© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

„Das Erreichte sichern“
Asylpolitik: CSU-Chef Horst Seehofer rückt von der Obergrenze ab – jedenfalls ein bißchen / Weniger freiwillige Rückkehrer und Abschiebungen
Peter Möller

Zumindest bei der Obergrenze für Flüchtlinge wird niemand CSU-Chef Horst Seehofer nach der Bundestagswahl vorwerfen können, er habe die Wähler getäuscht. Im Sommerinterview mit der ARD räumte er am Sonntag kurzerhand seine Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland als Voraussetzung für einen Koalitionsvertrag  vom Tische. „Die Situation hat sich verändert, der Kurs in Berlin hat sich verändert“, sagte der bayerische Ministerpräsident. „Wir haben jetzt deutlich weniger Zuwanderung als zu dem Zeitpunkt, wo ich dieses Zitat gebracht hatte.“ Seine Partei werde sich nun dafür einsetzen, „das Erreichte“, also die zurückgegangenen Flüchtlingszahlen, zu sichern. 

Zuletzt hatte die CSU in ihrem Wahlprogramm eine Obergrenze von 200.000 neuen Flüchtlingen pro Jahr für Deutschland gefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dagegen immer wieder deutlich gemacht, daß sie eine derartige Begrenzung keinesfalls mittragen werde. Auch wenn Seehofer nach dem Interview versuchte, seine Aussagen wieder abzuschwächen und die Äußerungen nicht als Abrücken von der Obergrenze verstanden wissen wollte, erscheint die Situation für dieses taktische Manöver aus Sicht des CSU-Chefs verhältnismäßig günstig. Denn es mehren sich die Anzeichen für ein Austrocknen der Flüchtlingsroute über das Mittelmeer, nachdem Italien den Druck auf Libyen erhöht hatte, die indirekte Zusammenarbeit zwischen Schleppern und westlichen Flüchtlingshelfern zu unterbinden. In Berlin wird damit gerechnet, daß dadurch die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland zumindest vorübergehend zurückgeht.

„Verstärkte Grenzkontrollen haben sich bewährt“

Doch damit sind die Probleme der deutschen Flüchtlingspolitik nicht vom Tisch – im Gegenteil. In den vergangenen Tagen bestimmten einmal mehr die Folgen der anhaltenden Asylkrise die Schlagzeilen. Die Antwort der grün-schwarzen Landesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag hatte das bereits seit längerem bekannte Phänomen des Heimaturlaubs von Asylbewerbern zurück auf die politische Tagesordnung gebracht. 

Demnach haben allein die Ausländerbehörden in Baden-Württemberg etwa 150 Personen erfaßt, die teilweise mehrfach in ihr Heimatland gereist waren. Bei der Zahl ist nach Aussage des Landesinnenministeriums zusätzlich noch von einer „gewissen Dunkelziffer“ auszugehen, da Reisen ins „Verfolgerland“ den Ausländerbehörden nur durch Zufall bekannt würden. Besonders brisant ist, daß viele dieser Asylbewerber nach Syrien und in den Irak gereist sein sollen. Ihren Status als Flüchtlinge durften sie bislang dennoch behalten. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), zeigte dennoch Verständnis für diese Reisen. „Es kann gewichtige Gründe geben, warum ein anerkannter Flüchtling für kurze Zeit in seine Heimat reisen will“, sagte Özoguz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wenn die Mutter im Sterben liegt und man sie noch ein letztes Mal sehen möchte, muß das sicher anders bewertet werden als eine Art Heimaturlaub.“ Dennoch müßten solche Heimreisen die Ausnahme bleiben, schränkte Özoguz ein.

Unterdessen sorgte auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erneut für Schlagzeilen. Der Behörde ist es trotz aller Anstrengungen immer noch nicht gelungen, alle Asylverfahren der großen Flüchtlingswelle von 2015 und 2016 zu bewältigen. So hätte eigentlich laut übereinstimmenden Medienberichten die Zahl der bis Dezember 2016 aufgenommenen sogenannten Altverfahren bis Ende Mai auf 79.000 schrumpfen sollen. Auf Anfrage habe das Bamf aber erklärt, daß Ende Juni noch gut 97.500 und Ende Juli noch gut 81.400 dieser Asylverfahren offen gewesen seien. Gleichzeitig teilte das Bamf mit, daß sich die Zahl der in Deutschland lebenden Afghanen von rund 51.000 Ende 2010 auf 253.000 Ende des vergangenen Jahres erhöht hat. In diesem Jahr kamen bis Ende Juli weitere 7.368 asylsuchende Afghanen an, teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Welt mit. Rund jeder zweite Asylantrag eines Afghanen wird anerkannt, in diesem Jahr waren es laut Bamf bis Ende Juli 44,1 Prozent. Aber auch die meisten abgelehnten Afghanen bleiben im Land und werden nicht abgeschoben. Freiwillig kehrten 2016 insgesamt 3.300 Afghanen in ihre Heimat zurück. In diesem Jahr sind die Zahlen weiter rückläufig und liegen laut Innenministerium „bei etwas unter 800“. Gleiches gilt generell auch für die Zahl der Abschiebungen. Im ersten Halbjahr 2017 gab es insgesamt 12.545 Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland – und damit weniger als im Vorjahreszeitraum. Im ersten Halbjahr 2016 waren 13.743 Ausländer abgeschoben worden.

An der Grenze zu Österreich werden in Bayern unterdessen vermehrt illegale Einwanderer aufgegriffen. Während im ersten Halbjahr beispielsweise in Rosenheim insgesamt 20 Ausländer von der Polizei beim illegalen Grenzübertritt entdeckt wurden, waren es allein im Juli schon über 80. Bei diesen handelt es sich nach Angaben der Bundespolizei zumeist um junge, alleinstehende Männer aus Afrika, die als blinde Passagiere auf Güterzügen die Grenze überqueren. „Unsere verstärkten Grenzkontrollen haben sich bewährt und sind absolut notwendig“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dem Bayernkurier. 





Asylkonzept der AfD

Am Montag hat die AfD in Berlin ihre Konzepte zur Asylpolitik vorgestellt. Kernforderung: Die Mittelmeerroute muß geschlossen werden, auch mit Hilfe der deutschen Marine. Migranten auf Booten sollen zurück in die nordafrikanischen Staaten und nicht nach Italien gebracht werden. Damit könnte den Schleusern die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Bürgerkriegsflüchtlinge sollen heimatnah unter Aufsicht des UNHCR für die Dauer des Konfliktes Zuflucht finden können. Für die Kosten der 1,5 Millionen Asylbewerber in Deutschland hätten in den Heimatregionen mit den gleichen finanziellen Mitteln etwa 200 Millionen Menschen unterstützt werden können; dies sei daher humaner. Langfristig fordert die AfD die Umwandlung des individuell in Deutschland einklagbaren Asylrechts in eine institutionelle Schutzgarantie.