© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/17 / 11. August 2017

Gefährliche Spiele
Mit einem „Do-it-yourself-Kit“ aus den USA sollen sich zu Hause Genmutanten erschaffen lassen
Hans-Bernhard Wuermeling

In seinem Aufsatz „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ stellt Friedrich Schiller fest, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spiele. Heute stellt sich die Frage, ob er mit seinen frivolen Spielen noch Mensch bleiben wird. Eher selbstgefährdend sind jene elektronischen Spiele, denen Kinder und Jugendliche und zunehmend auch Erwachsene geradezu süchtig verfallen (JF 32/17).

Beim japanischen Pokémon geht es um ein Phantasiewesen, das sich in einem elektronischen Bild der realen Umwelt irgendwo versteckt. Dem muß nachgejagt werden, um es zu fangen. Der Spieler bewegt sich dazu irreal motiviert, aber tatsächlich in seiner gegenständlichen Umwelt. So kann er mit dem Fahrrad oder dem Auto, irreal geleitet, in der Wirklichkeit schweren Schaden anrichten. Seine Wahrnehmung ist zwischen realer Umwelt und virtuellem Tun, das gleichzeitig „real“ ist, gespalten. So gefährdet er im Straßenverkehr möglicherweise seine Mitmenschen.

Eine weitere Steigerung spielerischer Gefährdung etabliert sich mit einer neuen Gentechnik: CRISPR. Die Abkürzung bedeutet Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats und bezieht sich auf Abschnitte sich wiederholender Desoxyribonukleinsäure (DNS Repeats), die im Erbgut vieler Bakterien auftreten. CRISPR wurden 1987 in einem Kolibakterienstamm von dem Japaner Yoshizumi Ishino (Kyushu University) entdeckt. Mit der CRISPR-Cas-Methode läßt sich inzwischen DNS ganz leicht gezielt zuschneiden und verändern (Genome Editing). Wie Gene sehr einfach eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden, beschrieben erstmals 2012 die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (Max-Planck-Forschungsstelle für Pathogene) und ihre Kollegin Jennifer Doudna (University of California).

„Biohacker“ Josiah Zayner bietet Heimlabore an

CRISPR-Cas ist ein Thema für Spezialisten – nicht für Laien (JF 18/17). Doch die Szene der „Do-it-yourself biology“ (DIY bio) will sich damit nicht abfinden. Einer der bekanntesten „Biohacker“ ist Josiah Zayner, ein an der University of Chicago promovierter Biophysiker. 2013 gründete er die Firma „The Odin“. Diese bietet im Internet für 159 Dollar plus Versandkosten beispielsweise den Bausatz „DIY Bacterial Gene Engineering CRISPR Kit“ an.

Damit kann jedermann – ob verantwortlich denkend oder nicht, ob labortechnisch erfahren oder nicht, ob gesetzestreu oder nicht – mitgelieferte harmlose Kolibakterien gentechnisch verändern und sie so resistent gegen das Antibiotikum Streptomycin machen. In dem Odin-Kit sind alle dazu notwendigen Reagenzien und Geräte enthalten. Eine Gebrauchsanweisung läßt den Laien die Genmanipulation in Mutters Küche vollziehen.

Ein Journalist hielt die Versprechen von Zayner zunächst für „Fake News“. Aber er wollte sie prüfen. Vorsichtshalber hat er dann das DIY-Experiment in einem zugelassenen Versuchslabor und unter Assistenz eines Fachmannes durchgeführt und in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) darüber berichtet. Kleine Pannen ließen den ersten Versuch fehlschlagen. Auf dem mit Streptomycin versetzten Agar-Nährmedium erschienen nicht die weißen Flecken von Kolonien Streptomycin-resistenter Bakterien; doch dürfte dies auf die mangelnde Vertrautheit des Journalisten mit Laborarbeiten zurückzuführen sein.

