Ganze 263 Meter gräbt sich die längste Kirche der Welt in den massiven Fels der Sierra de Guadarrama hinein, ein Halbkreis aus gigantischen Säulenkonstruktionen formiert den Eingang in die unterirdische Basilika. Die riesige Klosteranlage, in die das Gotteshaus für Besucher unzugänglich mündet, ist da noch gar nicht zu erahnen.
In den Schatten stellt die in den Berg gehauene Basilika viele andere Gotteshäuser Spaniens nicht nur wegen ihrer schieren Größe. Wie aus einem Schatten mutet in manchem Moment auch die Kälte an, die das Bauwerk trotz – oder gerade wegen seiner Imposanz – verströmt.
Einen „Ort monumentaler Eiseskälte“ nennt das „Valle de los Caídos“ (deutsch: Tal der Gefallenen) darum auch der einzige deutschsprachige Reiseführer, der den Paria unter Spaniens Monumenten überhaupt erwähnt. Dabei liegt die pompöse Anlage nur wenige Kilometer entfernt von einer der Hauptattraktionen im Großraum Madrid: dem Franziskanerkloster San Lorenzo de El Escorial und bietet sich auch von Madrid aus für einen Tagestrip an. Der Grund für die politisch korrekte Verschwiegenheit dürfte sich direkt unter dem Altarraum befinden: Zwischen zwei frisch plazierten Blumensträußen prangt ein Name, der Spanien noch heute umtreibt: Francisco Franco.
Opferverbände zweifeln Gräberordnung an
Fast 42 Jahre sind vergangen, seit Spaniens Diktator am 20. November 1975 das Zeitliche segnete. Doch wer heute in Spanien nach dem „Caudillo“ sehen will, muß nur einen Blick in die Zeitungen werfen. Franco wirbelt sein Land in diesen Tagen wieder gründlich auf. Stein des Anstoßes ist dabei die letzte Ruhestätte des Caudillos.
Kaum hat man Madrid in nördlicher Richtung verlassen, baut sich das Valle monumental und an exponierter Stelle in den Bergen auf. Geschuldet ist dies einem weiteren Rekord, den das Valle hält: über der Basilika thront mit 155 Metern das höchste freistehende Kruzifix der Welt.
Fast flehend ziehen sich die vier Evangelisten am gewaltigen Kreuz hoch, als wollten sie einen Blick auf die Umrisse der Hauptstadt erhaschen.
Errichtet wurde die Stätte nach dem Spanischen Bürgerkrieg von rund 20.000 politischen Gefangenen, denen für ihre Mitwirkung Hafterleichterungen in Aussicht gestellt wurden. Ein Grab schaufelten sie damit nicht zuletzt ihren eigenen Kameraden: Neben Franco und Primo de Rivera, dem Anführer der faschistischen Falange, sind in der Grabesstätte die Gebeine von mehr als 30.000 Bürgerkriegstoten beider Seiten begraben.
Was eigentlich als Akt der Versöhnung der „beiden Spaniens“ gedacht war, die sich im Spanischen Bürgerkrieg erbittert bekämpft hatten, spaltet Spanien nun erneut. Denn seit Jahren wird das Konzept des Valles von verschiedenen Seiten in Frage gestellt: Bereits im Zuge des „Gesetzes des historischen Andenkens“ wurden 2007 politische Gedenkveranstaltungen am Grab verboten, eine von linker Seite geforderte Umwandlung in ein Dokumentationszentrum konnte politisch derweil nicht durchgesetzt werden.
Opferverbände und die spanischen Linksparteien nehmen aber zunehmend auch die Gräberordnung der Anlage ins Visier. Viele Angehörige von Kämpfern der linken Republikaner wollen nicht länger hinnehmen, daß ihre Verwandten in derselben Grabanlage bestattet sind wie die beiden Galionsfiguren des feindlichen Lagers.
Besonders umstritten: Während Franco und de Rivera in direkter Nähe zum Altar namentlich begraben liegen, wurden die übrigen Kriegstoten beider Seiten gemeinsam in einer riesigen Grabkammer beigesetzt. Innerhalb der Basilika weisen lediglich zwei Seitenräume auf die Kriegstoten hin: „Gefallen für Gott und für Spanien“ steht dort über einem großen R.I.P. geschrieben. Bei der Auswahl der in der Anlage untergebrachten Toten wurde auf Befehl Francos streng auf die katholische Konfession geachtet. Darüber, daß man auf der Seite der linksgerichteten Republikaner in antiklerikaler Mission kämpfte, sah man im Sinne der Versöhnung großzügig hinweg – allerdings ohne die betroffenen Familien in die Frage der letzten Ruhestätte mit einzubeziehen.
