Das Gedenken an die Veröffentlichung der berühmten Thesen Martin Luthers vor fünf Jahrhunderten ist allgegenwärtig. Angesichts dieses Erinnerungsmarathons ist es reizvoll, einmal die Gegenseite zu betrachten. Der Reformator hat nie einen Zweifel gelassen, wer sein größter Feind ist und wo dieser sich befindet: Der Antichrist lebt in Rom.
In der Tat bedeuteten die Umbrüche im frühen 16. Jahrhundert eine Zäsur für die althergebrachte Institution: Die Päpste sahen sich erstmals im westlichen und mittleren Europa einer mächtigen binnenkirchlichen Konkurrenz gegenüber, die wiederum zu einer Neuausrichtung dieser für das Christentum zentralen Einrichtung führte.
Grundlegende Weichenstellungen waren freilich den Nachfolgern des Petrus nie fremd. Dieser steht geheimnisumwoben am Anfang. Eine Ausstellung in Mannheim thematisiert die bis heute andauernden Kontroversen, ob die Apostelfürsten Petrus und Paulus wirklich in der Hauptstadt des mächtigsten Reiches der damaligen Welt gewesen sind. Immer wieder werden die archäologischen Mittel verbessert. Der Besucher erhält mittels eines Modells Einblicke in die Petrusmemorie im Innern der konstantinischen Peterskirche. Letzte Sicherheit über die Anwesenheit der beiden Gründerfiguren kann aber auch die neueste Forschung nicht geben.
Polarisierung zwischen Papst und Kaiser
Obwohl auf der Basis eines frühen Totenkults an den vermuteten Gräbern Petrus’ und Paulus’ schon früh Versuche festzustellen sind, einen Vorrang des römischen Bischofs zu beanspruchen, mutet die Entwicklung dieses Amtes vor der konstantinischen Wende im frühen 4. Jahrhundert sehr bescheiden an. In den Katakomben, deren Geschichte in einem Kurzfilm dokumentiert wird, dürften die Wirkmöglichkeiten des ersten Mannes der Gemeinde eher beschränkt gewesen sein. Immerhin gelang es dem frühen Christentum, das sich auf dem Markt der antiken Religionen durchsetzen konnte, eine staatsunabhängige Struktur aufzubauen, woran das Oberhaupt nicht unbeteiligt gewesen sein dürfte.
Vom großen Umsturz, der mit dem Namen Konstantin charakterisiert werden kann, profitierte das Papsttum erheblich, das nun repräsentative Bauten errichten konnte, allen voran den Lateranpalast. Neue Privilegien machten den weiteren Aufstieg unaufhaltsam. In den Wirren der Völkerwanderung fungierte das nunmehr gestärkte Papsttum als wörtlicher Fels in der Brandung. Papst Damasus I. beauftragte seinen Vertrauten, den Kirchenvater Hieronymus, eine Übersetzung aus dem Griechischen zu schaffen, die sich von den altlateinischen Texten unterscheidet. Von diesem Meisterwerk ist in der Ausstellung das älteste erhaltene Vulgata-Bruchstück zu sehen. Schon um 500 formulierte Papst Gelasius I.die von Selbstbewußtsein zeugende „Zweischwerterlehre“, die die jahrhundertelange Polarisierung zwischen Papst und Kaiser vorwegnahm.
Intrigen verdunkelten die Petrusnachfolge
Papst Gregor der Große ist einer der markantesten Päpste des frühen Mittelalters. Neben vielen anderen Aktivitäten stieß er die Mission der Angelsachsen an. Sie entfaltete im Laufe der Jahrhunderte fruchtbare Wirkungen. Ohne diese Weichenstellung wäre die spätere „Grundlegung des ‘päpstlichen’ Europa(s)“ (Stefan Weinfurter) durch Bonifatius nicht möglich gewesen.
Nach der Beendigung des „finsteren Jahrhunderts“, in dem viele Intrigen die Petrusnachfolge verdunkelten, kamen wieder bessere Zeiten. Der „Kirchenstaat“ entstand im 10. Jahrhundert. Auswirkungen des Privilegium Ottonianum sind bis in die unmittelbare Gegenwart, vor allem in Deutschland, festzustellen. Besonders bewunderungswürdig sind einige sakrale Gegenstände im Umfeld des „deutschen“ Papstes Clemens II. Von den Textilien aus seinem Sarkophag kann man vornehmlich die Pontifikalstrümpfe und die Stola nennen.
