© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/17 / 18. August 2017

Der zwiespältige Bund und sein langer Schatten
Der Ägyptologe Jan Assmann analysiert Wurzeln und Ausprägungen „totaler Religion“
Felix Dirsch

Seit rund zwanzig Jahren ist Jan Assmann mit seiner These im Gespräch, daß der Monotheismus Intoleranz, Konflikte und Widerstand in die Welt bringe und sie dauerhaft schüre. Etliche Monographien zu dieser breitgefächerten Problematik hat er publiziert. Eine Fülle von Theoretikern hat in verschiedenen Diskussionsbänden und Aufsätzen auf diese Annahme, die an David Hume, Johann W. von Goethe, Sigmund Freud und andere herausragende Denker anschließt, geantwortet.

Warum es sich dabei um einen thematischen Dauerbrenner handelt, liegt auf der Hand: Er ist nicht nur Gegenstand von Gelehrtendisputen; vielmehr erscheint klar, Fundamentalisten können sich als authentische Interpreten der heiligen Schriften von Juden, Christen und Moslems profilieren und tun das auch in zunehmender Art und Weise. Das implizit enthaltene Gewaltpotential bricht in immer kleiner werdenden Abständen durch, allerdings deutlich öfter in islamischen und islamistischen Kontexten als bei den älteren beiden monotheistischen Schwestern.

Assmann sieht eine Alternative zum Bund am Sinai, der Israel in ein intimes Verhältnis zu seinem Gott stellt und damit den wahren vom unwahren Glauben unterscheidet. Andere Götter mutieren folglich zu Götzen. Der von dem Ägyptologen aufgewertete Kosmotheismus aus antiken Ideenkonglomeraten kommt ohne dogmatische Inhalte aus. Freilich ist die „Revolution der Alten Welt“ (Assmann), die das Exodus-Ereignis in seinen Konsequenzen bewirkt, nicht einfach rückgängig zu machen. Manche meinen, eine Welt ohne die mosaische Differenz wäre friedlicher.

Ganz so einfach macht es sich der Kritiker der Ein-Gott-Religionen jedoch nicht. Im ersten Beitrag arbeitet Assmann – quasi als Präludium – auch in polytheistischen Zusammenhängen eine schlummernde Anlage zur Gewalt heraus. Aus ihnen entwickelt sich im Laufe der Weltgeschichte ein exklusiver Monotheismus, der sich zuerst im Umsturz von Amarna zeigt und mit dem Namen Echnaton verbunden ist.

Totalitarismus als Variante jener „totalen Religion“

Damit beginnt ein welthistorisches Drama von unüberschaubaren Ausmaßen. Die weitreichenden Aktivitäten dieses Herrschers bleiben jedoch Episode. Erst mit dem Dekalog und seinen vielfältigen Wirkungen setzt sich der Monotheismus endgültig durch. Die Relation Gottes zu Israel manifestiert sich in einem Liebesbund, der bekanntlich nicht unangefochten ist. Der Treuebruch des jüdischen Volkes füllt viele Absätze der hebräischen Bibel. Propheten werden durch zahllose Verfehlungen auf den Plan gerufen. Diese Boten Gottes werden nicht müde zu ermahnen und an das Strafgericht zu appellieren.

Gottes Zorn trifft immer wieder auch Unschuldige. Viele kriegerische Phantasien werden auf den Allmächtigen projiziert. Für die Verehrung anderer Götter besteht kein Platz. Derartige Grundstrukturen religiöser Praxis und Denkens finden Eingang in das Christentum und in den Islam. Die mythische Gestalt des Mose rückt Assmann auch in der vorliegenden Veröffentlichung ins Zentrum. In seinen Erörterungen breitet er auch heute vergessene Überlegungen über den Befreier Israels aus, wie sie etwa von Ernst Sellin stammen. Auch der Inhalt des Buches Deuteronomium wird ausführlich entfaltet. Das Christentum verschärft die Vorgaben aus dem Alten Testament.

Anstelle der konkret-geschichtlichen Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägyptens tritt die Idee der Erlösung von Sünde und Verdammnis durch das überirdische Heil, das mit Jesus Christus identifiziert und somit personalisiert wird. An den Auseinandersetzungen um Gottes Sohn entzündet sich mit neuer Heftigkeit der Streit um Wahrheit und Unwahrheit, Glaube und Unglaube, Diesseits und Jenseits, Himmel und Hölle. Der Konflikt erhält durch die missionarische Potenz der anfänglich jüdischen Sekte eine Ausdruckskraft, die sie im Judentum nie gehabt hat.

Die Ausbildung von Toleranz, die viele moderne Literaten wie Spinoza, Voltaire und Lessing postulieren, kann vor solchen geistigen und politischen Hintergründen nur schwerlich und, wenn überhaupt, spät stattfinden. Der religiöse Ernstfall bleibt nicht auf die transzendente Sphäre beschränkt. Vielmehr legitimiert sich fast jeder politische Absolutismus bis weit in die Neuzeit hinein unter Berufung auf die Repräsentanz des Göttlichen. Ein Herrscher, ein Volk, ein Gott – so lautet die Devise.

Der omnipräsenten Praxis folgt die Theorie. Von Thomas Hobbes bis Carl Schmitt reicht eine imposante Galerie politisch und juristisch argumentierender Quasitheologen. Sie zeigen vielfältige Analogien zwischen politischen und theologischen Bereichen auf. Alte religiöse Topoi von Gewaltentbindung und Gewalthemmung kehren nun in Formen politischer Verschärfung wieder. Manche sehen selbst den Totalitarismus als eine – wenn auch sehr radikale – Variante jener „totalen Religion“, die viel Unglück über die Menschen gebracht hat.

Die so eminent destruktiven „politischen Religionen“ (Eric Voegelin) stellen allerdings nicht das Ende der Geschichte dar, auch für Assmann nicht. Er schließt mit der Bekundung, daß es die „wahre Religion“ nicht gibt, wohl aber die Gerechtigkeit, Frieden und Schönheit stiftende Kraft des Glaubens. Diese Dimension ereignet sich nach seiner Meinung dort, wo sich Menschen von diesen (modern ausgedrückt) Werten inspirieren lassen. Man erkennt unschwer, daß Assmann jenes Antidot gegen totale Religion vorschlägt, welches uns die großen Geister der Kulturgeschichte anempfehlen. Lessings versöhnende „Ringparabel“ und Mozarts „Zauberflöte“ sollen also gegenüber Schmitts polarisierendem „Begriff des Politischen“ die Oberhand behalten.


Echnaton opfert dem Gott Aton (Ausschnitt), Relief im Nationalmuseum Kairo: Bereits eine schlummernde Anlage zur Gewalt


Jan Assmann: Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung. Picus-Verlag, Wien 2017, gebunden, 184 Seiten, 25 Euro