© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

„Wesentliches vom Unwesentlichen trennen“
Plädoyer im NSU-Prozeß: Die Bundesanwaltschaft sieht die Tatvorwürfe gegen Beate Zschäpe bestätigt / Fortsetzung Ende August
Hinrich Rohbohm

Wenn er spricht, herrscht Ruhe im Saal. Der alte Mann mit dem grauen Haar und der schwarz umrandeten Brille wirkt in seiner roten Robe und mit seinen ruhigen, kühlen Sätzen auf das Publikum stets als Respektsperson. „Wir sind uns sicher, daß wir die richtigen Täter haben“, betonte Herbert Diemer im Verlauf des nun schon vier Jahre andauernden NSU-Prozesses vor dem Münchner Oberlandesgericht bereits mehrfach. Der Chefankläger in dem Mammut-Verfahren hatte bereits kurz nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Terror-Trios als Referatsleiter der Abteilung Terrorismus beim Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Als einer der ersten traf er Beate Zschäpe im November 2011, als diese sich unmittelbar nach dem Tod ihrer Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gestellt hatte. Schon damals hatte er der Hauptangeklagten einen „Deal“ angeboten: Eine Aussage als Kronzeugin, im Gegenzug ein deutlich reduziertes Strafmaß.

„Mediales Interesse nicht immer befriedigt“

Zschäpe aber hatte es vorgezogen, zu schweigen. Erst während des Prozesses, als sich die Indizien gegen sie zunehmend erhärteten, wollte sie reden und forderte für sich neue Strafverteidiger. Ein Vorgang, der Verschwörungstheorien Nahrung geboten hatte.

Ihnen hatte Diemer in der ihm eigenen Sachlichkeit und Unaufgeregtheit stets eine Abfuhr erteilt; genauso wie den teilweise der linksradikalen Szene angehörenden Anwälten der Nebenkläger. Die sind daran interessiert, weiteren Unterstützern des NSU den Prozeß zu machen, um die Breite des rechtsextremen Netzwerks aufzuzeigen. Ein Umstand, der für die Antifa eine hohe Bedeutung hat. Ohne die Existenz solcher Netzwerke steht auch ihre Legitimation auf dem Spiel. Weniger Rechtsextremismus in der Gesellschaft bedeutet für sie die Gefahr, weniger öffentliche Gelder für den sogenannten „Kampf gegen Rechts“ zu erhalten. So wie 2011 geschehen, als die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) eine Demokratieklausel eingeführt und als Voraussetzung für öffentliche Fördergelder ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung eingefordert hatte, was die meisten Antifa-Projekte ablehnten. Kurze Zeit später flog der NSU auf, und die Einschränkung wurde wieder aufgehoben.
 
Für Diemer sind das Nebenkriegsschauplätze. Mit wenigen Worten lenkt er dann die Aufmerksamkeit wieder auf die fünf Angeklagten und den Gegenstand des Prozesses. Der 64jährige gilt als einer der erfahrensten Mitarbeiter der Generalbundesanwaltschaft, für die er seit fast 30 Jahren tätig ist. Sein Detailwissen über die Terrorzelle ist bei den Anwälten geachtet wie gefürchtet. Diemer war auch Ankläger im Prozeß gegen die linksextreme „militante gruppe“ in Berlin, zu deren Verdächtigen seinerzeit auch der spätere zeitweilige Berliner Staatssekretär und einstige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter Andrej Holm gehört hatte.
 
22 Stunden soll es dauern, bis Diemer und seine Kollegen Jochen Weingarten und Anette Greger nach 375 Verhandlungstagen das Plädoyer gegen die fünf Beschuldigten verlesen haben. Die Beweisaufnahme habe nicht immer „das politische und mediale Interesse“ befriedigen können, beginnt Diemer mit seinen Ausführungen. Die Strafprozeßordnung setze dem Grenzen, die verlangen, das „Wesentliche vom strafprozessual Unwesentlichen“ zu trennen. Es sei daher falsch zu behaupten, der Prozeß habe seine Aufgabe „nur teilweise erfüllt“, weil „staatliche Behörden und Unterstützerkreise nicht durchleuchtet worden seien. Fehler staatlicher Behörden aufzuklären sei jedoch die Aufgabe politischer Gremien.

„Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung von Angehörigen staatlicher Stellen sind nicht aufgetreten. Wären sie aufgetreten, wären sie in gesetzlich vorgesehener Weise aufgeklärt worden.“ Und: „Die Ermittlung eines weiteren Unterstützerumfelds ist bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte Aufgabe weiterer Ermittlungen. Sie konnte nicht Aufgabe dieses Prozesses sein, denn der Gegenstand war durch die zur Anklage gebrachten Taten vorgegeben.“ Diese „klaren Strukturen“ müßten in einem Rechtsstaat eingehalten werden. Anderes zu behaupten verunsichere die Opfer und die Bevölkerung. Ein klarer Seitenhieb Diemers in Richtung der Nebenkläger-Anwälte, die vor Wut schäumen.
 
Zschäpe war „Mittäterin in tödlicher Absicht“

Die Anschuldigungen an Beate Zschäpe hält der Ankläger allesamt aufrecht: „Die Angeklagte Zschäpe hat als Mittäterin in tödlicher Absicht einen Bombenanschlag auf das Ladengeschäft einer deutsch-iranischen Familie verübt und dabei eine junge Frau aufs schwerste verletzt, sowie als Mittäterin eine Nagelbombe mit großer Sprengkraft in der Keupstraße zur Explosion gebracht, um möglichst viele Menschen türkischer Herkunft zu töten.“ Dabei habe sie die Mordanschläge „auf einer DVD auf zynische und volksverhetzende Weise dargestellt und die Opfer damit verhöhnt.“ Auch habe sie „als Mittäterin Überfälle auf einen Supermarkt und mehrere Banken verübt und zweimal „in tödlicher Absicht“ auf einen Menschen geschossen. Zudem habe sie das von dem Trio zuletzt bewohnte Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesetzt.
Das Plädoyer der Anklage wird nach der Sommerpause am 31. August fortgesetzt.