© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Drohende Entwertung von Vermögen
Immobilienmarkt: Kaum noch bezahlbarer Wohnraum in den Wachstumsregionen / Preisverfall, Leerstand und Verfall im ländlichen Raum?
Christian Schreiber

Explodierende Quadratmeterpreise? Wohnungsnot in den Ballungszentren? Dies sind keine Neuigkeiten mehr. Bis 2020 müssen in Deutschland jährlich 272.000 Wohnungen gebaut werden, um die vor allem zuwanderungsbedingte Nachfrage zu bedienen. In den Metropolen ist bezahlbarer Wohnraum kaum noch zu bekommen. Dies liegt zudem daran, daß immer mehr Deutsche alleine leben. Selbst gutverdienene Paare, die sich den „Luxus“ zweier Wohnungen leisten, sind keine Seltenheit mehr.

Im ländlichen Raum, weit weg von den Speckgürteln der Metropolen, sieht es anders aus. Und wenn das Wahlkampfversprechen von Angela Merkel eingehalten wird und sich der „große Flüchtlingszuzug“ von 2015 und 2016 nicht wiederholen „kann, soll und darf“, wird die bundesdeutsche Bevölkerung bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um 2,1 Millionen Personen schrumpfen. Aufgrund der dann sinkenden Nachfrage nach Immobilien werden die Marktwerte für selbstgenutzte Eigentumswohnungen bis 2030 in einem Drittel aller deutschen Kreise und kreisfreien Städte um mehr als ein Viertel sinken, warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Wochenbericht 23/17).

„Die schrumpfende Bevölkerung wirkt sich auch auf die Immobilienpreise aus, allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Eine Polarisierung der Immobilienpreise kann die Ungleichheit bei dieser Vermögenskomponente verstärken. Dabei stellt der selbstgenutzte Immobilienbesitz zugleich den wichtigsten Vermögensbestandteil der privaten Haushalte dar“, sagte DIW-Forscher Markus Grabka, der von einer „ausgeprägten Polarisierung der Immobilienpreise in Deutschland“ sprach.

„Polarisierung der Immobilienpreise“

Auf diese Entwicklung würden die niedrigen Angebotspreise in Mitteldeutschland hinweisen. In Regionen mit schrumpfender Bevölkerungszahl sinke bereits jetzt die Nachfrage, die Preise fallen. In wachsenden Regionen steigen dagegen die Preise: „Verstärkt werden solche Preistrends durch die Tatsache, daß das Angebot an Immobilien wegen der relativ langen Planungs- und Bauzeiten kurzfristig nicht flexibel auf eine stark zunehmende Nachfrage reagiert.“

Veränderte Bevölkerungszahlen und damit einhergehende regional variierende Veränderungen der Altersstruktur werden auch Auswirkungen auf den Immobilienmarkt haben. So sei zu erwarten, daß in schrumpfenden Regionen die Nachfrage nach Immobilien weiter sinkt und der Preis fällt, während in wachsenden Regionen mit kräftig steigenden Preisen gerechnet werden kann. Verstärkt werde dies zudem durch eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur:

Die Wohnflächennachfrage älterer Menschen sei geringer als die von jüngeren Menschen. Insbesondere die niedrigen Angebotspreise in Mitteldeutschland weisen bereits heute auf nachfrageseitige Effekte – wie die demographische Entwicklung – auf Immobilienpreise hin. So lag beispielweise der Angebotspreis für Ein- und Zweifamilienhäuser im Landkreis Harz im Jahr 2015 bei 625 Euro je Quadratmeter Wohnfläche und damit weniger als halb so hoch wie der gesamtdeutsche Median mit 1.580 Euro je Quadratmeter. Dieser Landkreis rund um Halberstadt, Quedlinburg und Wernigerode wies nach Angaben des Informationssystems Wegweiser- Kommune der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2014 ein Durchschnittsalter von 48,4 Jahren auf. Der Altenquotient, also das Verhältnis der Anzahl von Personen, die nicht im Erwerbstätigenalter sind, zur Anzahl von Personen im Erwerbstätigenalter, liegt bei 44,2 Prozent. Die Bevölkerung im Harzkreis ist seit 2011 um 2,5 Prozent geschrumpft.

Insgesamt werden sich aller Voraussicht nach die Immobilienpreise in der Ex-DDR und den ehemaligen Zonenrandgebieten schwächer entwickeln als in Süd- und Westdeutschland. So dürften in 100 von insgesamt 402 Landkreisen und kreisfreien Städten die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser um mehr als ein Viertel sinken, von denen besonders viele in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegen.

