© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Brutale Marktbereinigung
Luftverkehrsunternehmen: Nach der Air-Berlin-Insolvenz erhofft sich Lufthansa eine faktische Monopolstellung
Thomas Fasbender

Ein Aktionär aus dem Morgenland, dem die Puste ausgeht, ein Konkurrent in Lauerstellung und eine Regierung, die für industriepolitische Gestaltung offen ist – wenn die Auguren recht behalten, fliegt Air Berlin den Lufthansa-Aktionären (die zu 35,5 Prozent im Ausland sitzen) in den geöffneten Rachen hinein. Lufthansa-Chef Carsten Spohr kann sich rühmen, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Das Timing könnte besser kaum sein; fünf Wochen vor der Bundestagswahl sind alle Beteiligten daran interessiert, die Zukunft der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft rasch festzuzurren.

Es ist Wahlkampf, da stehen die Interessen von 8.500 Mitarbeitern und Hunderttausenden Passagieren verbal im Mittelpunkt. Die unbürokratisch zur Verfügung gestellten 150 Millionen Euro sollen den Betrieb offiziell bis November sicherstellen – oder zumindest bis zur Schließung der Wahllokale am 24. September. Angeblich gibt es insgesamt zehn Interessenten, doch als als zukünftige Air-Berlin-Eignerin gilt die Lufthansa als gesetzt, auch wenn die Betriebswirte eine Zerschlagung des Unternehmens und die Übernahme der interessanten Aktiva wohl vorzögen.

Doch das hieße, die Rechnung ohne die begehrten Start- und Landerechte zu machen, die Slots. Strategisch gesehen sind sie in diesem Fall von wesentlich höherem Wert als die ohnehin nur geleasten Flugzeuge. Air Berlin sitzt unter anderem auf attraktiven Slots in Düsseldorf und Berlin-Tegel. Auf denen ruht nun nicht nur das gierige Auge des Lufthansa-Kranichs und dessen Billigtochter Eurowings, sondern auch die Adleraugen der Discounter Ryanair und Easyjet. Seit längerem versuchen die beiden Gesellschaften, die Billigfliegerei mit attraktiveren Verbindungen von ihrem Nischendasein zu erlösen, bislang und wohl weiterhin ohne Erfolg.

Warum es für Spohr sinnvoll ist, Air Berlin trotz des höheren Einsatzes und der Übernahme allfälliger Altlasten en bloc zu übernehmen, also nicht zu warten, bis die Gesellschaft den Flugbetrieb einstellen muß, erschließt sich bei einem Blick auf die Vergaberegeln der besagten Slots. Geht Air Berlin aus dem Markt, fallen die Landerechte an das Verkehrsministerium zurück. Bei einer Neuversteigerung gelten EU-weite Regelungen. Dann müßte die Hälfte der frei gewordenen Landerechte an neue Bewerber gehen – eine gemähte Wiese für die Billigkonkurrenz. Kein Wunder, daß Lufthansa nach Alternativen sucht.

Entwicklung von langer Hand vorbereitet?

Wie schwierig der gesättigte europäische Luftverkehrsmarkt ist, zeigt das Scheitern der Air-Berlin-Hauptaktionärin Etihad. Deren Strategie war, europäische Linien als Zubringer für das Etihad-Drehkreuz Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten einzusetzen. Das Geschäftsmodell liegt in Scherben, weil Etihad die Beteiligungen als verlustbringende Dienstleister subventionierte und sich am einträglichen Asiengeschäft schadlos hielt. Spätestens seit der Katar-Krise rechnete sich das auch für reiche Golfaraber nicht mehr. Inzwischen sind die irische Aer Lingus und die Schweizer Darwin Air verkauft, Altitalia und Air Berlin gehen dem gleichen Schicksal entgegen.

Kaum ein Insider zweifelt, daß die Air-Berlin-Insolvenz auch Teil des Showdowns der beiden mit Abstand größten europäischen Airlines ist: Ryanair und Lufthansa. Die Entwicklung war schon im vergangenen Jahr absehbar, als Spohr den Berlinern mit dem Anmieten von 38 Maschinen einschließlich Besatzung zu einer Spritze Bares verhalf, während diese den Spohr-Freund Thomas Winkelmann als neuen Chef akzeptierten. Kaum etwas spricht dagegen, daß die jüngste Entwicklung in Wahrheit von langer Hand vorbereitet wurde.

Michael O’Leary, dessen in Dublin beheimatete Ryanair jetzt schon mit den absehbaren Auswirkungen des Brexit kämpft, wird die anstehende Runde im Duell mit den Lufthanseaten wohl verlieren. Nach Ansicht des Luftverkehrsexperten Heinrich Großbongardt nicht zuletzt deshalb, weil es mit dem Ryanair-Image nicht zum Besten steht: „Die deutschen Behörden und Gewerkschaften werden es lieber sehen, wenn Ryanair mit seinen niedrigen Sozialstandards außen vor bleibt.“

Bessere Karten hat die kleinere Billigkonkurrenz Easyjet, die sich aus Rücksicht auf die EU Hoffnung auf einige der Air-Berlin-Slots machen kann. Im Vorgriff auf den Brexit baut Easyjet Wien zur EU-Basis aus, was naturgemäß bedeutet, daß Start- und Landerechte in Deutschland für die Linie von größter Bedeutung sind. Großbongardt: „Sicher wird die Lufthansa gewisse Zugeständnisse machen müssen, etwa indem sie die eine oder andere Strecke abgibt.“

Nennenswerte Auswirkungen auf das Preisgefüge erwartet der Experte nicht, auch wenn künftig Lufthansa und die Low-Cost-Tochter Eurowings marktbeherrschend sein dürften. Natürlich gebe es Strecken, auf denen die Lufthansa dominiere, etwa die Verbindungen nach Frankfurt von Hamburg oder Berlin. In diesen Fällen müsse eben die Bahn als Preiskorrektiv herhalten. Im übrigen solle man die Billigflieger ungeachtet ihres geringen Marktanteils nicht unterschätzen. „Schauen Sie sich nur an, wie aggressiv Ryanair, Easyjet, WizzAir und Norwegian in den vergangenen Jahren in den deutschen Markt reingegangen sind. Alle vier Airlines sind sehr potente und aggressive Low-Cost-Flieger, und Deutschland ist einer der interessantesten und aktivsten Luftverkehrsmärkte Europas“, so Großbongardt im Spiegel. Nur für 333 Euro von Düsseldorf nach San Francisco zu fliegen, wie es Air Berlin derzeit anbietet, das ist bald vorbei.

Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG

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