© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

In panischer Angst vor Donald Trump
Kanada: Die französischsprachige Provinz Québec ist zum Traumziel Tausender Haitianer aus den USA geworden
Michael Link

Zwei Jahre nach dem Höhepunkt des Migrantenansturms in Europa erlebt nun Kanada die größte Zuwanderungswelle seit Jahrzehnten. Der nur 1.500 Einwohner zählende Grenzort Saint-Bernard-de-Lacolle im Süden der Provinz Québec ist völlig überlaufen von Menschen, die aus dem angrenzenden Bundesstaat New York ausreisen. Die Route US-Interstate 87– Autoroute Décarie ist so stark frequentiert, daß die kanadischen Behörden im Städtchen Lacolle südlich von Montréal ein Aufnahmezentrum errichtet haben. Die Neuankömmlinge sollen in dem Camp bleiben, bis sie eine staatliche finanzielle Unterstützung erhalten. Sie werden zunächst registriert, bevor ihnen die kanadische Grenzagentur ihre Asylanträge aushändigt.

Mittlerweile mußte auch das Olympiastadion von Montréal zweckentfremdet werden. Freiwillige des Roten Kreuzes von Québec haben mitgeholfen, das Stadion für einen vorübergehenden Aufenthalt mit 150 Kinderbetten, Duschen und Kochbereichen auszustatten. Das tiefliegende Betonstadion diente 1976 der Austragung der Olympischen Spiele und war bis 2004 Heimarena der Baseballmannschaft Les Expos de Montréal.

„Für die kommenden Monate können maximal 450 Personen vorübergehend untergebracht werden“, erklärte Francine Dupuis, Leiterin des staatlich finanzierten Programms für Asylsuchende, gegenüber der kanadischen Nachrichtenagentur CBC News. „Ein längerer Zeitraum ist nicht möglich, weil danach Veranstaltungen im Stadion geplant sind“, so Dupuis. Ihre Organisation habe im Juni 448 und im Juli bereits 1.174 Personen unterstützt. „Wir sind völlig ausgelastet. Es gibt viel mehr zu tun als jemals zuvor“, berichtete Dupuis und fügt hinzu, daß die Jugendherbergen und weitere in Frage kommende Unterkünfte schon voll seien. „Es ist offensichtlich, daß Québec für die haitianischen Flüchtlinge attraktiver als andere Provinzen ist. Dort gibt es bereits eine haitianische Gemeinde, von der sich die Neuankommenden Unterstützung erwarten können.“ Und: In Québec wird wie in Haiti französisch gesprochen.

Obama-Regierung nahm 60.000 Haitianer auf

„Die Zahlen sind in den letzten anderthalb Jahren explodiert“, erklärt Jean-Pierre Fortin, Präsident der Zollbeamtengewerkschaft. Rund neunzig Prozent der Asylbewerber stammen von der Karibikinsel Haiti, der Rest vor allem aus Syrien und dem französischsprachigen Kongo. „Die in den USA lebenden Haitianer befürchten, daß die Trump-Regierung sie nach Haiti ausweisen wird und sie keine Chance auf einen weiteren Aufenthalt in den USA haben werden“, so Dupuis.

Nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010 erlaubte die Oba-ma-Regierung 60.000 Haitianern, aus humanitären Gründen vorübergehend in den USA zu leben. Dieser Aufenthaltsstatus ist aber nicht gleichrangig mit einem Asyl- oder Flüchtlingsstatus. Er bescheinigt lediglich, daß eine Person vorerst nicht sicher in ihr Heimatland zurückkehren kann. Die neue Regierung von Donald Trump hatte diesen Status zu Jahresbeginn für sechs Monate verlängert – nun ist die Frist verstrichen. Bereits nach dem Wahlsieg Trumps im November 2016 war die Zahl der Asylwerber in Kanada aus Furcht vor einer strikten Einwanderungspolitik des neuen US-Präsidenten deutlich gestiegen.

Im Gegensatz zur benachbarten und touristisch erschlossenen Dominikanischen Republik war und ist Haiti das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Und es leidet weiter an den Folgen des Erdbebens, dem mehr als 300.000 Menschen zum Opfer gefallen waren, sowie auch an den Folgen des Hurrikans „Matthew“ vom Oktober letzten Jahres. Dazu zählen eine Cholera-Epidemie und ein massives Problem mit dem Abwasser.

Kanada hatte Haitianern zunächst einen speziellen Aufnahmetitel gewährt, diesen hat jedoch die Regierung unter Premierminister Justin Trudeau wieder rückgängig gemacht. Asylsuchende aus Haiti, welche die Grenze nach Kanada überschritten haben, könnten demnach in ihr Heimatland zurückgeführt werden, wenn die kanadischen Behörden Haiti als ausreichend sicheres Land einstufen. Unklar ist allerdings, wann die Lagebeurteilung erfolgen wird.

„Trudeau sendet an die Migranten zwei widersprüchliche Botschaften aus“, kritisiert die konservative Parlamentsabgeordnete Michelle Rempel gegenüber dem Daily Caller. „Diese lautet: Unsere Grenzen seien offen, doch bitte respektiert unsere Grenzen.“ Man müsse den Menschen klarmachen, daß das Überschreiten der Grenzen unsicher und illegal sei. „Die Haltung des Premierministers ist völlig unverantwortlich. Doch vielleicht versucht Trudeau auf diese Weise, links orientierte Wähler zu gewinnen“, vermutet Rempel.