© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Die Bundeswehr und die betriebswirtschaftlichen Irrwege
Siegen können ist alles
Jürgen W. Schmidt

Die Bundeswehr hat viele Probleme, zwei davon heißen Angela Merkel und Ursula von der Leyen. Die Folge davon ist, daß mittlerweile etwa 24 Prozent der einfachen Bundeswehrsoldaten von migrantischer Herkunft sind, der MAD neuerdings mehr Salafisten als „Rechte“ in der Bundeswehr enttarnt, bestimmte Kampffahrzeuge „schwangerentauglich“ sind, doch die Einsatzbereitschaft anderer Fahrzeuge und Fluggeräte in die gefährliche Nähe der 50-Prozent-Grenze taumelt. Manche Probleme der Bundeswehr sind dagegen eindeutig hausgemacht.

Die dem geistigen Erbe des Militärwissenschaftlers und Philosophen Carl von Clausewitz (1780–1831) verpflichtete „Clausewitz-Gesellschaft“ veröffentlicht alljährlich in ihrem „Jahrbuch“ die beste schriftliche Jahresarbeit eines angehenden Generalstäblers der Bundeswehr, welche dieser in seiner Ausbildungszeit an der Führungsakademie in Hamburg verfaßte. Im jüngst veröffentlichten Jahrbuch für das Jahr 2016 traf den Major Sebastian Becker auf den Seiten 280 bis 323 diese Ehre. Seine preisgekrönte Arbeit, der man „wertvolle Anwendungsbezüge“ auf einem „neuen Forschungsfeld“ bescheinigte, verfaßte Becker zum Thema „Analyse des Verteidigungskapitals am Beispiel eines Kampftruppenverbandes“.

Unter „Kampftruppenverband“ (KTV) versteht Major Becker ein Bataillon bzw. ein Regiment der Bundeswehr. Warum er nur das „Verteidigungskapital“ eines solchen KTV untersuchte und nicht auch dessen „Angriffskapital“, wäre gewiß die Frage wert. Doch soll das hier nicht näher hinterfragt werden, denn Becker befaßt sich in seiner Arbeit mit einer Untersuchung der Meßbarkeit von ökonomischen Werten innerhalb der Streitkräfte. Es geht darum, wieviel bestimmte Teile der Bundeswehr wert sind, in betriebswirtschaftlicher Sicht natürlich. Dabei geht Major Becker von dem „demokratischen Grundsatz“ aus, „daß der eigentliche Wert von Streitkräften durch den Bürger in Form seines Volksvertreters im Parlament bestimmt wird“. Anders gesagt, die Bundeswehr kann ausbilden wie und was sie will, der eigentliche „Wert“ der Bundeswehr beruht letztlich auf den Mitgliedern des Bundestags, welche ihn dort irgendwie „bestimmen“.

Dabei geht es gemäß Major Becker wie bei „Dax-gelisteten Unternehmen“ zu, deren „Performance“ zu „unterschiedlichen Stichtagen variierende Unternehmenswerte“ ergibt. Allerdings wird gemäß Becker „das öffentliche Gut Sicherheit aus einer Monopolstellung heraus angeboten und durch den Staat dauerhaft vorgehalten“. An dieser durchökonomisierten Sicht militärischer Dinge hätte Karl Marx gewiß seine helle Freude gehabt. Indessen ergibt sich hier eine weitere Zwischenfrage: Gemäß den Gesetzen der Ökonomie hängt der „Wert“ eines Gegenstandes von „Angebot“ und „Nachfrage“ ab. Wird also die Bundeswehr gerade nicht nachgefragt, dann tendiert ihr Wert folglich gegen Null? Fast könnte man meinen, im Jahr 2017 wäre dieser bedauerliche Umstand für die Bundeswehr realiter eingetreten, obwohl sie andererseits rege „nachgefragt“ wurde, denn die schiere Zahl an Auslandsmissionen überforderte die schwache Personaldecke der Armee zusehends.

Sollte man anstelle der Kriterien „Wirtschaftlichkeit“ und „Sparsamkeit“ beim Militär nicht lieber „Aufwand“ und Nutzen“ verwenden? Denn „wirtschaftlich“ im eigentlichen Sinne kann eine Armee sowieso nicht betrieben 

werden.

Doch folgen wir weiter Major Becker bei seinen zunehmend betriebswirtschaftlich daherkommenden Betrachtungen. Demzufolge ist jeder Bürger per se durch seine „Abgaben“ als Aktionär der Aktiengesellschaft „(Äußere) Sicherheit“ zu betrachten. Weil nun alle öffentlichen Güter dem haushaltsrechtlichen Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit unterliegen, wird dessen Einhaltung durch den Bundesrechnungshof überwacht, der im Falle der Bundeswehr die Rolle „als eine Art Wirtschaftsprüfer der Aktiengesellschaft“ einnimmt. Durch bundeswehreigene „Controlling-Berichte“ kann man ihm folglich die Arbeit erleichtern, zu erkennen, ob es in der Bundeswehr wirtschaftlich und sparsam zugeht.

