© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Seid wenigstens nicht gegen uns
Kurdistan: Das Referendum zur Unabhängigkeit findet wenig Anklang
Ferhad Ibrahim Seyder

Kurz und knapp twitterte der Präsident der kurdischen Region im Irak, Masud Barzani, am 7. Juni um 9.52 Uhr Ortszeit: „Ich freue mich zu verkünden, daß das Datum für das Unabhängigkeitsreferendum für Montag, 25. September festgelegt wurde.“ Reichlich unpathetisch für einen Vorgang, der die Krönung einer Entwicklung ist, die 1961 mit dem bewaffneten kurdischen Nationalisten ihren Anfang nahm. 

Die Geschichte der kurdischen Nationalbewegung im Irak zeigt, daß die Selbstbestimmungsforderung eines Volkes im Vergleich zum Entkolonialisierungsprozeß der 1960er viel schwieriger zu realisieren sei und im Vergleich viele Opfer verlangt. Das internationale System in der Zeit des Kalten Krieges, aber auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erlaubte nur in Ausnahmefällen die Entstehung von neuen Staaten. Die Kolonialgrenzen haben fast eine sakrale Bedeutung bei den Mitgliedern der Vereinten Nationen, aber vor allem in der westlichen Welt. 

Kurden blicken argwöhnisch in Richtung Bagdad

Der Genozid gegen die irakischen Kurden war 1988 nicht einmal der Uno eine moralische Verurteilung wert. Bis heute entdecken die Kurden die Massengräber der Opfer der sogenannten Anfal (Kriegsbeute)-Kampagne Saddam Husseins. Als das erste frei gewählte kurdische Parlament 1992 die Föderative Kurdische Region ausrief und das Kurdistan Regional Government (KRG) die Macht übernahm, war die Erinnerung an die Opfer noch frisch. 

Unter den argwöhnischen Augen der Regionalmächte Iran, Syrien und Türkei bauten die Kurden eigene Institutionen auf. Doch schon die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten war eine Herausforderung. Die Uno betrachtete die Regierung in Bagdad als die legitime irakische Regierung. Die Irak-Hilfe wurde ironischerweise von Bagdad verteilt. 

Auch innerkurdisch gab es Probleme. Die beiden Parteien, die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und diePatriotische Union Kurdistans (PUK), die eine nationale Allparteienregierung bildeten, stritten sich bald über den Einfluß und finanziellen Ressourcen und lieferten sich bis Ende 1997 einen mörderischen Bruderkrieg. Auch die PKK, die sich seit Ende 1989 in irakisch-Kurdistan verschanzte und gegen den Willen der irakisch-kurdischen Parteien die Grenzregion mit der Türkei besetzt hielt, sorgte für Instabilität in der autonomen kurdischen Region. Zum einen hatte die PKK nie die Autorität des KRG anerkannt. Zum anderen provozierte sie in Abständen die Türkei, die dann die KRG-Region bombardierte. Die irakischen Kurden waren nicht in der Lage, die PKK aus ihrem Land zu vertreiben, zumal der Iran die schützende Hand über die PKK hielt.

Der Bruderkrieg endete erst nach einer zwei Jahre währenden massiven amerikanischen Intervention  mit einem Konsens. Die Versöhnung der kurdischen Parteien war auch eine wichtige Bedingung für das Mitwirken der Kurden bei den Verhandlungen der irakischen Opposition am Vorabend des Krieges von 2003. Die Kurden setzten ihre Vorstellung vom neuen Irak, nämlich einem föderativen Irak, der in Wirklichkeit für die Kurden eine Konföderation bedeutet, durch. Tatsächlich erfüllte die Verfassung von 2005 einen Teil der kurdischen Forderungen. Ihre Forderung nach einer laizistischen Ordnung konnten sie gegen den Widerstand der vom Iran unterstützten Schiiten nicht durchsetzen.

Entsprechend beobachteten die Kurden mit Argwohn, wie die Herrschaft der proiranischen schiitischen Parteien unter Ibrahim Jafari (Ministerpräsident 2005/2006) und Nuri al-Maliki (Ministerpräsident 2006 bis 2014) langsam zu einer autoritären Herrschaft mutierte. 

Die USA verloren die Kontrolle über die Gestaltung des neuen Irak. Präsident Obama verkündete 2009 den schnellen Abzug der US-Truppen aus dem fragilen Staat. Fünf Jahre später rief der Islamische Staat in Mossul – nur 85 Kilometer von der kurdischen Haupstadt Erbil entfernt – den Kalifatsstaat ins Leben.

