© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

„Ein geistiges Tagebuch der Deutschen“
Deutsches Kulturgut in polnischer Hand: Die „Berlinka“ mit Handschriften deutscher Nationalheiliger, millionenschwere Flugzeuge und das Beste vom Besten aus den deutschen Ostgebieten
Martina Meckelein / Christian Rudolf

Polen mag deutsche Kulturgüter. Handschriften, Bilder oder Flugzeuge. Deshalb mag es sie auch nicht zurückgeben. Sondern erklärt sie zu Staatseigentum. Per Dekret. Polen achtet deutsches Kulturgut so hoch, daß es nach mehr verlangt, wie im Fall deutscher Kirchenglocken. Eine knappe Auflistung.

 Das polnische Luftfahrtmuseum in Krakau: Dort stehen mindestens 20 Flugzeuge, die aus dem Deutschen Luftfahrtmuseum zu Berlin stammen, unter anderem die „Curtiss Hawk“, in der Ernst Udet während der Olympischen Spiele 1936 Kunststücke flog sowie die Messerschmitt Me 209 V-I, mit der Fritz Wendel 1939 der Weltrekord von 755 Stundenkilometern gelang.

Fälschlicherweise bezeichnen die Polen diesen Teil der Ausstellung als Göring-Sammlung – sie geht jedoch auf Georg Krupp zurück, deren Anfänge rühren von 1924 her. Die Deutsche Luftfahrtsammlung in Berlin-Moabit war schließlich in der Welt die größte Sammlung ihrer Art. Im Sommer 1943 wurde sie nach Czarnikau im Netzekreis in der Grenzmark Posen-Westpreußen evakuiert.

Der RBB berichtete in einer Sendung von Dezember 2016 über deutsche Bemühungen um Rückgabe. Der Direktor des polnischen Luftfahrtmuseums, Krzysztof Radwan, schätzte den Wert der deutschen Sammlung so ein: „Das ist eine sehr wichtige Kollektion für uns. Die Flugzeuge sind Dutzende Millionen wert, sie sind so viel wert wie das Gemälde der Mona Lisa. Das sind große Werke, und sie sind unbezahlbar. Es sind phantastische Maschinen aus der Pionierzeit der Luftfahrtgeschichte.“

Die Glocke der „Gustloff“ steht jetzt in Danzig

Ebenfalls in Krakau lagert die Sammlung Autographa aus der ehemaligen preußischen Staatsbibliothek, heute Staatsbibliothek zu Berlin. Sie wurde 1941 zum Schutz vor den alliierten Bomben aus dem gefährdeten Berlin ausgelagert. Geschätzt 95.500 Handschriften kamen nach Niederschlesien: zuerst Lagerung im Schloß Fürstenstein bei Waldenburg, 1944 Weitertransport in das Kloster Grüssau. Insgesamt 505 Kisten. Ihr Inhalt: Handschriften Luthers, Goethes, Schillers, Hegels, Briefe Heinrich von Kleists, der Gebrüder Humboldt, Grimm, Karl Friedrich Schinkels, Partituren von Bach, Beethoven und Mozart. Eine Original-Handschrift unserer Nationalhymne von Hoffmann von Fallersleben ist auch darunter.

Erst Ende der siebziger Jahre wurde bekannt, daß der Grüssauer Teil der Sammlung nach Kriegsende in die Universitätsbibliothek Krakau verbracht worden war (JF 9/17). Bis 1977 leugnete das kommunistische Polen gegenüber westlichen Stellen den Besitz. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beurteilt die Sammlung folgendermaßen: „Aufgrund ihres Umfangs und der Qualität der Sammlungsstücke kann die Berlinka als ein geistiges Tagebuch der Deutschen gelten.“

Ein exemplarisches Beispiel stellt auch das Warschauer Nationalmuseum dar. Unzählige Werke von unschätzbarem Wert (Botticelli, Lucas Cranach, Adolph Menzel oder Anton von Werner) entstammen deutschen Museen und Sammlungen. Die Mittelaltersammlung gleicht einem einzigen großen Stelldichein mit deutscher Kunst: Flügelaltäre, Statuen, Reliefs und Gemälde aus schlesischen, hinterpommerschen und ostpreußischen (zumeist protestantischen) Kirchen und Museen hängen hier in Fülle und zuhauf.

Pars pro toto: ein Mariä-Verkündigungs-Altar aus der Breslauer Elisabethkirche, ein gotisches Kruzifix aus dem Museum der Erzdiözese Breslau, die Schöne Madonna aus dem Breslauer Museum für Kunstgewerbe und Altertümer, der Graudenzer Altar der Marienburg, eine Pietà aus dem Kloster Leubus. Die wertvollsten Exponate des Breslauer Schlesischen Museums für bildende Künste wurden 1946 von polnischen Behörden in das Nationalmuseum Warschau entführt.

Die Glocke der „Wilhelm Gustloff“, die 1945 mit über 9.000 deutschen Flüchtlingen und Verwundeten durch ein sowjetisches U-Boot in der Ostsee torpediert wurde und unterging, stand bis 1989 in einer polnischen Kneipe. Jetzt steht sie im polnischen Weltkriegsmuseum in Danzig. Nicht die einzige Glocke. Rund 110.000 Glocken wurden im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt, in den Hamburger Freihafen auf den Glockenfriedhof gebracht und dort katalogisiert. Rund 90.000 Glocken wurden eingeschmolzen, der Rest nach dem Krieg auf deutsche Kirchengemeinden verteilt. Seit Jahren verlangen polnische katholische Kirchengemeinden die „Rückgabe“ der deutschen Glocken, die aus meist evangelischen Kirchen in Pommern und Ostpreußen stammen. Die Adressen der Gemeinden erhalten sie vom Deutschen Glockenarchiv im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.

Die Haager Landkriegsordnung von 1907, bis heute gültiges Völkerrecht, verbietet es übrigens, Kulturgüter wegzunehmen.