© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Eine Minute Kontakt – vier Jahre regieren
Mit „Connect17“ die Wähler überzeugen: Durch App-basierte Ansprache und intensiven Haustürwahlkampf geht die CDU in die Offensive
Hinrich Rohbohm

Ich finde das undemokratisch“, sagt Ulrich Wensel. Der 31 Jahre alte Geschichts- und Theologiestudent sieht die neuen Methoden der Parteien, ihre Wähler zu mobilisieren, ausgesprochen kritisch. In sechs Wochen sind Bundestagswahlen. Es ist die Zeit, in der die Wahlkampfstrategen in den Parteizentralen Hochkonjunktur haben. Wie können die eigenen Anhänger so zahlreich wie möglich an die Wahlurne gebracht werden? Und wie vermeidet es der moderne Wahlkämpfer gleichzeitig, mit seinen Aktivitäten nicht auch die Sympathisanten der politischen Konkurrenz aufzurütteln?

Wähler in den eigenen Hochburgen ansprechen lautet nicht erst in diesen Tagen der Kernsatz, den Parteifunktionäre ihren Mitgliedern ins Stammbuch schreiben. Umfrageinstitute ermitteln im Parteiauftrag jene Haushalte, in denen ihr Wähleranteil überdurchschnittlich hoch ausfällt. Orte, in denen die jeweilige Partei dann einen erhöhten Aufwand betreibt, um das Potential dieses Stimmbezirks optimal auszuschöpfen. Gleichzeitig reduzieren die Politiker ihren Einsatz in den Hochburgen der Konkurrenz auf ein Minimum.

Anfang des Jahres lag die CDU im Umfragetief. Lediglich 30 Prozent prognostizierten die Umfrageinstitute der Union zur Bundestagswahl. Dann kamen drei Landtagswahlen. Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Alle drei endeten mit Wahlsiegen für die Christdemokraten. Danach war die Welt der Demoskopen eine vollkommen andere. Die SPD, die mit dem großen Hallo um Martin Schulz in den Medien in Umfragen zeitweise an der Union vorbeigezogen war, fiel auf ihr altes Niveau zurück, liegt jetzt bis zu 15 Prozentpunkte hinter CDU/CSU.

Was war geschehen? Im Konrad-Adenauer-Haus führt man den Erfolg nicht zuletzt auf „intensiven Haustürwahlkampf“ zurück. Der ist zwar nicht neu. Vielmehr dürfte diese Methode der direkten Ansprache von Bürgern existieren, seit politische Parteien Wahlkampf betreiben. Doch die CDU hat dieses Konzept optimiert. Und dürfte dabei auch aus den Erfahrungen des zurückliegenden US-Präsidentschaftswahlkampfes Schlüsse gezogen haben.

„Bringt in den Wahlkreisen viel, wenn es eng wird“

„Connect17“ heißt das Zauberwort, auf das die Wahlstrategen in der Union große Stücke halten. Hierbei handelt es sich um eine CDU-Wahlkampf-App, durch die es für die Mitglieder „die mobile Kampagnenzentrale für die Hosentasche“ gibt. Die App erleichtere die Kommunikation zwischen Wählern, Wahlkämpfern und Kandidaten, Online- und Straßenwahlkampf werden durch sie miteinander vernetzt. Die App liefere „strukturierte Informationen“, wo im Wahlkreis Menschen leben, die für Positionen der Union ansprechbar sein könnten.

Auf diese Weise könne die CDU eine noch zielgerichtetere Ansprache ihrer Wähler erreichen. Glaubt man ihren Wahlstrategen, ist „Connect17“ ein durchschlagender Erfolg. Allein in Nordrhein-Westfalen habe man dadurch 440.000 Nichtwähler gewonnen. In Schleswig-Holstein seien es 51.000 gewesen. Das Ergebnis: Im Saarland legte die CDU um 5,5 Prozentpunkte zu, im hohen Norden um 1,2 und in NRW um 6,7 Prozentpunkte. Tatsächlich war nach jahrelanger Stagnation auch die Wahlbeteiligung bei allen drei Landtagswahlen wieder merklich gestiegen.

