In einen knallroten Lederdreß gezwängt, halb Polititruk und halb Domina, so trat Iris Gleicke (SPD), die Ostbeauftragte der Bundesregierung, am 18. Mai vor die Presse, um die Studie „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“ vorzustellen. Stolze 130.000 Euro hatte sie dem Göttinger Institut für Demokratieforschung dafür hingeblättert. Einwände gegen die Auswahl der Gesprächspartner, die Zitierweise und Datenerhebung wies sie zurück: „Ich sehe keinen Grund für Zweifel an Inhalt und Methodik der Studie. Im übrigen ist doch allen völlig klar, daß eine Gefahr vom Rechtsextremismus in Ostdeutschland ausgeht. Das zu leugnen oder kleinzureden heißt, den Kopf in den Sand zu stecken.“
Sechs Wochen später dann die Kehrtwende. In einem geharnischten Brief attestierte sie dem Institut. „Mangel an Sorgfalt“ und eine „schlicht nicht hinnehmbare Schlamperei“ und verkündete in holprigem Deutsch: „Hieraus kann ich nur die Konsequenz ziehen, mich hiermit in aller Form von der Studie zu distanzieren.“ Der offizielle Grund – zwei veränderte Fassungen, die das Institut ohne Erläuterungen an ihre Pressestelle übermittelt hatte – wirkt vorgeschoben. Der wirkliche Grund liegt wohl hier: Die Studie behauptet eine durch CDU-Vertreter „dominierte politische Kultur“ in Sachsen, die Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit begünstige. Das konnte die Union unmöglich auf sich sitzen lassen. Die SPD-Frau mußte zurückrudern.
Der Abteilung Agitation und Propaganda zuzurechnen
Von den formalen Einwänden und Parteiquerelen abgesehen, stellt sich die Frage nach dem Erkenntniswert solcher Auftragsarbeiten. Zweck und Zielrichtung sind vorgegeben, was eine ergebnisoffene Forschung ausschließt.Viele Politologen und Demokratieforscher haben zudem ihre Rolle als politische Dienstleiter verinnerlicht und sind eher dem Bereich der politischen Bildung, Abteilung Agitation und Propaganda, als den analytischen Wissenschaften zuzurechnen.
Als Motive für die „asylfeindlichen Proteste im Jahr 2015“ führt die Studie „Fremdenfeindlichkeit“ und „rechtsextremes“, „rigides Denken“ an, das durch die „Glorifizierung autoritärer Ordnungen“ und „ein überhöhtes Bedürfnis nach Harmonie, ‘Reinheit’ und Ordnung geleitet“ würde und „dissonante Ereignisse und Erklärungen“ ausblende.
Nach dieser Definition wären die etablierten Medien durchweg rechtsextremistisch, weil sie „dissonante Ereignisse und Erklärungen“, die sich aus dem massiven Ausländerzuzug ergeben, konsequent verdrängen. Und wird der „Kampf gegen Rechts“ nicht gleichfalls „autoritär“ geführt und ist von „einem überhöhten Bedürfnis“ nach Harmonie, Ordnung und politisch-korrekter Besenreinheit geleitet?
Ungewollt bestätigt die Studie, daß „Fremdenfeindlichkeit“ und „Rechtsextremismus“ suggestive Feinderklärungen sind, mit denen die Kritiker der Politik der offenen Grenzen pathologisiert und ins Abseits gestellt werden. Die implizite Grundannahme, daß die zugewanderte Fremdheit im Prinzip positiv und ihre Ablehnung prinzipiell schlecht sei, widerspricht sowohl der ethnologischen Forschung als auch der erfahrbaren Praxis. Für den Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt war die Abgrenzung zur Aufrechterhaltung einer stabilisierenden Gruppennorm unabdingbar. Sie macht „das Verhalten voraussehbar, trägt Ordnung in die Gemeinschaft und vermittelt damit Sicherheit“. Die Alternative sind Verhältnisse wie in der Kölner Silvesternacht 2015.
Und was ist schließlich mit dem pejorativen Adjektiv „asylfeindlich“ gemeint? Das deutsche Asylrecht ist ungeachtet kleiner Korrekturen über die Jahrzehnte zum Türöffner für eine wilde Einwanderung verkommen. Seit der Grenzöffnung 2015 ist aus dem Asylantenstrom eine Völkerwanderung geworden. Auch in den kleinen und mittleren Städte in der früheren DDR, die bis 2015 vom Ausländerzuzug weitgehend verschont geblieben waren, haben sich Zonen der Unsicherheit und Gewaltkriminalität gebildet. Die Staatsmacht hat die staatliche Dreiheit, zu der weiterhin das Staatsvolk und das kontrollierte Staatsterritorium zählen, aufgekündigt. Keine etablierte Partei und keines der großen Medien sieht in dieser Staatszerstörung ein Problem oder benennt sie auch nur. Eine politische Öffentlichkeit findet nicht statt.