 Die sechs Divisionen der dort stationierten irakischen Armee leisteten keinen Widerstand. Sie ließen die modernsten US-Waffen, die al-Maliki von den USA erhalten hatte, dort zurück. Das nächste Ziel der Extremisten, die Ende Juli 2014 kurz vor Bagdad standen, war die kurdische Region. Die Experten spekulieren über die Gründe, die die Dschihadisten veranlaßt haben könnten, das damals militärisch ungeschützte Bagdad nicht zu erobern. Wahrscheinlich schienen ihn die schwach bewaffneten Kurden ein leichtes Ziel. Der Iran hätte außerdem nicht zugelassen, daß die heiligen Schreine der Schiiten Najaf und Karbala, die nicht weit von Bagdad liegen, gefährdet werden. Stattdessen marschierten sie Richtung Kurdistan. 

Berlin besteht auf Beibehaltung des Status quo

Ihr Angriff im August 2014 war die gefährlichste Bedrohung gegen die autonome Region, die die Kurden seit 1991 erlebt haben. Es fehlten Waffen, Maliki weigerte sich beharrlich, die Peschmerga zu bewaffnen und zu unterstützen.  Waffenlieferungen, auch aus Deutschland bewahrten die kurdische Region vor einer Tragödie. Die Peschmerga spielen seitdem – unter hohem Blutzoll – eine wichtige Rolle bei der Zurückschlagung beziehungsweise der Vernichtung des IS in seiner Hochburg Mossul. 

Zeit für ein Votum zur Unabhängigkeit, so die Regierung in Erbil. Regional führt der Iran das Lager der Gegner des Kurdenstaates, zu denen Baschar al-Assads Syrien, die libanesische Hisbollah sowie Hamas zählen, an. Die Türkei läßt sich alle Optionen offen. Barzani verkennt nicht, daß ein Kurdenstaat ohne die Anerkennung der Türkei kaum vorstellbar ist. Denn vor allem für Ankara ist der Kurdenstaat im Nordirak von strategischer Bedeutung. Er wäre ein politischer Verbündeter der Türkei, eine Art Verlängerung des türkischen Marktes – Kurdistan ist der erste Handelspartner der Türkei – und die föderative kurdische Region lehnt die Politik der PKK in der Türkei, aber auch in Syrien ab.

Washington lehnt das Referendum  nicht direkt ab, unterstreicht jedoch, daß der Krieg gegen den IS weiterhin Priorität habe. Die Europäische Union bat das KRG um eine zeitliche Verschiebung des Referendums. 

Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel erhob den Zeigefinger. Mit großer Sorge habe er die Ankündigung der Regierung der Region Kurdistan im Irak über ein Unabhängigkeitsreferendum zur Kenntnis genommen, erklärte der SPD-Politiker. Vor einseitigen Schritten in dieser Frage könne er nur warnen. Die Einheit des Irak in Frage zu stellen, ja sogar Staatsgrenzen neu ziehen zu wollen, sei nicht der richtige Weg und könne die   ohnehin schwierige und instabile Lage nur verschärfen.

Mit seinem Festhalten am Status quo befinden sich Gabriel und der Westen  in einem Boot mit dem irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi. Der Schiit macht keinen Hehl daraus, das Unabhängigkeitsreferendum abzulehnen. Er bezeichnet es als „illegal“ und verweist dabei auf ein Votum der Vereinten Nationen, welches untersteiche, daß es ohne Bagdads Genehmigung kein Referendum geben dürfe. 

Dies hat zur Konsequenz, daß sich nicht nur die kurdische, sondern vor allem auch die sunnitisch-arabische Minderheit weiterhin entrechtet fühlt und sich folglich weiter radikalisiert. 

Doch trotz des erheblichen Gegenwindes läßt sich Barzani nicht von seinem Ziel abbringen. Immer wieder  weist die kurdische Seite in Gesprächen mit skeptischen westlichen Politikern auf die positiven Entwicklungsmöglichkeiten hin. Im Mittelpunkt steht hier ein künftiger demokratischer, säkularer und prowestlicher Staat als Alternative zu den islamistisch orientierten Staaten der Region. Aufgrund des heftigen GeGegenwindes blieb Barzani vergangene Woche bei seinem Besuch der europäischen Institutionen in Brüssel nichts anderes, als an die Europäer zu appellieren: „Wenn ihr euch nicht leisten könnt, für uns zu sein, seid mindestens nicht gegen uns!“






Prof. Dr. Ferhad Ibrahim Seyder ist Leiter der Mustafa-Barzani-Arbeitsstelle für Kurdische Studien an der Universität Erfurt.