Hier ergibt sich eine neue Zwischenfrage, nämlich wie man im militärischen Bereich die Begriffe „Wirtschaftlichkeit“ und „Sparsamkeit“ definiert? Da hat nämlich der Bundesrechnungshof nicht unbedingt das „Monopol“ darauf. Wie „wirtschaftlich“ und wie „sparsam“ man war, erkennt man immer erst nach einem gewonnenen oder aber verlorenen Krieg. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurden jedenfalls einige deutsche Militärs nicht müde, über den Geiz des (Vorkriegs-)Reichstages zu klagen. Der hätte nämlich in seiner sturen Sparsamkeit die wegen des zunehmenden Angebots an Wehrpflichtigen nötigen Armeevergrößerungen beständig verschleppt, so daß schließlich im August/September 1914 zur Marneschlacht die entscheidenden „zwei Armeekorps“ fehlten. Sollte man anstelle der Kriterien „Wirtschaftlichkeit“ und „Sparsamkeit“ beim Militär nicht lieber „Aufwand“ und Nutzen“ verwenden? Denn „wirtschaftlich“ im eigentlichen Sinne kann eine Armee sowieso nicht betrieben werden.

Doch kommen wir zurück zu Major Becker, welcher mit seiner Jahresarbeit Möglichkeiten zur „Aufstellung des monetären Unternehmenswertes“ eines KTV untersuchen will. Dazu schlägt er vor, die „finanziellen Vermögenswerte“ in Form des „Anlage- und Umlaufvermögens“ des KTV zu erfassen. Becker geht es dabei nicht allein um die reinen Zahlenwerte für Kampftechnik, Immobilien, Mobiliar und Lagerbestände. Monetär erfassen möchte er auch „immaterielle Werte“.

Nachdem er einschlägige betriebswirtschaftliche Verfahren wie „Gesamtbewertungsverfahren“, „Einzelbewertungsverfahren“, „Mischverfahren“ und die „Überschlagsrechnung“ diskutiert hat, kommt er zur Erkenntnis, daß für genannten Zweck einzig und allein das „Einzelbewertungsverfahren“ nutzbringend ist, um „Wissen als Firmenwert“ monetär berechenbar zu machen. Auf Seite 302 seiner Arbeit kommt er zu einer gefährlich anzuschauenden Formel, nach welcher sich das „intellektuelle Kapital“ eines KTV in Abhängigkeit etwa anhand von „Scoring-Punkten des Einfluß-Faktors nach Indikatorbewertung“ oder aber der „Intensität des Einflußfaktors bei Werterhalt“ berechnen läßt. Ausgehend vom „Berichtszeitraum“ von zwei Jahren, welcher auf dem bundeswehrüblichen Ausbildungssystem des betriebswirtschaftlichen Faktors Mensch beruht, kommt Becker für seinen als Beispiel gewählten KTV auf „fiktive Gesamtkosten“ von 30 Millionen Euro für dessen immaterielle Ressourcen.

Dem Bundesrechnungshof ist mit einer solchen betriebswirtschaftlichen Analyse eines KTV und dessen Wertveränderungen im Zwei-Jahres-Rhythmus bestimmt geholfen, aber helfen solche Überlegungen von angehenden Generalstabsoffizieren der Bundeswehr, ihre militärischen Aufgaben im Interesse ihrer „Aktionäre“, nämlich der einfachen Bundesbürger, besser zu erfüllen?

Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld wies 1982 in seinem mittlerweile zum Klassiker avancierten Werk „Fighting Power: German and US Army perfomance 1939–1945“ auf einen seltsamen Umstand hin. Als man in den USA zum Zwecke der Gefechtsanalyse mathematische Modelle von unterschiedlichsten Verbänden kreierte und diese Modelle zu Vergleichszwecken per Computer Schlachten schlagen ließ, zeigte sich bei der Wehrmacht Erstaunliches. Ihre Verbände siegten in der Realität selbst dann noch, wenn sie gemäß der mathematischen Modelle eigentlich hätten verlieren müssen, beziehungsweise sie kapitulierten erst sehr viel später, als wegen der mathematischen Modelle zu erwarten gewesen wäre.

Am Beispiel der von der Clausewitz-Gesellschaft ausgezeichneten Jahresarbeit von Major Sebastian Becker zeigt sich deutlich, wie das rein betriebswirtschaftlich orientierte Denken in der künftigen Führung der Bundeswehr nachhaltig Fuß zu fassen beginnt.