„Es bringt in den Wahlkreisen viel, wo es eng wird“, sagt Sarah Beckhoff. Die heute 23jährige war bei der Wahl in NRW die jüngste Landtagskandidatin der CDU, trat im Wahlkreis Dortmund III, einer SPD-Hochburg an. Knapp sieben Prozentpunkte konnte die CDU zulegen, die SPD büßte mehr als neun Prozentpunkte ein. Die Sozialdemokraten sind hier jedoch so stark, daß sie den Wahlkreis trotz der hohen Verluste mit 43,7 Prozent für sich entscheiden konnten. Sarah Beckhoff kam auf 28,6 Prozent.

„Da kann dann auch Connect17 nichts ändern. Das bringt ohnehin nur dann etwas, wenn man es auch intensiv betreibt.“ Ein Besuch dürfe dabei maximal eine Minute dauern. „Am besten geht man in der Gruppe los, so drei bis fünf Leute“, erklärt die Dortmunder JU-Kreisvorsitzende, die im Wahlkampf ebenfalls „mit zwei Leuten losgezogen“ war. „Guten Tag, ich bin Ihre Landtagskandidatin und wollte mich einmal kurz vorstellen“, beginnt dann meist des Kurzgespräch an der Haustür des Wählers. Um effektiver zu sein, klingeln weitere CDU-Wahlkämpfer zur gleichen Zeit bereits an der Nachbartür. „Laut Konrad-Adenauer-Haus erzielt es den gleichen Effekt zu sagen, ‘da drüben ist auch gerade unsere Kandidatin unterwegs’.“

Daß der Wahlerfolg jedoch nur auf App und Haustürwahlkampf beruht, glaubt die Studentin der Wirtschaftswissenschaften jedoch nicht. „Es war für uns in Nordrhein-Westfalen jetzt auch kein bombastisches Ergebnis. Der Erfolg liegt vielmehr darin begründet, daß Rot-Grün einfach eine schlechte Politik in Nordrhein-Westfalen betrieben hat. NRW als ‘Failed State’ hatte sich in den Köpfen der Menschen eingegraben.“

Besonders die Themen Bildung, Innere Sicherheit und Wirtschaft seien ausschlaggebend für den Wechsel gewesen. Und noch ein weiterer Faktor war im Wahlkampf „auf jeden Fall“ eine Bereicherung: Wolfgang Bosbach. Armin Laschet hatte ihn rechtzeitig zum Wahlkampf in sein Schattenkabinett berufen und deckte so die rechte Flanke der Union ab, die er als eher linksstehender CDU-Politiker nicht hätte ausfüllen können. „Er hat der Union auch mit seiner herzlichen rheinischen Art Profil gegeben“, meint Beckhoff.

Daß sie selbst eine überzeugte Konservative in der CDU ist, daraus macht die Frau, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, auch im Wahlkampf keinen Hehl. „Für mich ist es kein Gegensatz, jung und dynamisch und trotzdem konservativ zu sein.“ An ihrem 14. Geburtstag war sie in die Junge Union eingetreten. „Politiker, die grinsen und einen Teddybär hochhalten, sind nicht mein Ding“, sagt sie. Im Wahlkampf warb die Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung für das Betreuungsgeld, wie es in Bayern umgesetzt wird, und ist dafür, Anreize bei Familiengründungen zu schaffen. „Warme Worte sind ja schön, aber man muß dann auch anpacken.“ Bei der Kinderbetreuung setze sie auf Wahlfreiheit. Und: „Es kann nicht sein, daß Kinderbetreuung mit frühkindlicher Bildung gleichgesetzt wird.“

In der Zuwanderungspolitik müsse „konsequenter“ abgeschoben werden. Zudem dürfe das Land die Kommunen bei der Unterbringung von Migranten nicht im Stich lassen. Positionen, mit denen sie in der Bevölkerung große Zustimmung erfahren habe.