Mit Gregor VII. erreichte das Papsttum einen neuen Höhepunkt. Sein Wirken impliziert (trotz aller weitreichenden Machtgelüste) durchaus Zukunftsweisendes, indem er die Laieninvestitur verbot und somit zur Ausdifferenzierung der Sphären von Weltlichem und Geistlichem beitrug. Seine Bedeutung reicht über das berühmte Canossa-Ereignis hinaus. Im Zug der stärkeren Unterscheidung von regnum und sacerdotium überrascht es nicht, daß die Entscheidung, wer Papst wird, bald nur noch von höheren Klerikern getroffen wird. Im 12. Jahrhundert zeigt sich sogar ein noch größerer Einfluß des Papsttums, findet sich in den Quellen nicht zufällig die Aussage: „Der wahre Kaiser ist der Papst“. Das Schisma von 1054 hat vorerst kaum negative Folgen. Gegen Ende dieses Jahrhunderts rief der Papst zum Kreuzzug auf. Eine etwaige Einheit der lateinischen Christenheit ist nicht ohne das Kirchenoberhaupt vorstellbar, dessen Herrschaft mehr und mehr universale Züge annimmt.
Gegen immer neue Abgaben regte sich Widerstand
Vor dem Hintergrund stetig wachsender Macht erstaunt es nicht, daß Innozenz III., einer der führenden Repräsentanten des hochmittelalterlichen Papalismus, den Papst als geringer im Vergleich zu Gott, aber größer als jeder Mensch bezeichnete. Die Inquisition diente auch der Festigung der Herrschaft. Etwa zur gleichen Zeit verdeutlichten die Bettelorden auch die Grenzen kurialen Prunks. Der Übergang vom Höhepunkt der Einflußmöglichkeiten zum – wenn auch langsamen – Niedergang machte sich vor allem bei Bonifaz VIII. bemerkbar. Dessen Bulle „Unam sanctam“ propagierte, daß jede Kreatur dem Bischof von Rom Untertan zu sein habe. Dieser Machtanspruch gefiel dem französischen König am wenigsten, so daß er seinen Konkurrenten kurzzeitig festsetzen ließ. Mit Bonifaz VIII. zeigten sich erste Anzeichen des Renaissancepapsttums, das auf Individualität des Amtsinhabers Wert legte, der sich in Form von Büsten darstellen ließ.
Das babylonische Exil der Päpste wurde durch das Konzil von Konstanz und die Wahl Martins V. beendet. Eine ernste und lange Krise dieser Institution konnte überwunden werden. Mit Pius II. und Sixtus IV. bestiegen zwei Männer den Stuhl Petri, deren kulturelle Schaffenskraft bis heute Bewunderung hervorruft. Mit dem Ausgriff nach der Neuen Welt Ende des 15. Jahrhundert nahm auch der päpstliche Universalismus neue Konturen an. Alexander VI. sorgte für die Personalisierung dieser Wende, mit der auch eine politische Aufwertung verbunden war. Die Päpste Julius II. und Leo X. markieren das Ende des mittelalterlichen Papsttums. Ersterer begründete die Schweizer Garde. Er tat sich schwer, den steigenden Finanzbedarf zu decken. Gegen immer neue Abgaben regte sich zunehmend heftig werdender Widerstand, zu dessen Anführer insbesondere ein Mönch aus Deutschland gehörte. Am Ende ist ein Bild des irischen Künstlers Francis Bacon aus dem Jahre 1951 zu sehen, das sich mit dem Pontifex Innozenz X., der im 17. Jahrhundert regierte, beschäftigte. Der Papst, der in einem Glaskäfig sitzt, schreit. Kaum eine Darstellung ist besser dazu geeignet, den drastischen Funktionswandel des Papsttums in der Neuzeit zu verdeutlichen.
Die ausführliche Mannheimer Ausstellung, die auf drei Etagen stattfindet, zeigt eindrucksvoll Licht- und Schattenseiten einer Institution, ohne die abendländische Kontinuität nur schwer vorstellbar ist. Welche intensive Arbeit im Hintergrund geleistet wurde, belegt allein die Tatsache, daß es neben dem begleitenden Katalog einen Reiseführer und vier Tagungsbände der wissenschaftlichen Symposien gibt, die anläßlich der Ausstellung stattgefunden haben. Ein Besuch der Mannheimer Schau ist unbedingt zu empfehlen.
Bildnis von Papst Julius II. (1503–1513), Gemälde von Tiziano Vecellio, Öl auf Holz, 1545/46: Er begründete die Schweizer Garde / Kästchen aus Ebenholz, Elfenbein und Silber mit der frühesten Darstellung der Petrusmemorie, um 450
Die Ausstellung „Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt“ ist bis zum 31. Oktober im Museum Zeughaus C5 der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 504 Seiten kostet 39,95 Euro. Telefon: 06 21 / 2 93 31 50 www.paepste2017.de