Creveld untersuchte daraufhin die immateriellen Faktoren, welche die Wehrmachtsverbände dazu befähigten und gab nach Untersuchung der Einzelfaktoren sein erwähntes Buch, auf deutsch betitelt mit „Kampfkraft – Mili­tärische Organisation und militärische Leistung“ (Freiburg 1989), heraus. Major Sebastian Becker hätte bei Lektüre des Buches ersehen können, daß betriebswirtschaftliche oder mathematische Modelle das immaterielle „Innenleben“ eines KTV nur sehr lückenhaft abbilden. Demzufolge könnten nämlich zwei in rein betriebswirtschaftlicher Hinsicht gleichwertige KTV im Ernstfall eine durchaus unterschiedliche „Performance“ abgeben.

Jeder Kommandeur muß indessen jederzeit und ohne komplizierte Berechnungen im Zwei-Jahres-Rhythmus den genauen Wert der ihm unterstellten KTV genauestens kennen. Das gilt sowohl für den Bataillons- und Divisionskommandeur ebenso wie für den höchsten „Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt“, für Deutschlands Verteidigungsministerin von der Leyen.

Aber gerade Frau von der Leyen ist dafür bekannt, wie jüngste Vorfälle leider zeigten, daß ihr weder die Herzen noch die Ohren der Truppe und ihrer Führung bis in die Generalsränge hinauf gehören. Gerade sie als studierte Medizinerin neigt zu einer rein betriebswirtschaftlichen Sicht auf das ihr völlig fremde Gebiet der Streitkräfte, wie schon 2014 ihre Wahl der Theater- und Sprachwissenschaftlerin Katrin Suder, einer vormaligen McKinsey-Unternehmensberaterin, zur beamteten Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium dokumentierte.

Am Beispiel der von der Clausewitz-Gesellschaft ausgezeichneten Jahresarbeit von Major Sebastian Becker zeigt sich deutlich, wie das rein betriebswirtschaftlich orientierte Denken in der Führung der Bundeswehr nachhaltig Fuß zu fassen beginnt. Die Arbeit von Becker ist nämlich kein „Ausrutscher“. Bereits in den Vorjahren verfaßten künftige Generalstäbler der Bundeswehr von der Clausewitz-Gesellschaft prämierte Jahresarbeiten zu betriebswirtschaftlichen Themen, wie etwa im Jahr 2000 Major Frank Kammerer mit „Unternehmenszusammenschlüsse im Zeichen der Globalisierung – Entwicklung und Ausblick“.

Vielleicht hilft hier ein Vergleich mit dem gemäß Verteidigungsministerin von der Leyen nicht zur Tradition der Bundeswehr gehörigen NVA-Erbe. Verfasser vorliegender Zeilen beispielsweise studierte als NVA-Offizier von 1987 bis 1990 an der „Kalinin“-Militärakademie im damaligen Leningrad. Seine schriftliche Jahresarbeit beschäftigte sich mit den nach den Reformen der US-mech-Infanterie dort in großer Anzahl vorhandenen Panzerabwehrwaffen der 3. Generation und beinhaltete den Vorschlag, diese nicht mehr jeweils als artilleristisches Einzelziel zu bekämpfen, sondern durch „Blenden“ mittels Nebel- und Leuchtgranaten niederzuhalten. In der später zur Diplomarbeit ausgebauten Jahresarbeit belegte er anhand von Berechnungen, daß dies mit einem durchaus vertretbaren Aufwand an Munition und Zeit durch die Regimentsartilleriegruppen möglich ist.

Dies nur als Beispiel einer militärwissenschaftlichen, nicht etwa betriebswissenschaftlich orientierten Jahresarbeit, deren Erkenntnisse in einen Unterabschnitt der 1989 in Überarbeitung befindlichen Gefechtsdienstvorschrift der sowjetischen Artillerie eingehen sollten. Soll der zukünftige Generalstäbler ein betriebswirtschaftlich denkender „Manager“ oder doch besser ein militärwissenschaftlich ausgebildeter „Kommandeur“ sein?






Dr. Jürgen W. Schmidt, Jahrgang 1958, diente als Offizier in der NVA und der Bundeswehr. Nach dem Militärdienst promovierte er in Geschichte. Heute arbeitet er in einem Berliner Unternehmen. Schmidt verfaßte eine Reihe von Büchern zur Geheimdienstgeschichte, zuletzt „Spionage, Doppelagenten und islamistische Bedrohung“ (Ludwigsfelde 2017). Er ist Mitglied der Clausewitz-Gesellschaft.

Foto: Die Bundeswehr in der Zange eines McKinsey-Denkens: Eine durchökonomisierte Sicht militärischer Dinge läßt die immateriellen Faktoren außer acht – zum Schaden der Kampfkraft