Wir schreiben das Jahr 1875: ein Tag im großen Salon von Richard Wagners Villa Wahnfried. Der Hausherr erscheint mit seinen beiden Hunden, seine Ehefrau Cosima leidet unter Migräne. Zu ihnen gesellen sich Wagners Schwiegervater Franz Liszt und der Dirigent Hermann Levi. Sie proben das Vorspiel der „Meistersinger von Nürnberg“. Es folgt ein fugenloser Wechsel in die Zeit von deren Handlung, ins 16. Jahrhundert. So launig läßt Regisseur Barrie Kosky seine Neuinszenierung der „Meistersinger“ bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen beginnen.
Aus Wagner wird Hans Sachs (Michael Volle), aus Liszt der Goldschmied Pogner (Günther Groissböck), Cosima verwandelt sich in dessen Tochter Eva, aus dem Kapellmeister Levi wird der Stadtschreiber Beckmesser (Johannes Martin Kränzle); die Meistersinger, die Lehrbuben, das Volk in der Schlußszene, alle in der Tracht ihrer Zeit.
Im zweiten Aufzug wird Beckmesser zur Judenkarikatur, parallel dazu läßt Kosky das infame Zerrbild des „ewigen Juden“ aus Julius Streichers Stürmer riesengroß aufblasen, die Szenerie wechselt in einen Gerichtssaal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse mit den Flaggen der Siegermächte. Dort findet auch der Preislied-Wettbewerb statt. Im Schlußmonolog von Wagner/Sachs triumphiert schließlich die Kunst über die Politik, und den Ausklang seines Werkes dirigiert er selbst einem sichtbaren Orchester auf der Bühne.
Barrie Koskys Inszenierung ist recht originell, opulent-farbenfroh – und stellenweise erklärungsbedürftig. Das Ineinanderfallen von Nürnberger Tribunal und Festwiese der Zunftträger in historischen Kostümen ist nicht schlüssig. Am Pult setzte der Schweizer Dirigent Philippe Jordan die Akzente abgestimmt auf die Inszenierung, die sich zudem auf durchweg großartige Sänger – herausragend Klaus Florian Vogt als Stolzing – und einen furiosen Chor stützen kann.
Hans Sachs (Michael Volle) im Saal der Nürnberger Prozesse
Die nächsten „Meistersinger“-Vorstellungen in Bayreuth laufen am 19. und 27. August jeweils um 16 Uhr. www.bayreuther-festspiele.de