© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/17 / 28. Juli / 04. August 2017

Das eiserne Erbe Ostpreußens
Werke von Generationen: Der Unternehmer Janusz Draminski sammelt landwirtschaftliche Maschinen
Lubomir T. Winnik

Eigentlich hat er kein bißchen Zeit für andere Beschäftigungen, als sich um sein Geschäft zu kümmern das auch seinen Namen trägt: Draminski. Noch zu kommunistischen Zeiten gründete Janusz Draminski (70) eine Elektronikfirma in seiner Heimatstadt Olsztyn, ehemals Allenstein, Ostpreußen. Ungeachtet der politischen und sozialen Erdbeben in Osteuropa konnte er sich nicht nur erfolgreich auf dem Markt behaupten, sondern auch noch expandieren. Die hochpräzisen elektronischen Meß- und Diagnostik-Geräte für Veterinäre und Ärzte finden mittlerweile in über hundert Ländern Absatz.

Das Geheimnis dieses Erfolges liegt nicht nur in modernsten technologischen Kenntnissen, perfekter Organisation und Gespür für marktwirtschaftliche Erfordernisse, sondern darin, daß der Firmengründer von Anfang an auf Innovation und Erfindungsgeist setzte. Wie sehr ihm daran liegt, dafür spricht die Tatsache, daß in seinem Betrieb mit 60 Angestellten 20 hochqualifizierte Ingenieure tätig sind. Die neueste Erfindung der Firma ist der revolutionäre Hybrid-Ultraschall-Tomograph, der bisherige mammographische Untersuchungen als archaisch erscheinen läßt.

Große Achtung für die Arbeit der Bauern

Und doch findet der bis an die Ohren beschäftigte Janusz Draminski Zeit für seine zwei Lieblingshobbys. Das erste ist zwar nicht so spektakulär wie das zweite, aber auch hier kann er stolz auf Erfolge zurückblicken. Draminski betreibt seit Jahrzehnten Tauchsport. Mit seiner Frau Alicja beteiligte er sich an zahlreichen internationalen Tauchwettbewerben, die Schränke zu Haus platzen von Dutzenden gewonnener Pokale und Medaillen. Zudem gibt es prächtige Alben, die die Unterwasserfotos des Ehepaares, das die Tauchgänge buchstäblich rund um den Globus absolviert hat, verewigt. Für seine Naturschutzbemühungen und die Popularisierung der maritimen Flora und Fauna um indonesische Inseln erhielt er die Ehrenbürgerschaft dieses Staates!

Sein zweites Hobby indessen haut alles Bisherige wortwörtlich über den Haufen. Denn wer könnte auf die Idee kommen, statt sagen wir Briefmarken oder alten Fotos Hunderte Kilo oder sogar tonnenschwere Maschinen zu sammeln? „Als ich noch Bub war, schenkte mir meine Großmutter mal zum Andenken eine alte Sichel. Nein, mein Sammlerbedürfnis hat die Sichel damals kaum erweckt, aber vielleicht später doch?“

Nicht ohne Stolz zeigt er ein vergilbtes Foto: Ein Pferd gespannt vor einer Mähmaschine, auf der er als kleiner Bauernsproß sitzt. Und obwohl aus ihm nicht der gestandene Landwirt, sondern der Elektronik-Ingenieur wurde, blieb das bäuerliche Vermächtnis, die Liebe zu Erde und Tieren, für immer in seinem Blut. Auf die Frage, was ihm seine Sammlung bedeutet, sagt er: „Ich folge der Stimme meines Herzens und meiner größten Achtung für die Arbeit der Bauern. Ich mache das auch darum, weil diese Maschinen, Geräte und Instrumente, welche Werke von Generationen sind, unbemerkt verschwinden, in aller Stille auseinanderfallen, hinter vergessenen Ställen und Scheunen verrotten oder ganz einfach verschrottet werden. Man meint heute, daß die Elektronik an der Spitze der technologischen Entwicklung der Moderne steht. Aber wenn ich an diese Maschinen denke, attestiere ich, daß sie unsere echten technologischen Vorfahren sind. Vor vielen Jahrzehnten erfüllten sie erfolgreich alle Aufgaben, für welche sie erfunden und gebaut wurden. Alle Achtung!“

Ostpreußen ist ein Waldland. Wohin man auch immer fährt, führt die Straße durch einen Wald. Nicht anders ist es auch diesmal. Als am Ende der Passage eine Lichtung auftaucht, sieht man eine Handvoll Häuser, versunken im Grünen. Das Dorf Naterki (Nattern). Gleich rechts von der Straße erblickt man sie – die ersten von Draminskis Maschinen. Unglaublich: Das Terrain von über einem Hektar Größe um das Haus und die Scheune herum ist komplett mit allerlei Geräten zugestellt: Pferdegöpel, Mähmaschinen, Pflüge, Kornschwingen, Heuwender, Drillmaschinen, Ackerwalzen verschiedenen Typs, Scheiben-, Zinken- und Kreiseggen, diverse Grubber und Häckselmaschinen …

Und über diesem ganzen eisernen Geräteforum ragt ein wuchtiger Ackerschlepper Lanz Bulldog. Geschichte pur! „Der Bulldog“, höre ich die Stimme des Sammlers, „wurde seit 1921 bis 1957 von der Heinrich Lanz AG in Mannheim hergestellt.“