Denn in amerikanischen Internetkommentaren berichten viele glücklich über gelungene Experimente mit dem Odin-Kit. Vielleicht war die NZZ auch nur zu sparsam: Für Fortgeschrittene gibt es zum Preis von 1.849 Dollar das „Genetic Engineering Home Lab Kit“, mit dem sich noch umfangreichere Genmanipulationen durchführen lassen. Angesichts dessen dürfte der Bausatz „Genetically Engineer Any Brewing or Baking Yeast to Fluoresce“ für 159 Dollar eher harmlos sein. Man kann diese Hefe genetisch damit so verändern, daß sie das grün fluoreszierende Protein (GFP) der Qualle Aequorea victoria enthält, so daß das Bier bei Anregung mit blauem oder ultraviolettem Licht grün leuchtet. Ob es dann besser bekommt als eine Berliner Weiße mit Schuß?

Die „Biohacker“ behaupten, sie wollten junge Menschen mit der möglichen Genmanipulation vertraut machen. In Deutschland macht man sich mit dem Verwenden der Odin-Bausätze strafbar, wenn bei der Genmanipulation nicht umfangreiche Sicherheitsvorschriften befolgt werden. Die Odin-Kits sind zum gefährlichen Spiel entartete Biotechnik. Sie wird, da sie so einfach zu praktizieren ist, bald auch für selbstmörderische oder terroristische Zwecke mißbraucht werden.

Die so einfach zu handhabende Gen- und Biotechnik bleibt, ähnlich wie bei den von Geheimdiensten nicht entdeckten „Schläfern“, unkontrollierbar. Ganz abgesehen davon, daß gentechnisch veränderte Mikroorganismen auch durch Fahrlässigkeit in die Umwelt gelangen und unermeßlichen Schaden anrichten können. Soweit ist dies alles noch gegenwärtig mögliche und für jedermann bereits zugängliche Technik.

Ein unermeßlicher Schaden droht

Sollte die Firma Odin aber großen Gewinn erzielen, wird sie versuchen, solche Kits weiterzuentwickeln. Bislang ist das alles noch Science-fiction, aber durchaus vorauszusehen. So ist zu erwarten, daß Keime auch von höheren Lebewesen für die spielerische Manipulation ihrer Gene in Küchen und Kellern ins Angebot kommen. Den Spielern, die auf diese Weise Leben künstlich verändern, könnte dann etwa versprochen werden, mit geeigneten optischen Geräten das schlagende Herz ihrer Produkte sichtbar zu machen. Kaum wird später dann der „Fortschritt“ tüchtige Geschäftemacher daran hindern, Kits mit tiefgefrorenen menschlichen Eizellen zu liefern.

Den Kunden mag es dann überlassen bleiben, selbst die Samenzellen beizusteuern, um menschliche Embryonen mit – originaler oder künstlich veränderter – Gen-Ausrüstung herzustellen. An Reste klassischer Bildung der Kunden appellierend, wird vielleicht das Produkt als „Prometheus-Kit“ angeboten und Goethe in den Prospekten zitiert: „Hier sitze ich und mache Menschen nach meinem Bilde.“ In betonter, angeblich ethischer Verantwortung würde vermutlich aber davor gewarnt werden, die Produkte über das erstmals zu beobachtende schlagende Herz hinaus zu entwickeln. Doch wer würde sich in spielerischer Laune an diese Warnung halten? 

Die Biotechnik hat sich bisher damit zu rechtfertigen versucht, daß sie Mittel und Wege zur Heilung und Verhinderung von Krankheiten erforscht. Sie wird aber nun zum reinen Spiel, ja übermütig zum Kinderspiel. Wie sagte doch Schiller? Der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spiele. Man ist versucht, dabei auch an die grausamen und tödlichen Spiele in römischen Arenen zu denken und Schillers Satz zynisch in dem Sinne doppeldeutig zu lesen, daß sich nämlich auch das Unmenschliche im Menschen erst im Spiel verwirkliche.

Doch eines war bisher unvorstellbar, nämlich daß Menschen sich einmal sogar zu bloßem Spiel Menschen erbasteln könnten. Dahin scheinen die neuesten Spiele zu tendieren. Es wäre das die durch nichts zu rechtfertigende Herrschaft von Menschen über Menschen. Noch ist Zeit, allerdings höchste Zeit, den Anfängen zu wehren.






Prof. Dr. med. Hans-Bernhard Wuermeling war Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg.

DIY Bacterial Gene Engineering Crispr Kit:  www.the-odin.com/