© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/17 / 21. Juli 2017

Rückkehr eines Totgesagten
Karl Marx, der Globalisierungskritiker
Dirk Glaser

Selbst die Fragmente nationaler Symbolik, die Helmut Kohls Beisetzung einen würdigen Rahmen verschafften, störten den Spiegel-Online-Kolumnisten Georg Diez, einen „Tintensöldner“ (Karl Kautsky) im Dienst der Offenheitsideologie. Was im Dom zu Speyer zelebriert wurde, so giftet Diez, sei das „aus der Zeit gefallene Europa der Vaterländer“, das bald einem grenzenlos globalisierten kontinentalen Großraum weichen werde.

Am Vorabend des Hamburger G-20-Spektakels ließen sich Diez’ Redaktionskollegen von soviel Big-Business-Empathie nicht affizieren. Stattdessen karikierte das Titelblatt ihrer „Gipfelausgabe“ unter der militanten Widerstandsparole „Radikal denken, entschlossen handeln“ die Globalisierung als gierigen Wolf, der die Erde verschlingt. Solche klassenkämpferischen Töne, lange nicht im neoliberalen Spiegel erklungen, verstärken den medialen Chor, der einem Totgesagten neue Aufmerksamkeit verschafft. Pünktlich, zum 150. Geburtstag des „Kapitals“, dessen erster Band im September 1867 erschien, und ein knappes Jahr vor dem 200. Geburtstag des Verfassers, ist der Urvater aller Globalisierungskritik zurück: Karl Marx.

Marx’ sperriges „Kapital“ wird neuerdings sogar außerhalb des neomarxistischen Milieus „anhaltende Aktualität“ bescheinigt. Entsprechend hymnisch jubelt Mathias Greffrath, Zeit, taz und ARD beliefernder 68er-Veteran, der sich gestern noch mit Wolfgang Schäuble und Katrin Göring-Eckardt über die vielen „Menschengeschenke“ freute, die ihm das „Rendezvous mit der Globalisierung“ bescherte. Heute, nach „Exzessen der Finanzspekulation“, angesichts „ökologisch verheerender Ausquetschung der letzten Ressourcen an Rohstoffen“ und expandierender Elendszonen, erscheint es ihm unbegreiflich, wie man ohne Marx „verstehen will, was ist“ (Hegel). Dieser Denker habe mit dem ökonomischen Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft die „Feinmechanik des Kapitalismus“ durchschaut und früh prognostiziert, was sich gegenwärtig vollziehe. 

Die „multiplen Krisen des globalisierten Kapitalismus“ steuern auf das Ende des ganzen Systems zu. Und nicht allein „übriggebliebene Linke“ behaupten: „Das kapitalistische System paßt nicht mehr in diese Welt“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/2017). Was danach kommt, weiß Greffrath nicht, weil die Marx-Lektüre ihm zwar den „Glauben an die Ewigkeit des Kapitalismus“ genommen, aber nicht verraten habe, welches historische Subjekt anstelle des verschwundenen Proletariats nun zur „Revolution“ schreiten soll.