© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

CD-Kritik: Tobias Bigger – Barockmusik
Stuckwerk
Jens Knorr

Nicht von ungefähr interessierten sich Komponisten des wilhelminischen Zeitalters, sogenannte Spät- und Nachromantiker, für Barockmusik. Architektonischer Neobarock und Neoklassizismus finden auffällig Entsprechungen in ihrer Musik. Suchten die einen in barocken Formen- und Regelkanones Rückversicherung, da mit den neutönerischen Tendenzen alle ewigen Gesetze der Tonkunst hinzugehen schienen, so hielten andere Nachahmung und möglichst Überbietung des Stils hingegangener Meister bereits für den Ausweis eigener Meisterschaft. Die Besten transkribierten barocke Werke als Schule des Kontrapunkts für die eigene kompositorische Praxis.
Der Pianist Tobias Bigger hat solcherlei spätromantische Klaviermusik zu seiner musikalischen „Puppenallee“ versammelt: Transkriptionen barocker Stücke im späten 19., frühen 20. Jahrhundert (MacDowell, Schmid-Lindner, Melartin, Busoni), originale Kompositionen im „alten Stil“ (Sinding, Foote, de Castillon) und originale Kompositionen von Bach, Reger, August Gottfried Ritter und Carl Sattler in Bearbeitungen von Bigger selbst.

Auf einem auf 440 Hz gestimmten Steinway trimmt Bigger, trocken oder pompös, non-legato oder pedalsüchtig übergriffig, Bach & Co. auf romantische Klangfarbenvorstellungen und mörtelt auf alte Interpretationsschichten neue.

Tobias Bigger In altem Stil – Barock im Spiegel virtuoser Klaviermusik Antes Edition, 2017, http:/koganbigger.12hp.de