„In und um Ballungszentren werden die Preise aufgrund der wachsenden Nachfrage und dem Trend zur Urbanisierung bis zum Jahr 2030 deutschlandweit in 32 Kreisen und kreisfreien Städten um mehr als ein Viertel steigen“, so das DIW. In ländlichen Regionen werden künftig noch weniger Menschen leben, die großen Städte hingegen wachsen weiter. Schon heute sind hier Wohnungen knapp und die Quadratmeterpreise bei Neuvermietungen oft unbezahlbar. Die Zahl privater Haushalte werde selbst bei schrumpfender Bevölkerung um zwei Prozent zulegen – wegen mehr Alleinlebender.

Als Extrembeispiele nennen die DIW-Forscher die beiden Landkreise Harz und Biberach. Bis 2030 gehen die Prognosen für den zwischen Ulm und dem Bodensee gelegenen Landkreis Biberach von einem Bevölkerungswachstum von zwei Prozent aus. Dadurch müßten laut Modellrechnung die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser um knapp 150 Euro pro Quadratmeter zulegen, ein Plus von zehn Prozent.

Dem stehe der Landkreis Harz gegenüber, der bis dahin rund 34.000 Bewohner verlieren wird, ein Rückgang um 15 Prozent gegenüber 2012. Der Quadratmeterpreis wird laut DIW-Prognose dadurch um 275 Euro je Quadratmeter fallen. Das entspricht einem Wertverlust von 40 Prozent. Das Eigenheim sei zu „einer dominierenden Komponente der deutschen Vermögensbildung geworden“, sagen die DIW-Experten, die fürchten, daß damit auch die Vermögensungleichheit in Deutschland weiter steigt. Vor allem in Berlin oder München sei mit einer Preisexplosion zu rechnen. Deutschland hat sich zum Einwanderungsland entwickelt. „Für die nächsten 30 Jahre ist daher nicht mit einer Entlastung bereits angespannter Wohnungsmärkte in den Ballungsgebieten durch eine schrumpfende Bevölkerung zu rechnen“, sagt Peter Haueisen, Projektleiter der Allianz Baufinanzierung.

In den vergangenen Jahren sind nach Angaben einer Allianz-Studie jedes Jahr 3,8 Millionen Menschen über die Kreisgrenzen hinweg umgezogen: „Im Jahr 2014 können 73 Prozent der Veränderungen am Wohnungsmarkt mit der Binnenwanderung erklärt werden; die Zuwanderung erklärt lediglich 27 Prozent“, heißt es dort. Die Zuwanderung aus dem Ausland verstärkt jedoch zusätzlich die Effekte der Binnenwanderung. Auch sie konzentriert sich auf die wirtschaftsstarken Regionen, wodurch zunächst einmal auch der Druck auf den Staat erhöht werde, schnellstmöglich „sozialen Wohnraum“ zu schaffen.

Kein Immobilienerwerb für Durchschnittsverdiener?

Jüngste Zahlen lassen erwarten, daß nun auch die Preise in den „kleinen Großstädten“ anziehen werden. Nachdem in den letzten Jahren die Metropolen bereits deutlich teurer geworden sind, holen Großstädte mit 100.000 bis 500.000 Einwohnern den Trend jetzt nach. In 71 der 79 deutschen Großstädte zogen die Quadratmeterpreise an, wie eine Auswertung von immowelt.de zeigt. Hauptgrund dafür seien die extrem teuren Preise in den Top-Standorten. Diese führen bei Investoren zu einer hohen Kapitalbindung und machen den Immobilienerwerb für Durchschnittsverdiener beinahe unmöglich.

In den ländlichen Regionen stehen neben einer „Entwertung“ der Immobilien auch andere strukturelle Fragen im Mittelpunkt. In den strukturschwachen Gebieten steige aufgrund der Binnenwanderung der Altersdurchschnitt der Bevölkerung deutlich stärker als in den wirtschaftsstarken Gebieten. „Gezielte Investitionen in verkehrs- und wirtschaftsnahe Infrastruktur, auch in die digitale Anbindung und Stadtentwicklung, sind gerade deshalb wichtig“, erklärt Tobias Koch, Projektleiter des Wirtschaftsinstituts Prognos. Es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, daß Deutschland seine „Alten und Armen“ alleine auf dem Land zurücklasse. 

Kurzfristige Anpassungen des Immobilienbestands an die veränderte Nachfrage sind aufgrund der Langlebigkeit von Immobilien sowie relativ langer Planungs- und Fertigstellungszeiträume kaum möglich. „Die Preise reagieren daher kurzfristig recht stark auf nicht antizipierte Veränderungen der Nachfrage“, so das DIW. 

DIW Wochenbericht 23/17:  www.diw.de

„Wohnungsmangel in den Städten, Leerstand auf dem Land“ in  IW-Kurzbericht 44/17:  www.iwkoeln.de/