Genau an diesem Punkt setzt die Kritik heute, fast sechzig Jahre nach der Einweihung des Valles im Jahr 1959, an. Doch vielen Spaniern geht es um mehr: Was nach ein paar Jahrhunderten wohl eine touristische Attraktion sondergleichen wäre, ist ihnen als Herrschaftssymbol des unter Franco herrschenden „Nationalkatholizismus“ ein Dorn im Auge.
Für die Parteien ist das Valle de los Caídos neben der Gibraltar-Frage indes ein willkommener Anlaß, von der zähen Tagespolitik im Rahmen der Wirtschaftskrise abzulenken.
An vorderster Front haben sich die sozialistische PSOE und das linksradikale Protestbündnis „Unidos Podemos“ das Anliegen der Angehörigen nun auf die Fahnen geschrieben: Erstere setzten den vermeintlich zweitrangigen Umgang mit der Grabesstätte ausgerechnet im Zuge ihrer Tolerierung der konservativen Minderheitsregierung auf die politische Agenda.
Im Mai beschloß der Kongreß deshalb die Exhumierung Francos aus dem Valle de los Caídos. Der konservative Partido Popular, der bislang stets davor gewarnt hatte, alte Wunden aufzureißen, enthielt sich bei der Abstimmung – ein zuvor undenkbares Novum in der Politik der Konservativen.
Neben der bislang nicht ausgeführten Exhumierung des Diktators, dessen eigene Bestattung im Valle ursprünglich gar nicht beabsichtigt war; zeichnete sich zuletzt auch ein zweites Szenario ab: die Umbettung einzelner Bürgerkriegstoter des republikanischen Lagers auf Verlangen von Familienangehörigen.
Einen Präzedenzfall könnten hierbei zwei Brüder aus Saragossa darstellen: Die beiden Anarchisten waren in den ersten Bürgerkriegsmonaten von der faschistischen Falange erschossen worden und 1959 in einer Grabkammer des Valles bestattet worden.
Nach vergeblichen straf- und verwaltungsrechtlichen Anläufen ist es ihrer Familie zivilrechtlich gelungen, ein „Recht auf eine würdige Bestattung“ durchzusetzen, selbst die Vereinten Nationen beschäftigten sich bereits mit dem Fall: Im Mai 2016 ordnete ein Richter in San Lorenzo, zu dessen Gemeindegebiet das Valle gehört, deshalb die Ausgrabung, Identifizierung und anschließende Aushändigung der sterblichen Überreste an.
Widerstand ist von den Mönchen zu erwarten
Auch wenn die Exhumierung der beiden Brüder bislang ebensowenig stattgefunden hat wie die parlamentarisch beschlossene Ausgrabung des früheren Diktators, ist die Tragweite dieses Gerichtsurteils bislang schwer abschätzbar – dies liegt vor allem daran, daß die Mehrzahl der getöteten Republikaner anonym verscharrt wurde.
Widerstand ist in beiden Szenarien von den Mönchen des Benediktinerklosters Santa Cruz del Valle de los Caídos zu erwarten.
Wie testamentarisch vom streng katholischen Franco verfügt, feiern die Mönche noch immer täglich die Heilige Messe in der Basilika – und damit auf dem Grab des früheren Staatschefs. Die Exhumierung des Caudillo würde hier nicht nur einen Bruch im streng geregelten Tagesablauf darstellen, sondern das Ende einer sorgsam im verborgenen gehüteten Geschichte.
Doch noch ist davon nichts zu spüren. Nur wenige Besucher haben sich in der Kirche eingefunden, was in der riesigen Basilika noch stärker zur Geltung kommt als in sonstigen Gotteshäusern. In dem kleinen Souvenirladen, der T-Shirts mit dem Kreuz unter die Leute bringen will, herrscht deshalb kaum Betrieb. „Das wird irgendein Bischof sein“, raunen sich zwei Besucher zu, als sie an der Grabplatte von „José Primo“ stehen. Den Namen des Falange-Führers verschweigt die Platte ebenso wie den Umstand, daß sowohl Franco als auch de Rivera am 20. November verstorben sind.
Einst kursierten wilde Verschwörungstheorien um das Ableben des Caudillos und den unter Spaniens Rechten mystisch aufgeladenen „20N“: Wurde der „Caudillo“ künstlich am Leben gehalten, um am selben Tag wie der als Märtyrer des Bürgerkrieges glorifizierte Jungfaschist abzutreten?
Doch derlei Gedankenspiele dürften derzeit von einer größeren Sorge übertüncht werden: daß die beiden Bürgerkrieger ihr Grab zur selben Zeit wieder verlassen könnten.
Foto: Valle de los Caídos: Eigentlich sollten sich Spaniens Bürgerkriegsparteien an den Gräbern der Gefallenen versöhnen. Doch wenn es um das dortige Grab von Francisco Franco (r.) geht, brechen die alten Fronten mit aller Macht wieder auf