„Auch in die Hochburgen des Gegners gehen“

„Der Wahlsieg beruhte ganz klar auf der Inkompetenz der rot-grünen Landesregierung. Die Leute hatten keine Lust mehr auf Kraft“, sagt auch Ulrich Wensel. Der JU-Kreisvorsitzende ist „schon der Meinung, daß das Land unter Armin Laschet besser regiert wird. Mein Wunschkandidat ist er jedoch nicht“.

Das wäre für ihn einer wie Wolfgang Bosbach gewesen. Der Konservative und Merkelkritiker habe mit seiner Bereitschaft, in Laschets Schattenkabinett mitzuwirken, ein Signal gesetzt und „auf jeden Fall“ einen nicht unerheblichen Beitrag zum Wahlsieg geleistet. „Bosbach hat das getan, weil er sein Land liebt“, ist sich Wensel sicher. „Er holte für uns die entscheidenden zwei Prozent.“ Denn: „Kritik an Merkel ist im Wahlkampf schon deutlich geworden. Die Leute wollten das Thema Innere Sicherheit von uns stärker bearbeitet sehen.“ Das Ausscheiden des langjährigen Bundestagsabgeordneten aus der Politik bedauere er, aber er respektiere Bosbachs Entscheidung, vor allem vor dem Hintergrund seines Gesundheitszustandes.

Auch in Düsseldorf, einer „Swing-Stadt mit leichter Tendenz zur CDU“, wie Wensel sagt, sei mit „Connect17“ Wahlkampf betrieben worden. Doch während man im Adenauer-Haus große Stücke auf das neue Konzept hält, macht es den Bezirksvertreter von Düsseldorf-Gerresheim eher skeptisch. „Demokratische Parteien sollten das gesamte Wahlvolk im Blick haben. Ich finde, wir müssen auch den Mut haben, da hinzugehen, wo der politische Gegner seine Mehrheit hat, um das zu ändern. Den Wähler statt dessen derart zu durchleuchten, halte ich für bedenklich.“ Daß eine App die Wahl entschieden hat, glaubt er ohnehin nicht. „Wir haben Glück gehabt, daß ein paar Idioten bei der SPD gesagt haben, sie wollen Rot-Rot-Grün.“ Das habe die eigentliche Mobilisierung bürgerlicher Wähler ausgelöst.

Ähnlich sieht es auch Karl-Heinz Metzinger, ein von der AfD zur CDU zurückgekehrtes Mitglied aus dem Saarland. „Viele sind mit Merkels Kurs gerade beim Thema Asyl unzufrieden. Aber die Ankündigung der SPD, für Rot-Rot-Grün offen zu sein, war für viele eine Horrorvorstellung.“ Auch für ihn ist dieser Umstand der eigentliche Mobilisierungsfaktor für Unionswähler gewesen. Wie in NRW habe es im Saarland für die CDU eine wahlentscheidende Persönlichkeit gegeben: Klaus Bouillon. Der Innenminister des Landes mache einen „hervorragenden Job“, habe zudem bei abgelehnten Asylbewerbern eine konsequente Abschiebepraxis umgesetzt. „Das hat der Wähler honoriert.“ Wie gut „Connect17“ für die Union nun tatsächlich wirkt, dürfte sich wohl erst bei der Bundestagswahl zur Gänze herausstellen.

Fotos: Dortmunder JU-Kreisvorsitzende Sarah Beckhoff: „Jung, dynamisch und trotzdem konservativ – das ist kein Gegensatz“; Ulrich Wensel, Düsseldorfer JU-Kreisvorsitzender: „Das ganze Wahlvolk im Blick haben“