© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

Wir sprechen deutsch
Brief an Merkel: Abgeordnete aus Union und SPD wollen die heimische Sprache stärken
Thomas Paulwitz

Für die CDU/CSU spielt die Stellung der Sprache in der Europäischen Union (EU) offenbar keine Rolle mehr. Dieser sprachpolitische Bedeutungsverlust läßt sich an den Programmen zu den Bundestagswahlen von 2009 bis heute ablesen. Während CDU/CSU im Jahr 2009 noch die „faktische Benachteiligung in den europäischen Institutionen“ beenden wollten, kündigten sie 2013 an, „die deutsche Sprache in Europa weiter zu stärken“. Aus dem Regierungsprogramm 2017 „für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ ist dieses Thema nun völlig verschwunden.

Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu erklären. Entweder haben acht Jahre erfolgreicher Regierungsarbeit dazu geführt, daß keine Forderungen mehr erhoben werden müssen: Die deutsche Sprache hätte dann dank CDU/CSU endlich den Rang eingenommen, der ihr in der EU gebührt. Schließlich hat der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren die Bundesregierung mehrmals dazu aufgefordert, die EU-Kommission auf ihre Übersetzungspflichten hinzuweisen.

Oder es ist das Gegenteil der Fall, und acht Jahre erfolgloser Bemühungen haben CDU/CSU aufgeben lassen: Die beiden Regierungsparteien haben keine Hoffnung mehr, sich durchsetzen zu können. Der Verzicht auf die Forderung nach Besserstellung der deutschen Sprache wäre also das Eingeständnis des eigenen Versagens und die Kapitulation vor der EU-Kommission.

Wäre das Problem tatsächlich gelöst, dann wären die beiden außerparlamentarischen Oppositionsparteien AfD und Freie Wähler völlig von gestern. Die Freien Wähler haben in ihrem aktuellen Bundestagswahlprogramm nahezu wortwörtlich die Forderungen von CDU/CSU aus dem Jahr 2013 übernommen: „Deutsch ist die meistgesprochene Muttersprache in Europa. Wir wollen deshalb unsere Sprache fördern, um sie gleichberechtigt als Arbeitssprache in Europa neben Englisch und Französisch zu etablieren.“ Alle Veröffentlichungen der EU-Institutionen sowie Drucksachen und Antragsformulare für EU-Fördergelder müßten auch in deutscher Sprache verfügbar sein, heißt es weiter.

Die AfD verspricht Ähnliches: „Auf EU-Ebene wollen wir dafür sorgen, daß das Deutsche dem Englischen und Französischen auch in der alltäglichen Praxis gleichgestellt wird.“ Sie fügt jedoch polemisch hinzu: „… solange die EU noch besteht.“ Die EU dürfte jedoch trotz dieser Unkerei noch ein Weilchen bestehen – und damit auch die Unterdrückung der deutschen Sprache in deren Institutionen. Denn dieses Problem ist keineswegs gelöst.
Allerdings sind nicht alle in der Union bereit, dieses Thema aufzugeben. Hinzu kommt Unterstützung aus der SPD. Drei Bundestagsabgeordnete haben sich kürzlich zusammengetan, um einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu schreiben: Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU), der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Gunther Krichbaum (CDU), und der für Europa zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Axel Schäfer.

Die drei Sprach-Musketiere verlangen von Merkel „neben der Durchsetzung der gleichberechtigten Verwendung der deutschen Sprache als Arbeitssprache in den Organen der Europäischen Union“ auch eine „verstärkte Nutzung in allen internationalen Institutionen“. Darüber hinaus wollen sie die deutsche Sprache auch auf nationaler Ebene stärken. Es bedürfe „auch einer konsequenten Verwendung der deutschen Sprache in unserem eigenen Land“. Deutsch dürfe nicht zu einer „Restesprache“ herabgestuft werden, daher fordern sie von der Bundesregierung vier sprachpolitische Maßnahmen: Erstens sollen „Forschungsergebnisse, die mit Bundesgeldern gefördert werden“, immer auch in deutscher Sprache erscheinen. Zweitens sollen Tagungen, die mit deutschen Steuergeldern finanziert werden, immer auch Deutsch als Konferenzsprache anbieten. Drittens sollen Mitglieder der Bundesregierung „bei Anlässen aller Art grundsätzlich deutsch sprechen“. Und viertens sollen in den deutschen Exzellenzuniversitäten Vorlesungen und Prüfungen in Master-Studiengängen immer „auch in deutscher Sprache angeboten werden“.

Wie wenig Bedeutung Merkel solchen Forderungen zumißt, erkennt man daran, daß sie diesen Brief nicht selbst beantwortete. Statt dessen beauftragte sie ihren Mann für alle Fälle, Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Er stimmt lediglich insofern zu, daß „die deutsche Sprache das wichtigste Instrument für kulturelle Identifikation und gelingende Integration ist“.

Auf die vier sprachpolitischen Forderungen geht Altmaier jedoch nicht ein. Statt dessen verbreitet er Binsenweisheiten: „Ein in Forschung und Wissenschaft starkes Land wie Deutschland profitiert von einem intensiven internationalen Austausch.“ Als ob dies die Abschaffung von Deutsch als Wissenschaftssprache rechtfertigte! Gummiweich gesteht er zu, daß sich die Regierung für die Erhaltung des Deutschen als Wissenschaftssprache einsetze, „wo es möglich“ sei. Allerdings ließ Merkels Minister offen, welche Möglichkeiten die Regierung überhaupt zu erkennen in der Lage ist.

Altmaier betont, daß sich die Bundesregierung bereits seit Jahren „nachdrücklich gegenüber den Institutionen der Europäischen Union für eine angemessene Verwendung der deutschen Sprache“ einsetze. Dazu gehöre, „immer wieder darauf zu dringen, daß wichtige beratungsrelevante Dokumente der Europäischen Union rechtzeitig auf deutsch vorliegen müssen.“ Erfolge kann er jedoch nicht vermelden.
Dabei böte der „Brexit“ die Gelegenheit, neu über die Sprachenpolitik der EU nachzudenken. Seit 1990 drängte in der EU das Englische die beiden Sprachen Deutsch und Französisch immer weiter an den Rand – trotz oder vielleicht gerade wegen der deutschen Wiedervereinigung. Mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU gibt es jetzt erst recht keinen Grund mehr für die EU-Kommission, die englische Sprache weiterhin einseitig zu bevorzugen und die deutsche Sprache zu benachteiligen. Deutsch ist in vier EU-Staaten (Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg) und in Südtirol Amtssprache, Englisch nur noch in zwei Kleinstaaten: Irland und Malta. Deutsch wird von rund 90 Millionen EU-Bürgern als Muttersprache gesprochen, Englisch – nach dem EU-Austritt – nur noch von rund fünf Millionen.

Auch wenn die Parteispitze der CDU keine sprachpolitischen Erfolge vermelden kann, unterstützte jetzt CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn in der Neuen Osnabrücker Zeitung den Brief der drei Abgeordneten: „Wir sollten international und europäisch das Sprechen und das Erlernen der deutschen Sprache weiter befördern.“ Wir sollten, könnten, müßten … – Nach zwölf Jahren mit unionsgeführten Bundesregierungen sollten, könnten, müßten CDU und CSU mehr vorzuweisen haben als Absichtserklärungen und fromme Wünsche.



Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Deutschen Sprachwelt. http://deutschesprachwelt.de