Das ist der Hintergrund, vor dem die „asylfeindlichen Proteste“ in der Ex-DDR bewertet werden müßten. Dazu sind die Verfasser der Studie weder objektiv in der Lage noch subjektiv willens. Stattdessen legen sie eine kulturelle und mentale Rückständigkeit in „Ostdeutschland“ zugrunde, die sie mit dem Fehlen eines „emanzipatorisch-liberalen Aufbruchs wie in der Bundesrepublik der sechziger, siebziger und achtziger Jahre“ erklären. Nun muß man kein Anhänger des restriktives Mauerstaates sein, um einen „Aufbruch“, der zu einer gesinnungsethisch aufgeladenen, „sensationellen Infantilisierung der Politik“ (Rolf Peter Sieferle) geführt hat, auch nachträglich für verzichtbar zu halten.
Das Institut für Demokratieforschung erweist sich mit dieser Studie selbst als faule Frucht jenes „Aufbruchs“ und kann deshalb keine wissenschaftliche Distanz zu ihm einnehmen. Diese Unfähigkeit ist genetisch angelegt in einem Wissenschaftszweig, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA importiert wurde. Der Import diente ausdrücklich nicht dem Zweck, die suspendierte staatliche Identität Deutschlands rekonstruieren und die Wiederherstellung des deutschen Staates als handlungsfähiges Subjekt und politische Organisationsform des deutschen Volkes vorbereiten zu helfen. Der Ansatz der Politikwissenschaft war vielmehr systemisch, das heißt, als Demokratiewissenschaft sollte sie die Implementierung eines liberalen Systems begleiten und den angeblichen Nachholbedarf der Deutschen an demokratischer Erziehung decken. Die Identität und politischen Interessen der Bundesrepublik sollten sich in transnationalen Zusammenhängen auflösen; der deutsche Nationalstaat galt als diskreditiert durch die NS-Zeit.
Staatsfeindlicher Ansatz der Politikwissenschaft
Dieser Ansatz war nicht „lagebewußt“ und versperrte den Blick auf die „politische Wirklichkeit“, konstatierte 1978 der Politikwissenschaftler Hans-Joachim Arndt. Nach dem 68er „Aufbruch“ war daraus eine „verblasene Verbindung von Systemologie und Marxologie“ erwachsen. Darin eingeschlossen waren das Einverständnis mit der deutschen Teilung und der vorenthaltenen Selbstbestimmung. Der Historiker Stefan Scheil spricht deshalb in seinem Buch „Transatlantische Wechselwirkungen“ auch von einer „Kapitulations-“ und „Legitimationswissenschaft“.
Solange der Ost-West-Konflikt währte, beschränkten die Handlungsoptionen der Bundesrepublik sich darauf, den eingefrorenen Status quo zu verwalten. Deshalb war der praktische Schaden, den das falsche Lagebewußtsein anrichtete, vergleichsweise gering. Das änderte sich mit der Wiedervereinigung und der in Bewegung geratenen Weltlage. Kriege am Golf und in Jugoslawien-Krieg wie auch die Asylantenwellen wurden nicht politisch, sondern im humanitaristischen Betroffenheitsjargon diskutiert. Diese Fehlkonditionierung hat sich verfestigt und den gesamten politisch-medialen Raum okkupiert. In einer Zeit, da sich Millionen zur Völkerwanderung nach Europa rüsten, ist das lebensgefährlich.
Die Studie verkündet jedoch: „Auffällig ist, daß bei diesem Gefühl fraternaler Deprivation – AusländerInnen werden bei der Güterverteilung gegenüber ‘uns’ privilegiert – die Bezugsgruppe, das ‘Wir’, fast nie ‘Wir sozial Benachteiligte’, sondern ‘Wir Deutsche’ sind. Diese, ethnisch aufgeladene, Betonung sogenannter Etabliertenvorrechte fiel in beiden der untersuchten Regionen auf, wurde in Sachsen jedoch deutlicher und von einer breiteren Masse artikuliert.“
Der staatsfeindliche Ansatz der deutschen Politikwissenschaft geht nahtlos in den Globalismus über. Was hier mokant als „Etabliertenvorrechte“ abgetan wird, bezeichnet den qualitativen Unterschied zwischen dem Staatsbürger und dem Nichtstaatsbürger. Daß dieser Unterschied zwar nicht immer, aber überwiegend auch ein ethnischer ist, liegt in der Natur der deutschen und europäischen Geschichte. Die Verfasser der Studie aber kennen keine Deutschen mehr, sondern nur noch „sozial Benachteiligte“. Das liegt nahe an der internationalistischen Klassenkampf-Ideologie, mit der die DDR-Bürger jahrzehntelang gefüttert wurden. Eben deshalb verfängt dieser Jargon im Osten viel weniger als im Westen.
Er legitimiert aber die Politik der Bundesregierung, deren Oberhaupt ebenfalls nur noch quantitative statt qualitative Unterschiede akzeptiert: Zwischen denen, „die schon länger“, und jenen, die noch nicht so lange hier leben. Im Grunde paßt zwischen den knallroten Lederdreß und die dienstbaren Thesendrescher kein Blatt Papier. Die Irritation ist nur entstanden, weil die Göttinger selber Politik machen wollten, als Antreiber, und dabei die Feinheiten des koalitionären Miteinanders mißachteten. Abgewickelt gehören beide!