Ernährung
Florian Schulz

Das Alpine Steinschaf, das Glanrind, das Ramelsloher Huhn und das Angler Sattelschwein haben eins gemeinsam: sie sind die Verlierer des Wirtschaftswunders. Seit den 1950er Jahren, als die industrielle Landwirtschaft anfing, ging es mit den „alten Rassen“ bergab. Billigere Importe verdrängten die Wolle des Steinschafs vom Markt, Sattelschweinfleisch galt als zu fett, das Glanrind hinkte bei Fleisch- und Milchleistung hinterher, das Ramelsloher Huhn legte zuwenig Eier.

In letzter Minute, als auch weitere alte Rassen vor dem Aussterben standen, gründeten Landwirte, Agrarwissenschaftler und Veterinärmediziner 1981 die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen. Mit seinen derzeit 2.100 Mitgliedern ist dieser Zusammenschluß von Idealisten kein großer, aber ein ungemein rühriger, in seiner Öffentlichkeitsarbeit erfolgreicher Verband, der seit 1995 ein vielbeachtetes Netzwerk von derzeit 100 „Archehöfen“ geknüpft hat, die ökologische Landwirtschaft mit der Erhaltung alter und lokaler Nutztierrassen kombinieren.

Ohne dieses Engagement fiele es heute schwerer, über „alte Rassen“ zu forschen. Obwohl die wichtigsten, „Forschungsdruck“ erzeugenden Impulse gegenwärtig von den Modethemen Klimawandel und Biodiversität ausgehen. Trotzdem, so betont der auf Vegetationsökologie spezialisierte Botaniker Michael Glemnitz vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, leite der ethische Primat die wissenschaftliche Arbeit an Pflanzen und Tieren.

Verhängnisvolle Tendenz zu globalen Monokulturen

Selbstverständlich wolle man die in Deutschland „besorgniserregende“ Abnahme der Artenvielfalt stoppen, weil jedes Lebewesen und jeder Organismus eine spezifische Funktion im System der Natur erfülle. Die Natur brauche diese Vielfalt, um sich an zukünftige, klimabedingte Veränderungen besser anpassen zu können. Doch neben diesem funktionellen Aspekt sollte sich die Gesellschaft die ethische Frage stellen, „ob wir nicht verpflichtet sind, die Vielfalt der Natur als solche zu schützen und zu bewahren, unabhängig davon, ob sie uns nützt oder nicht“ (Forschungsfelder, 2/17).

Die Konzentration auf wenige Kulturarten und die Tendenz zu Monokulturen ist für Glemnitz jedenfalls weder utilitaristisch noch ethisch zu rechtfertigen. Obwohl es 50.000 eßbare Pflanzen auf der Erde gibt, von denen der Mensch 7.000 im Lauf der Geschichte kultiviert hat, decken heute nur 30 Arten, vornehmlich Reis, Mais, Weizen und Kartoffeln, 95 Prozent des menschlichen Energiebedarfs. In ähnliche Verarmung mündete die Verdrängung alter Tierrassen, die unter dem agrarindustriellen Effizienzdiktat zum Nischendasein oder zum Aussterben verurteilt wurden.

Für den Vorstand des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf bei Rostock, den Mikrobiologen und Veterinärmediziner Klaus Wimmers, vollzieht sich damit eine unbegreifliche Verschwendung von Ressourcen. Denn die Rassen der Vergangenheit bergen genetische Schätze für die Zukunft. Deshalb konzentriert Wimmers seine Forschung auf die Suche nach Merkmalen, die kommerziell genutzte Rassen nicht besitzen, die aber eingekreuzt werden könnten. So leben etwa im Nordosten Sibiriens sechs Untergruppen felsenkletternder Schneeschafe, die optimal den klimatischen und geographischen Bedingungen ihres unwirtlichen Habitats angepaßt sind.

In Kooperation mit Moskauer Kollegen will Wimmers die genetischen Dispositionen für diese Anpassungsleistung analysieren. In Zeiten des Klimawandels könne die Erfassung der genetischen Faktoren, die für Kälte- oder Hitzetoleranz verantwortlich seien, dazu dienen, neue Zuchtziele festzulegen. So habe man Gene des Zebu-Rinds, das hitzetolerant und außergewöhnlich resistent gegen Krankheiten und Seuchen ist, bereits erfolgreich in Rinderrassen eingekreuzt, die in Regionen mit tropischem Klima leben.

Was an exotischen Tierarten möglich sei, soll auch mit heimischen alten Rassen funktionieren. In Dummerstorf werden daher für ein neues Forschungprogramm Stallanlagen gebaut, in denen die kommerzielle Schweinelinie „Deutsche Landrasse“ mit zwei alten und lokalen Schweinerassen verglichen werden soll. Bis 2020 will das FBN herausgefunden haben, in welchen Merkmalen diese Rassen sich von den Favoriten kommerzieller Zucht unterscheiden. Die Zeit für eine systematische Analyse wird für Wimmers knapp, weil sich viele alte Rassen, deren Zahlen „immer weiter sinken“, nur noch durch Liebhaberzucht erhielten. „Was einmal verloren ist, kann nicht wiedergeholt werden“, warnt Steffen Weigend vom Friedrich-Loeffler-Institut, das ins EU-Projekt Innovative Management of Animal Genetic Resources eingebunden ist, das genetische Diversität in Genbanken bewahren soll. 

Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit:

 www.fli.de

 www.bmel-forschung.de