© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Es geht auch anders
Migration: Durch finanzielle Anreize, aber auch mit rigiden Mittel, schaffen es Spanien und Marokko, ein Chaos zu verhindern
Friedrich-Thorsten Müller

Nirgends ist Afrika Europa so nah wie in Spanien. Die Meerenge von Gibraltar ist an ihrer schmalsten Stelle nur 14 Kilometer breit. Hinzu kommen auf dem afrikanischen Festland die Exklaven Ceuta und Melilla, die seit dem 16. Jahrhundert zu Spanien gehören. Deren mit bis zu sieben Meter hohen Doppelzäunen, Kameras und Bewegungsmeldern gesicherten Stadtgebiete verfügen damit verwaltungstechnisch über die einzige Landgrenze, die Europa mit Afrika verbindet. 

Vor diesem Hintergrund verblüfft es wenig, daß Spanien zu den vier Hauptrouten der illegalen Einwanderung nach Europa gehört. Viel eher verwundert, daß der Ansturm dort in den vergangenen Jahren verhältnismäßig moderat war. Gerade einmal etwa 5.000 illegale Einwanderer und Flüchtlinge schafften es 2016 nach Spanien. Nach der weitgehenden Schließung der Balkanroute im vergangenen Jahr zeichnet sich für dieses Jahr allerdings ein deutlicher Anstieg ab, und die Weltflüchtlingsagentur UNHCR warnt Spanien bereits, Vorkehrungen für einen größeren Ansturm zu treffen.

Zweistellige Millionenhilfe für Marokkos Kooperation 

Im ersten Halbjahr 2017 hat die Zahl der Migranten über Spanien auch tatsächlich auf 6.800 zugenommen, was einem Anstieg um 75 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Im Vergleich zur Mittelmeerroute, mit laut Frontex im selben Zeitraum 85.000 Migranten, oder der Balkanroute, zu deren Hochzeiten dieser Halbjahreswert locker pro Tag erreicht wurde, erscheint dies gleichwohl weiterhin harmlos. Um so mehr erstaunt diese verhältnismäßige Ruhe auch vor dem Hintergrund, daß das Migrationstransitland Marokko in den Hauptherkunftsländern der schwarzafrikanischen Armutsflüchtlinge einen weit besseren Ruf genießt als das staatlich zerfallene und unsichere Libyen. 

Tatsächlich warten in Marokko, insbesondere in den Bergen um Melilla, lediglich einige zehntausend Schwarzafrikaner auf eine Gelegenheit zum Grenzübertritt nach Europa, während es in Libyen über eine Million sein sollen. Viele tausend unter ihnen haben sich darüber hinaus aufgrund der Aussichtslosigkeit, nach Spanien zu gelangen, dazu entschieden, in Marokko zu bleiben, was Marokko im Geiste der afrikanischen Zusammenarbeit auch offiziell gestattet.

Was also machen die Spanier anders, daß sie trotz ihrer Exponiertheit bisher weit weniger von der einsetzenden afrikanischen Völkerwanderung betroffen sind? Zunächst einmal profitiert Spanien von einer „besseren Nachbarschaft“. Im Gegensatz zu Libyen ist Marokko ein intaktes und verhältnismäßig prosperierendes Land. 

Die Arbeitslosenquote beträgt dort aktuell für Afrika sehr niedrige 9,3 Prozent und das Pro-Kopf-Sozialprodukt ist dreimal so hoch wie in den meisten schwarzafrikanischen Ländern. Auch politisch ist das seit 1999 von König Mohammed VI. regierte 35-Millionen-Einwohner-Land stabil. Hinzu kommt, daß Madrid seit dem EU-Beitritt vor 30 Jahren etwa einer Million Marokkanern die Einwanderung nach Spanien erlaubte und Marokko außerdem immer wieder mit zweistelligen Millionenbeträgen für die Mithilfe bei der Grenzsicherung zu Spanien entlohnt. 

Auch die EU hat mit Marokko ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen und will dem Land den freien Zugang zu den EU-Märkten gewähren. Im Gegenzug helfen marokkanische Polizisten den Forces Auxiliaires vor Melilla und Ceuta ,Schwarzafrikaner, die die Grenzzäune stürmen wollen, mit brachialer Gewalt abzufangen. Gerade einmal 200 schafften es darum, 2015 noch auf diesem Weg nach Europa zu gelangen. Menschenrechtsorganisationen, wie Prodein aus Melilla, bezichtigen die marokkanische Polizei, dabei auch vor Mißhandlungen der Grenzstürmer zu Abschreckungszwecken und vor Aussetzungen in der Wüste nicht zurückzuschrecken. Letztlich erlaubt sich Spanien damit in einer Grauzone europäischen Rechts manövrierend, Schwarzafrikaner pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge zu betrachten und auf Abstand zu halten.

 Dagegen gilt bezüglich Syrern und Irakern die Anweisung an die marokkanischen Sicherheitskräfte, diese in sehr dosierter Zahl zu den spanischen Grenzübergängen in Ceuta und Melilla durchzulassen, wo sie Asylanträge stellen können. Ähnlich rigoros ging Spanien bereits vor zehn Jahren auf den Kanaren vor, wo zwischenzeitlich Zehntausende – vor allem Senegalesen – per Boot anlandeten. Nach einem Abkommen mit dem Senegal patrouillieren inzwischen spanische Polizeiboote mit gemischten Besatzungen im Hafen der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Die illegale Auswanderungswelle ist seitdem praktisch vollständig verebbt.

Linke laufen Sturm gegen Madrids harte Haltung  

Ein nicht zu vernachlässigender weiterer Faktor für die weit geringeren illegalen Einwanderungszahlen Richtung Spanien stellt auch die Abwesenheit der Nichtregierungsorganisationen mit ihren Booten dar, die sich bisher auf die libysche Küste konzentrieren.

Nur vor dem Hintergrund des „Abwehrerfolgs“ der spanischen Politik gegen die illegale Einwanderung läßt sich wohl erklären, daß es im Februar in Barcelona zu einer Demonstration mit 160.000 Teilnehmern für die Aufnahme von Flüchtlingen gekommen ist, während in Italien längst die Bürger gegen die Einwanderung auf die Straße gehen. Vorangegangen war in der katalanischen Hauptstadt ein Aufruf der populären linken Bürgermeisterin Ada Colau, für die Einhaltung der Vereinbarung mit der EU zur Aufnahme von 16.000 Einwanderern und Flüchtlingen durch Spanien zu demonstrieren.