„Und wie viele Maschinen insgesamt haben Sie jetzt auf diesem Platz?“ frage ich ihn. Die genaue Zahl kann er nicht nennen, da die kleineren Maschinen noch kaum katalogisiert wurden – es bedarf eines immensen Zeitaufwands –, aber unter den großen Geräten dominieren die Pferdegöpel, es gibt hier über 150 Stück davon. „Das ist bei weitem nicht alles. Jetzt fahren wir zum anderen Sammelplatz in Szabruk (Schönbrück).“ Dort steht, dicht am Waldrand, auf einer weitläufigen Wiese, Draminskis Wohnhaus. Über die Hälfte des zirka 1,5 Hektar großen Grundstücks besetzen weitere, in zahlreichen Reihen aneinandergestellte Landmaschinen. Auch hier sind die Pferdegöpel zu sehen – über hundert Stück!

Bevor Draminski über die Sammlung weiter erzählt, zieht sich der Gastgeber um, jetzt heißt es, bei jedem Gerät Halt zu machen und sein Curriculum anzuhören. Der Unterricht dauert Stunden! Unermüdlich schüttelt er Dutzende von Namen der Maschinenhersteller aus dem Ärmel, nennt Jahrgänge und Orte – alles auf polnisch und deutsch – und erzählt, wie er jede einzelne Maschine entdeckt oder gefunden, gekauft oder geschenkt bekommen, dann mühsam hierher transportiert hat. Einige Maschinen sind polnischer Herkunft, manche stammen aus der Slowakei und der Ukraine, aber den Kern der gigantischen Sammlung bilden vorwiegend preußische oder ostpreußische Geräte. In Draminskis Vorstellung stellen sie gleichwertige kulturelle Objekte wie historische Bauwerke, Architektur, Skulpturen oder Malerei dar, die es zu pflegen und für die Nachwelt als einen wichtigen Bestandteil im Mosaik der europäischen Identität zu bewahren gilt, meint er.

Die Kollektion braucht großzügige Sponsoren

Weil die Sammlung seit 1987 offiziell Museum der Landmaschinen heißt, besuchen es öfter Touristen, darunter auch Deutsche. „Eines Tages hatten wir hier eine Gruppe aus der Bundesrepublik“, erzählt Janusz Draminski. „Wir haben für sie einen Grill eingerichtet, Imbiß und Getränke parat gemacht. Einen der Gäste entdeckte ich plötzlich weit von der Gruppe entfernt. Zu Tränen gerührt stand er vor einer Maschine und schluchzte leise. Als ich ihn fragte, was passiert war, sagt er mit bewegter Stimme, daß sein Name Schirrmacher ist und die Hackmessermaschine, vor der er gerade stand, in der Gießerei seines Großvaters in Mehlsack (heute Pieniezno) hergestellt wurde.“ 

In der riesigen, 2015 auf dem gleichen Grundstück gebauten Scheune stehen eng zusammengepfercht über hundert Dreschmaschinen aller Art. „Es gab auch schon seinerzeit harte Konkurrenz. In Allenstein, zum Beispiel, bekämpften sich zwei Dreschmaschinen-Hersteller, Paul Mischke und Emil Gutek“, berichtet Janusz Draminski und zeigt die besagten Maschinen in natura in seiner bis ans Dach auch mit alten Haushaltsgeräten vollgestopften Scheune: Aus heutiger Sicht heraus lustige Waschmaschinen fallen ins Auge: massige Mangel- und Webmaschinen, Waagen, Pressen, Fässer, Striegel, Bügeleisen, Heugabeln, Äxte, Töpfe, Krüge, Besteck ... Alles, was für das bäuerliche Leben von einst gebraucht wurde, ist da. In rauhen Mengen.

Die Maschinen-Sammlung ist mit Sicherheit eine der umfassendsten und originellsten dieser Art in Europa. Doch wie ist es mit ihrer Zukunft bestellt? Der größte Teil davon steht seit Jahrzehnten unter freiem Himmel, der Witterung schutzlos ausgeliefert. Wenn sie keine trockene Überdachung bekommen und danach nicht entrostet, gereinigt und versiegelt werden, wird der Rost in einigen Jahren selbst die massivsten Geräte restlos zersetzen. Und damit die Sammlungsanstrengung von Janusz Draminski zunichte machen.

Auch die in den Scheunen gelagerten Dreschmaschinen – es gibt zwei Scheunen – müssen mehr Platz erhalten. Dicht aneinandergestellt, erfüllen sie kaum ihre informative Mission, da es unmöglich ist, zumindest eine von ihnen als Ganzes zu sehen. Die betagte Technik braucht also unbedingt mehr Raum. Die beste Lösung für die gesamte Sammlung wäre, ein eigens dazu bestimmtes Gebäude aufzubauen.

Draminskis Sammelleidenschaft nahm fast die Hälfte seines Lebens in Anspruch und verschlang Hunderttausende von Zloty. Doch etwas mehr für die Maschinen zu tun übersteigt nun seine physischen und finanziellen Möglichkeiten. Immerhin handelt es sich hier um eine mindestens sechsstellige  Investition. Die einmalige Kollektion braucht unverzüglich geschichtsbewußte, engagierte Gönner beziehungsweise großzügige Sponsoren, die es ermöglichen, dieses preußische Kulturerbe zu retten. Bevor es zu spät ist.