© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Entlastung mit Hindernissen
Finanzpolitik: Diskussion um die Abschaffung der Abgeltungsteuer / „Besser 25 Prozent von x als 42 Prozent von nix“?
Dirk Meyer

Bei SPD, Linken und Grünen ist die Absicht klar: sie plädieren für eine Abschaffung der Abgeltungsteuer. Zinserträge sollen zukünftig mit dem persönlichen Einkommensteuersatz besteuert werden. Die FDP war laut Wirtschaftswoche im Frühjahr auch noch dafür. Zudem sollte der Sparerfreibetrag von 801 auf immerhin 1.500 Euro erhöht werden. Im FDP-Wahlprogramm findet sich davon – wie auch bei der AfD – konkret nichts mehr. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hielt im Mai auf dem Jahreskongreß der Steuerberater in München eine Abschaffung der Abgeltungsteuer für „Zinsen und ähnliche Einkünfte“ – aber nicht für Dividenden – für möglich. So steht es inzwischen auch im aktuellen Steuerkonzept der CDU.

Freibetrag von 801 Euro statt einst 6.000 D-Mark

So sehen die bisherigen Regelungen aus: pauschal 25 Prozent auf Dividenden, Zinsen und Veräußerungsgewinne – inklusive Soli also 26,4 Prozent, inklusive Kirchensteuer 28,75 Prozent. Ein Freibetrag von 801 Euro entlastet den Sparer, unter Helmut Kohl waren es noch 6.000 D-Mark (3.068 Euro) gewesen. Werbungskosten wie Depotgebühren dürfen nicht abgezogen werden.

Anleger können ihre Kapitalerträge auch mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern, wenn dieser unter 25 Prozent liegt. Das Risiko von Gewinn und Verlust bei der Veräußerung von Wertpapieren ist asymmetrisch verteilt: Während Gewinne immer besteuert werden, können Verluste nur mit positiven Kapitalerträgen verrechnet werden. Im ungünstigen Fall bleibt der Anleger also auf 100 Prozent seiner Verluste sitzen, während er nur 73,6 Prozent seiner Gewinne einbehalten kann. Darüber hinaus sind Negativzinsen nach Erlaß des Bundesfinanzministeriums (BMF) als eine nicht abzugsfähige „Verwahrgebühr“ zu behandeln (JF 2/17). Selbst bei einer Herabstufung einer Anleihe infolge einer Zahlungsunfähigkeit des Gläubigers können Anleger keine steuerlichen Verluste geltend machen. Aus Schäubles Sicht hätten sich lediglich die Anschaffungskosten gemindert.

Die Gründe für eine Reform der Kapitalertragsbesteuerung sind vielfältig. So hat die pragmatische Lösung, die 2009 mit der Losung „Besser 25 Prozent von x als 42 Prozent von nix“ (Peer Steinbrück) eingeführt wurde, mit dem grenzüberschreitenden Steuerdatenaustausch ihre Berechtigung verloren. Finanzpolitiker wollen ein ertragreiches Aufkommen, Sozialpolitiker eine „gerechte“ Besteuerung. Die Finanzverwaltung bevorzugt einfach zu erhebende Steuern – was nicht im Interesse der Steuerberater liegt. Ökonomen denken an eine verzerrungsfreie Besteuerung, bei der Einkommen unabhängig ihrer Quelle gleich besteuert werden und steuerverursachte Verhaltensänderungen (Steuerhinterziehung, Konsum statt sparen) möglichst nicht stattfinden. Der Verwaltungsaufwand der Abgeltungsteuer ist gering, seitdem die Banken die Steuer eintreiben. Der Fiskus hat nach BMF-Berechnungen des BMF jedes Jahr mehr eingenommen, als wenn er an der alten Regelung festgehalten hätte. Mit einem Aufkommen von 25 Milliarden Euro (2014) hat die Abgeltungsteuer gegenüber dem alten Verfahren 835 Millionen Euro an Mehreinnahmen erbracht.

Allerdings kommt es zu erheblichen steuerlichen Verzerrungen. Zinsen werden mit dem Abgeltungssatz von 26,4 Prozent (mit Soli) besteuert. Gewinne bei Personengesellschaften werden beim Eigentümer mit dem persönlichen Einkommensteuersatz (42 bzw. 45 Prozent) veranlagt. Bei Kapitalgesellschaften fällt neben der Körperschaftsteuer von 15,8 Prozent (mit Soli) die Gewerbesteuer von 14 Prozent (Hebesatz 400 Prozent) an, so daß die Unternehmen auf einbehaltene Gewinne zunächst 29,8 Prozent abführen müssen.

Bislang werden Dividenden mit 48,3 Prozent versteuert

Schütten sie diese als Dividenden voll aus, kommt der Abgeltungssatz von 26,4 Prozent auf die verbleibenden 70,2 Prozent des Nettogewinns hinzu, so daß für die Aktionäre eine Belastung von 48,3 Prozent entsteht. Damit wird Eigen- gegenüber Fremdkapital benachteiligt. Ebenso werden ausgeschüttete Gewinne von Kapitalgesellschaften gegenüber Personengesellschaften schlechter gestellt, weshalb die Neutralität der Unternehmensrechtsform gestört wird. Schließlich werden Einkünfte aus Kapital und Arbeit unterschiedlich behandelt. So beträgt die steuerliche Belastung eines Ehepaares mit zwei Kindern laut BMF lediglich 0,9 Prozent. Rechnet man die Sozialabgaben hinzu, sind es 21,3 Prozent.

Fazit: Die Besteuerung von Einkommen ist denkbar unsystematisch. Allerdings ist die Abgeltungssteuer kein Sonderweg, die meisten EU-Staaten praktizieren diese Lösung. Würde die Abgeltungsteuer abgeschafft und statt dessen der persönliche Einkommensteuersatz angesetzt, würden Dividenden statt mit 48,3 mit bis zu 61,5 Prozent besteuert, was nicht verfassungskonform wäre.

Deshalb wäre es überlegenswert, zum Anrechnungsverfahren zurückzukehren. Es wurde im Jahr 2000 ausgesetzt, da es als nicht EU-tauglich galt. Unter den heutigen Bedingungen der Steuerharmonisierung wären diese Hürden überwindbar. Beim Anrechnungsverfahren wird die Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Gewinne (Dividenden) als eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer des Anteilseigners angerechnet. Die endgültige Besteuerung würde gemäß den persönlichen Verhältnissen stattfinden. Auf nicht ausgeschüttete Gewinne von Kapitalgesellschaften würde der Körperschaftssteuersatz angewandt. Um hier keine Ungleichbehandlung entstehen zu lassen, sollte dieser dem Spitzensteuersatz entsprechen.

Zu klären wäre ein möglicher Abzug der Werbungskosten, die Behandlung von Veräußerungsgewinnen und eine mögliche Verrechnung mit Veräußerungsverlusten. Letzteres würde Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die die Steuerlast erheblich mindern könnten.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.